"Am Anfang dachten wir, dass ihnen ein Fehler unterlaufen sei. Oder dass es sich um einen schlechten Scherz handle", sagt die Mutter. Es war aber kein Scherz: Ein in der Nähe von Treviso in Norditalien lebendes Elternpaar, das im Mai 2022 seinen 17-jährigen Sohn Davide bei einem Verkehrsunfall verloren hatte, muss für die Reinigung des Unfallorts aufkommen. So steht es in einer Rechnung der Behörden, die die Eltern unlängst in ihrem Briefkasten fanden. "Reinigung, Beseitigung der Trümmerteile, Sägemehl zur Absorbierung der verschütteten Flüssigkeiten: 183 Euro", heißt es da im Detail. Mit den "verschütteten Flüssigkeiten" war das Blut von Davide und das ausgelaufene Benzin seines Motorrollers gemeint.

Polizeiauto Italien
Italiens Behörden in der Kritik.
IMAGO/ZUMA Wire

Den Unfall verursacht hat ein 31-jähriger Beamter der Fremdenpolizei von Treviso, ein begeisterter Rugby-Spieler. Er hatte nach dem Spiel am fraglichen Nachmittag mit seinen Mitspielern ordentlich über den Durst getrunken, war danach ins Auto gestiegen und kurz darauf in einer Kurve mit übersetzter Geschwindigkeit auf die Gegenfahrbahn geraten, wo ihm Davide auf seinem kleinen Scooter entgegenkam. Der Jugendliche war auf der Stelle tot. Der Polizist hatte nach dem Unfall noch vergeblich versucht, ihn wiederzubeleben. Er wurde in Gewahrsam genommen, aber vom Untersuchungsrichter gleich wieder auf freien Fuß gesetzt: keine Vorstrafen, tadelloser Leumund, keine Flucht- oder Verdunkelungsgefahr.

Doch noch ein Urteil

Vor wenigen Tagen ist der Unfallverursacher wegen des neuen Tatbestands "Tötung im Straßenverkehr" im Schnellverfahren zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er wird die Strafe voraussichtlich nicht absitzen müssen und befindet sich auch längst wieder im Dienst. "Er hat uns unseren Sohn genommen, und er muss dafür keinen einzigen Tag im Gefängnis verbringen", sagt Davides Mutter. Sie könne das akzeptieren, auch wenn es schwierig sei; eine härtere Bestrafung des Täters würde ihr ihren Sohn ja auch nicht wieder zurückbringen. Der Polizist sei selber verzweifelt: Er habe sich bei ihr und ihrem Mann unter Tränen entschuldigt. "Wir hassen ihn nicht."

Etwas anderes ist natürlich die Rechnung der Behörden. Man kann sich fragen, warum diese die Eltern erhalten haben und nicht der Polizist – vermutlich ist nach Bürokratenlogik ausschlaggebend, dass es das Blut Davides war und das Benzin seines Rollers, das auf dem Asphalt vergossen wurde. Es war im Übrigen nicht das einzige Mal, dass sich die Behörden gegenüber den leidgeprüften Eltern unsensibel zeigten. Per Einschreiben waren sie, unter Androhung eines Bußgeldes, auch aufgefordert worden, Davides Scooter wieder abzuholen, nachdem dieser unfalltechnisch untersucht worden war. Und die Freundin Davides durfte sich im Prozess gegen den Polizisten nicht als Privatklägerin beteiligen: Sie sei ja weder verwandt noch verheiratet mit dem Toten.

Großes Medienecho

Der eklatante Fall von Behördenversagen ist von allen Medien in Italien aufgegriffen worden und hat Empörung ausgelöst. Aber erstaunt hat es letztlich niemanden: Jede Italienerin und jeder Italiener wird irgendwann in seinem Leben Opfer von Bürokratiewahnsinn, in der Regel mehr als einmal. Was den Eltern von Davide zunächst wie ein schlechter Scherz erschien, ist nicht mehr als eine weitere, absurde Fehlleistung einer Verwaltung, die von niemandem kontrolliert wird und die vor nichts Halt macht, nicht einmal vor dem unbeschreiblichen Schmerz von Eltern, die – durch schuldhaftes Verhalten eines anderen Staatsdieners – ihr Kind verloren haben. (Dominik Straub aus Rom, 11.9.2023)