Gauff hebt den Pokal der US Open. Ihr Turniersieg soll dem ganzen Tennissport helfen.
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Die größte Überraschung des Abends kam 19 Minuten nach dem Matchball. Coco Gauff hatte ihre Siegesrede fast beendet, da sprach sie noch einmal ins Mikrofon. "Danke an die Leute, die nicht an mich geglaubt haben", sagte sie – und man merkte, diese Botschaft lag ihr am Herzen, die hatte sie sich im Vorhinein zurechtgelegt. Gauff erklärte, die Zweifler hätten ihr den Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier nie zugetraut: "An all jene, die dachten, sie schütten Wasser auf mein Feuer: Das war in Wirklichkeit Öl. Ich brenne mittlerweile ganz hell."

Mit 19 Jahren hat Gauff am Samstagabend die US Open gewonnen. Im Finale von New York besiegte sie die Belarussin Aryna Sabalenka 2:6, 6:3, 6:2 und verwirklichte einen langersehnten Traum; nicht nur ihren eigenen, sondern den Traum der ganzen Tennisszene, die auf der Suche nach einem neuen Superstar voll auf die US-Amerikanerin setzt.

Gauff erreichte im Sommer 2019 das Achtelfinale von Wimbledon, da war sie gerade einmal 15 Jahre alt. Wenige Monate später feierte sie in Linz ihren ersten Turniersieg bei den Profis. Schon damals sprachen Fachleute von einer künftigen Weltranglistenersten. Weil der Erfolg so früh kam, verbot man Gauff zeitweise die Teilnahme an Turnieren. Die Tennistour WTA will junge Spielerinnen schützen und limitiert die Anzahl an möglichen Turnieren auf zehn Profi-Events pro Jahr.

Behutsam an die Spitze

Im Sport herrscht Ungeduld, deshalb stellte sich die Frage, wann der erste große Titel Realität werden würde. Manchen dauerte es zu lange, sie ließen das Gauff wissen. Im Moment ihres größten Erfolgs antwortete sie mit sarkastischen Grüßen an ihre Kritiker.

Im Finale gegen Sabalenka wurde Gauff zunächst vom Powertennis der Gegnerin überrollt. Wenn die kraftvollen Schläge der Belarussin im Feld landen, ist sie ohnehin kaum zu schlagen; seit heute ist sie erstmals die Nummer eins der Welt. Doch ab dem zweiten Satz schien Sabalenka ihren Rhythmus zu verlieren. Ihre Angriffe mit der Vorhand gingen öfter ins Aus, Überkopfbälle schmetterte sie ins Netz. Die 23.000 Fans im Arthur Ashe Stadium feierten jeden Punkt Gauffs – und vor allem jeden Fehler Sabalenkas. Das machte sich mental bemerkbar, Sabalenka wurde frustrierter. Mehrmals stand sie da wie eine Schülerlotsin, die Arme vom Körper gestreckt, den Kopf zur Seite geneigt. Gauff hingegen spielte ihre große Qualität aus. Sie gilt als eine der fittesten und schnellsten Spielerinnen, wie ein Scheibenwischer huschte sie von einer Seite des Platzes zur anderen, um Bälle noch über das Netz zurückzuspielen.

Am Boden - aber nur vor Glück.
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Gauff stammt aus einer sportlichen Familie. Ihr Opa war Baseballer, ihre Mutter Highschool-Meisterin im Siebenkampf, der Vater College-Basketballer. Coco soll als vierjähriges Mädchen zum ersten Mal gesagt haben, sie wolle die größte Spielerin aller Zeiten werden. Die Familie zog nach Florida, um bessere Trainingsmöglichkeiten zu ermöglichen. Vater Corey gab seinen Beruf im Gesundheitssektor auf, um seine Tochter Vollzeit zu trainieren. Mutter Candi, vom Beruf Lehrerin, kümmerte sich um die schulische Erziehung. Als Coco zehn Jahre alt war, wechselte sie zur Akademie von Patrick Mouratoglou, dem langjährigen Trainer von Serena Williams. Die Eltern legten einen gut behüteten Pfad zum Tennisprofi. Nun erreichte die Karriere mit dem Tiffany’s-Pokal und drei Millionen US-Dollar Preisgeld einen Höhepunkt.

Bei den US Open saßen zwei Männer in Gauffs Betreuerbox, die erst im Sommer zu ihrem Team gestoßen sind. Pere Riba, ein nicht berühmter spanischer Ex-Profi, der in kurzer Zeit Ansehen als Trainer erlangte. Und Brad Gilbert, ein Landsmann Gauffs, der vor allem für seinen Ansatz bekannt ist, dreckige Siege einzufahren. Beide impften Gauff Selbstvertrauen ein, dass sie sich in engen Matches auf ihre Physis verlassen könne. Gauffs wackelige Vorhand wurde stabiler, vor den US Open holte sie Titel in Washington und Cincinnati.

Abseits des Platzes zeigt Gauff gesellschaftliches Engagement. Vor drei Jahren hielt sie bei einer Black-Lives-Matter-Demonstration eine Rede und forderte ein Ende der systematischen Polizeigewalt gegenüber der schwarzen Bevölkerung. In der vergangenen Woche äußerte sie Verständnis für Klimademonstranten, die ihre Halbfinalpartie unterbrachen. Erinnerung: Gauff ist gerade einmal 19 Jahre alt.

Präsidialer Druck

Auf Gauff warten Wochen im Rampenlicht. Der Sieg in New York ist wie die Erfüllung einer Bestimmung. Präsident Joe Biden gratulierte via X, vormals Twitter: "Du hast das ganze Land elektrisiert." Barack Obama, der Gauffs Erstrundenpartie im Stadion sah, postete: "Wir könnten auf und neben dem Platz nicht stolzer auf dich sein – und wir wissen, dass das Beste noch kommen wird." Gauff sagte, sie werde ihren Frieden behalten und alle Herausforderungen annehmen. "Ich bin bereit." (Lukas Zahrer, 11.9.2023)