Über Wein lässt sich trefflich streiten, was die Qualität und die Preise betrifft. Künftig werden Winzer darüber mehr denn je debattieren. Viele unter ihnen mit harten Bandagen. Es geht um den Wert einzelner Weinberge in Österreich, um die Macht des Marketings – vor allem aber um sehr viel Geld.

Österreichs Weinbau erstreckt sich über 48.000 Hektar. Eine Klassifizierung nach Lage soll die Vermarktung vereinfachen.
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Der Grund dafür trägt den sperrigen Namen Lagenklassifikation. An die zehn Jahre lang kämpften Traditionsweingüter dafür, bundesweit auf gesetzlicher Ebene Weinbergslagen zu definieren, die ihrer Ansicht nach erstklassigen Rebensaft hervorbringen. Bislang übte sich darin weltweit allein Frankreich.

Jüngst gab ihnen dafür die Regierung über eine neue Sammelverordnung grünes Licht – obwohl es an hartem Widerstand nicht fehlte.

Die finale Unterschrift von VP-Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig machte es möglich: Künftig entscheiden regionale und nationale Weinkomitees darüber, welche Rieden sich hierzulande "Erste Lage" oder "Große Lage" nennen dürfen.

Bessere Orientierung

Die neuen Regeln sollen Konsumenten eine bessere Orientierung durch das Dickicht unzähliger Prädikate, Rebsorten, Orts- und Fantasienamen geben. Nicht zuletzt aber will die Klassifizierung nach Herkunft damit ausgezeichneten Betrieben Wettbewerbsvorteile verschaffen.

Mit "Großen Lagen" warben private Winzervereinigungen schon bisher gerne. Neu ist, dass dafür nun bundesweit einheitliche Kriterien auf Basis eines Klassifizierungsdokuments kreiert wurden. Österreich setzt sich damit international scharfer Beobachtung aus: Scheitert das Vorhaben, riskieren Weingüter, an Glaubwürdigkeit zu verlieren. In der Weinwirtschaft selbst treibt die vermehrte Liebe zu regionaler Herkunft einen Keil in die Branche. Von der Gefahr massiver Ungleichbehandlung ist die Rede.

Vor allem kleinere, international wenig bekannte Weingüter haben Angst, unter die Räder zu kommen. An Emotionen fehlte es im Weingeschäfte noch nie. Derzeit aber sei ein selten dagewesener Grad an Frustration erreicht, erzählen Winzer im Gespräch mit dem STANDARD.

Sich offen gegen die Verordnung zur Wehr zu setzen, wagt vorerst keiner. Zu groß ist die Sorge vor Unwägbarkeiten kurz vor der Weinernte.

Wachsender Wert

Wer seine Ried rechtlich abgesegnet "Große Lage" nennen darf, genießt mit einem Schlag höhere Bonität bei Banken. Der Wert der Trauben und des Weins wächst ebenso wie jener des Grundstücks. Wettbewerbsvorteile von einer günstigeren Finanzierung bis hin zu einer höheren Werbewirksamkeit werden quasi vererbbar, ohne sich qualitativ mit Konkurrenten messen zu müssen.

Teilen Österreichs Winzer künftig ihre eigenen Grundstücke in erste Lagen ein, fragen sich Weinbauern, die vor Interessenkonflikten warnen. Die neben Vertretern aus Landwirtschafts- und Wirtschaftskammer mit Experten und Expertinnen besetzten Komitees seien völlig intransparent. Was, wenn sich die Leitbetriebe externe Fachleute holten, die ihnen zupasskämen?

Maßgeschneiderte Kriterien?

Die Gefahr sei groß, dass in der Praxis wenige Unternehmen einander gute Lagen "zuschanzten", befürchten Winzer. Bisherige Bewertungskriterien erscheinen ihnen geradezu maßgeschneidert für eine bestimmte Klientel an Leitbetrieben.

Gezieltes Marketing und regionaler Patriotismus seien wichtig, was derzeit passiere, sei aber ein Eingriff in Eigentum, eine Umwidmung von Grundstücken, obwohl die Lage eines Weinberges allein nicht zwangsläufig hohe Qualität verspreche, so der Tenor der Kritiker. Was zusätzlich für Aufregung sorgt, ist die Begrenzung der klassifizierten Lagen auf 35 Hektar. Konflikte ob der aus ihrer Sicht willkürlichen Grenzziehung seien damit programmiert.

Unterm Strich pushe die zusätzliche Herkunftskennzeichnung ohnehin gut geförderte, international erfolgreiche Winzer. Für den Rest fielen nur ein paar Brösel ab.

