Etwa 1,1 Milliarden Euro soll das AMS laut langfristigem Budgetpfad im kommenden Jahr für aktive Arbeitsmarktpolitik, also Qualifizierungsmaßnahmen, zur Verfügung bekommen. Doch für sinnvolle Integrationsarbeit brauche es mehr Geld, sagt AMS-Chef Johannes Kopf.

STANDARD: Die Herbstlohnrunde steht vor der Tür. Österreich hat seit Jahresbeginn eine konstant höhere Inflation als der Rest der Eurozone. Wie sehr macht Ihnen das Sorgen?

Kopf: Wenn in unserem Land die Inflation höher ist, sind in der Tendenz auch die Lohnabschlüsse höher, was für die Wettbewerbsfähigkeit eine Herausforderung wird. Den Gefallen, dass ich sage: "Bitte Lohnzurückhaltung!", mache ich Ihnen nicht. Ich mische mich in die Verhandlungen nicht ein. Aber ich finde, es ist eine schwere, herausfordernde Situation.

STANDARD: Aus der Sicht der Gewerkschaft besteht die Gefahr, mit zu hohen Lohnabschlüssen dafür zu sorgen, dass die Arbeitslosigkeit ansteigt. Aber aktuell suchen Unternehmen händeringend Arbeitskräfte. Das ist neu.

Kopf: Der Arbeitsmarkt hat sich verändert. Es ist momentan schon mit weniger Wachstum als vor zehn Jahren möglich, eine sinkende Arbeitslosigkeit zu haben. Das hat zwei Gründe: Auf der einen Seite ist da der demografische Effekt, die geburtenstarken Jahrgänge gehen in Pension. Auf der anderen Seite findet eine merkbare Reduktion bei der Arbeitszeit statt. Wir haben nun auch mehr Männer, die Teilzeit arbeiten. Das führt dazu, dass wir mehr Köpfe brauchen, um den Bedarf zu decken. Das ist aus Sicht eines AMS-Chefs etwas Gutes.

Der Flüchtlingsandrang beim AMS erreicht wieder das Niveau von 2015, Syrer sind die größte Gruppe.
Heribert Corn

STANDARD: Weil die Arbeitslosigkeit trotz schwacher Konjunktur nur moderat gestiegen ist?

Kopf: Das Thema Arbeitskräftemangel und die niedrige Arbeitslosigkeit wird uns bleiben, deshalb mache ich mir langfristig über die Arbeitsmarktlage weniger Sorgen. Wir haben aktuell etwa 13.000 Menschen, die im Vergleich zum Vorjahr zusätzlich beim AMS gemeldet sind. Besonders am Bau ist die Arbeitslosigkeit kräftig gestiegen. Aber schon für das kommende Jahr sagen Prognosen wieder eine sinkende Arbeitslosenrate voraus. Und vor der Pandemie lag das Allzeithoch bei den uns gemeldeten offenen Stellen bei 80.000. Jetzt erleben wir schon mehrere Monate mit sehr schwacher Konjunktur, und dennoch sind 112.000 Stellen als offen gemeldet.

STANDARD: Verändert sich damit das Kräfteverhältnis der Sozialpartner?

Kopf: Das müssen Sie die Sozialpartner fragen. Individuell ist die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer gestärkt.Die aktuelle Situation schafft kurioserweise jedenfalls einen Vorteil für Niedrigqualifizierte. Diese haben am Arbeitsmarkt lauter Nachteile. Aber die Gruppe hat einen Vorteil. Sie sind deutlich unabhängiger. Ein Hilfsarbeiter kann Regale schlichten, aber auch was verkaufen oder Möbel tragen. Diese Menschen können leichter den Job und die Branche wechseln. Das können auch Höherqualifizierte, etwa Manager. Aber wie soll der klassische Facharbeiter, der Dachdecker, das tun? Was sich verändert hat, ist, dass mehr Menschen mit niedrigen Qualifikationen gesucht werden. Das war auch ein Grund, warum sich der Tourismus schwergetan hat, Leute nach der Krise zu finden: Jetzt gibt es überall offene Stellen.

STANDARD: Obwohl über einen Arbeitskräftemangel geklagt wird, sagen Flüchtlingsbetreuer, dass das AMS viel zu wenig tut, um geflüchtete zu unterstützen. Ist da was dran?

