Self-service e-scooters parked in Paris, France, 01 April 2023.
In Barcelona und Paris ist das Leihscooter-Geschäft verboten. In anderen Städten, etwa Wien, wurden die Vorgaben verschärft. Die Umsätze weltweit und in Europa steigen bei den großen Anbietern dennoch kräftig.
EPA/Yoan Valat

Es wirkt widersprüchlich. Aus Paris werden elektrisch betriebene Leihscooter verbannt, in Wien und anderen Städten werden die Flotten reduziert und mit strengen Regeln belegt. Nun aber präsentiert der Weltmarktführer Lime Rekordzahlen für das erste Halbjahr 2023. Ein Ausreißer? Oder übertönt die lautstark geführte Debatte in der Öffentlichkeit die tatsächlichen Entwicklungen?

"Das ist das größte Jahr in der Geschichte der Mikromobilität", sagt jedenfalls Lime-CEO Wayne Ting im STANDARD-Gespräch. Dabei ist die letzte Hiobsbotschaft in Europa noch gar nicht lange her. In einer scheinbar eindeutigen Bürgerbefragung in Paris wurde mietbaren E-Scootern eine Absage erteilt, seit September sind sie nun nicht mehr Bestandteil des Stadtbildes.

Die anfängliche Sorge hinsichtlich eines Dominoeffekts in der Branche wurde nicht selten geäußert, dabei ist Paris längst nicht die erste Stadt, in der die Roller verboten sind. Wie eine Analyse des Unternehmensberaters McKinsey zeigt, gab es nämlich schon vor dem Inkrafttreten des Verbots in Paris zahlreiche Metropolen, die keine Leihscooter auf ihren Straßen erlaubten. 35 der 100 bevölkerungsreichsten Städte haben demnach dem Scooterverleih eine Absage erteilt.

Verbote und strenge Regeln

Was die Analyse aber auch zeigt: Ein nicht unwesentlicher Anteil der Verbote entfällt auf Metropolen in China. Der Markt in Europa und Nordamerika ist vergleichsweise liberal, auch wenn vereinzelte Großstädte wie Barcelona, Toronto und Philadelphia die Türen für Leihscooter verschlossen halten.

Wie sich das Verbot in Paris nun tatsächlich auf die Branche auswirkt, ist noch nicht auszumachen. Die Zahlen von Branchenprimus Lime sind zwar eindrucksvoll; immerhin konnte der Umsatz um 45 Prozent gesteigert werden, die Rekorde der Nutzerzahlen aus vergleichbaren Vorjahreszeiträumen nochmals überboten werden. Allerdings handelt es sich um das Halbjahresergebnis, die Zahlen spiegeln also die Entwicklung vor dem Verbot wider.

Doch auch aus einem anderen Grund muss Paris nicht zwanghaft als Brandbeschleuniger für andere Städte wirken. Bei der Bürgerbefragung, die zum Verbot geführt hat, war die Wahlbeteiligung äußerst gering. Soll heißen: Einem Bruchteil der Stadtbevölkerung sind die Leih-Scooter ein Dorn im Auge, die überwiegende Mehrheit dürfte sich nicht weiter damit beschäftigen. Genau diese Verteilung dürfte auch eine Erklärung sein, warum es in öffentlichen Debatten um Nachhaltigkeit und Verkehrssicherheit heiß hergeht, die Nutzerzahlen aber dennoch zunehmen.

Glaubt man den Branchengrößen um Lime und Europas größten Anbieter, den schwedischen Betreiber Voi, gab es kaum bessere Zeiten für die Leihscooter. Auch Voi konnte seine Umsätze im Vorjahr kräftig steigern, die Nettoumsätze in Deutschland und Großbritannien legten um 30 Prozent zu.

Dass zwei der größten Branchenvertreter derart florieren, hat aber auch andere Gründe. Lime etwa musste zwar seine Scooter in Paris einziehen, hat im Gegenzug aber einen großen Auftrag der Stadt für Leih-E-Bikes an Land gezogen.

Gewinne eine Seltenheit

Über eines können die positiven Unternehmenszahlen aber nicht hinwegtäuschen. Die Leihscooterbranche ist ein hartes Pflaster, viele Start-ups scheitern oder werden von der Konkurrenz aufgekauft.

Selbst für Lime und Voi ist ein positives Ergebnis am Ende des Tages eine Besonderheit. Lime schaffte es 2022 erstmals in die schwarzen Zahlen, konnte im ersten Halbjahr 2023 den Trend nun weiter fortsetzen. Und auch Voi konnte zwischen April und Juni dieses Jahres erstmals ein ganzes Quartal lang profitabel wirtschaften.

Für die Unternehmen sind das Meilensteine, für die Branche große Fortschritte – womit sich die Mikromobilität, seien es Leihscooter oder E-Bikes, wohl schrittweise im Stadtbild etabliert. Wenn auch unter restriktiveren Bedingungen. (Nicolas Dworak, 12.9.2023)