Kopf: Ich sage dazu:ja, aber. Wir haben aktuell 37.000 Konventionsflüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte, die beim AMS gemeldet sind. Da sind keine Menschen aus der Ukraine mitgezählt, die einen eigenen Status haben. Das ist ein Anstieg von zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Davon sind aktuell 14.000 Menschen in einer Schulung, zumeist in Deutschkursen. Dass wir nichts tun, dem würde ich widersprechen. Wir sollten jedoch mehr tun. Aber der Andrang von Flüchtlingen bei uns ist so gestiegen, dass wir die benötigten finanziellen Mittel für ihre Betreuung aus dem AMS-Regel-Budget sinnvollerweise nicht mehr alleine stemmen können. 2015 und 2016 kamen pro Monat 1500 Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte neu zum AMS. Dann sank die Zahl stark ab. Inzwischen sind es wieder 1200 im Monat.

Geflüchtete
Die Zahlen auf einen Blick
STANDARD

STANDARD: Was folgt daraus?

Kopf: Ich wünsche mir, so wie es das schon 2018 gegeben hat, ein Sonderbudget für die Integration der Geflüchteten. Das habe ich in den laufenden Budgetverhandlungen für 2024 zwischen Finanz-und Arbeitsministerium deponiert.

STANDARD: 2018 gab es 180 Millionen Euro extra fürs AMS. Die türkis-blaue Regierung wollte das abdrehen, Sie haben das kritisiert. Am Ende wurden die Mittel stark gekürzt. Wie viel stellen Sie sich jetzt vor?

Kopf: Zwischen 50 und 100 Millionen. Ich hielte das auch in Bezug auf die Finanzierungsquelle für sinnvoll. Integration ist eine gesamtstaatliche Aufgabe und nicht eine Aufgabe, die speziell die Arbeitslosenversicherung zu tragen hat. Unser Förderbudget dient dazu, arbeitslose Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen. Geflüchtete haben allerdings noch nicht in diese Versicherung eingezahlt. Die Integration dieser Menschen ist sozialpolitisch wichtig und ökonomisch sinnvoll. Es ist viel günstiger, wenn diese Menschen auf eigenen Beinen stehen, als sie zu alimentieren. Aber es ist eine außerordentliche Aufgabe aus Sicht des AMS.

STANDARD: Was würde mit dem Geld geschehen?

Kopf: Der Großteil dieses Geldes würde nach Wien gehen. Zum einen leben drei Viertel aller vorgemerkten Geflüchteten in Wien. In Wien ist mittlerweile jeder fünfte Arbeitslose eine geflüchtete Person. Darunter sind ganz viele Jugendliche. Sie sollten nicht nur von einem Deutschkurs in den nächsten geschickt werden. Sie gehören den ganzen Tag produktiv beschäftigt. Eine Kombination aus Deutschkurs, fachlicher Orientierung und Lernen ist nötig. Wir haben in Wien ein Instrument aufgebaut, das Jugendcollege. Dort sind Jugendliche 30 Stunden pro Woche betreut.

STANDARD: Kann Integration damit gelingen?

Kopf: Ich denke schon. Wir beobachten beim AMS unter anderem den Arbeitsmarkterfolg von 9500 Menschen, die 2015 Asyl oder subsidiären Schutz bekommen haben und sich bei uns gemeldet haben. Im Juni 2016 waren zehn Prozent dieser Menschen in Beschäftigung. Im Juli 2023 waren es 57,4 Prozent. Wir haben mehrerer solcher Kontrollgruppen. Jene, die 2019 Asyl bekommen haben, sind heute bereits zu 52,3 Prozent in Beschäftigung. Die Integration gelingt also auch schneller.

STANDARD: Wie definiert man Erfolg bei der Integration der Geflüchteten? Die Beschäftigungsquote der Inländer liegt irgendwo um die 80 Prozent, ist also viel höher.

Kopf: Sie können diese Quoten nicht miteinander vergleichen. Ältere Menschen oder kranke Menschen haben sich nie bei uns gemeldet, die sehe ich in der Statistik nicht. Außerdem ist der Indikator bei unseren Kontrollgruppen sehr streng: Wer nur kurzfristig nicht arbeitet, etwa wegen der Geburt eines Kindes, wird nicht mehr als beschäftigt gewertet. Ich sehe in der Statistik auch nicht, wer von den 9500 ins Ausland gegangen ist. Ich würde sagen heute arbeiten 50.000 bis 60.000 Menschen, die 2015 aus Flüchtlingsländern gekommen sind, zusätzlich bei uns. Integration ist eine Herkulesaufgabe. Aber das ist doch etwas. (András Szigetvari, 11.9.2023)