Über den Wert der Trauben entscheiden künftig auch regionale und nationale Weinkomitees. Kritiker befürchten Ungleichbehandlung.
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Die Lagenklassifikation sei keine "Nacht-und-Nebel-Aktion", sondern Resultat komplexer, langwieriger Prozesse, hält Michael Moosbrugger, Obmann der Traditionsweingüter, dagegen. Die Vermarktung nach Herkunft sei sozial und demokratisch: Denn eine Herkunftsbezeichnung gehöre nicht Einzelnen, sondern einer Gruppe von Winzern, von deren Bekanntheit wiederum andere, unbekanntere Betriebe dank Imagetransfers profitierten.

Wer in der internationalen Weinwelt kein Underdog sein wolle, brauche einfachere Kategorien, um zu kommunizieren, sagt Moosbrugger. Das gelte auch für Herkunftsbezeichnungen. "900 verschiedene Ortsnamen und 4000 Rieden sind problematisch."

Was sind die neuen Voraussetzungen, um Wein mit "Großer Lage" zu versehen? Als Bewertungsgrundlage dienen die historische Bedeutung der Rieden, Geologie, Klima und Exposition. Entscheidend sind aber auch Wert und Menge des Weins, also marktwirtschaftliche Belange.

Lese per Hand ist Pflicht. Gesetzlich verankert ist zudem ein Höchstertrag je Hektar. Warum wurde die Grenze bei 35 Hektar eingezogen? Man wolle die Latte höher legen als Frankreich, sagt Moosbrugger. Und am Ende des Tages müsse man auf gemeinsame Nenner kommen. Wobei es keinesfalls um Qualität an sich gehe, wie Moosbrugger hinzufügt. Abgebildet werde vielmehr die Bedeutung eines Weingartens im Kontext seines kulturellen und wirtschaftlichen Umfelds. "Das ist messbar."

Heikle Grenzen

Skeptische Stimmen infolge der weitreichenden Klassifikation mehren sich aber auch unter Experten.

Astrid Forneck, Leiterin des Instituts für Wein- und Obstbau an der Boku, hält kleinräumige Grenzziehungen aus Sicht der Wissenschaft für heikel. "Durch den Klimawandel werden sich Grenzen vermischen." Als Winzerin propagiere sie Vielfalt. "Jeder Betrieb soll die Möglichkeit haben, erfolgreich zu sein – unabhängig von seiner Herkunft."

Andere Fachleute warnen vor Elitenbildung. Bezeichnungen für Rieden seien über Jahrhunderte gewachsen, sie durch künstliche Grenzen zu durchschneiden sei bedenklich.

Zu hinterfragen ist ihrer Ansicht nach, ob diese Klassifizierung den Gleichheitsgrundsatz verletzt – und damit juristisch angreifbar ist. Europarechtsexperte Walter Obwexer hat die Verordnung im Detail noch nicht geprüft. Generell gelte, dass Weingüter in gleichen Lagen gleich zu behandeln seien, erläutert er auf Anfrage. Wein zu klassifizieren sei zulässig, sofern es eine gute sachliche Rechtfertigung dafür gebe. Mit Kriterien wie der historischen Bedeutung einer Ried lasse sich die Qualität eines Weins nicht belegen.

Rechnung geht auf

Abgrenzungen nach Herkunft bewähren sich finanziell, das bewiesen Produkte wie der Parmaschinken, sagt Agrarökonom Franz Sinabell vom Wifo. Wie groß dieser ökonomische Vorteil tatsächlich sei, gehöre wissenschaftlich untersucht.

Kriterien, nach denen Grenzen gezogen würden, dürften nicht willkürlich sein. Es brauche hohe Transparenz und Nachvollziehbarkeit, betont Sinabell. Sonst hätten andere Marktteilnehmer das Nachsehen.

Der Landwirtschaftssprecher der Grünen, Clemens Stammler, teilt die Sorge der Branche, dass vor allem kleine, individuelle Weinbaubetriebe benachteiligt werden könnten. Dennoch sei es wichtig gewesen, bundesweit einheitliche Standards zu verankern, damit nicht jeder sein eigenes Süppchen koche.

Josef Glatt, Geschäftsführer des Weinbauverbands, räumt ein, dass es schwierig sei, objektive Kriterien zu schaffen. "Es wäre leichter gewesen, politisch nichts zu machen."

Glatt ist dennoch überzeugt, dass der Versuch einer nachvollziehbaren, vergleichbaren Klassifikation mitsamt neutral besetzter Komitees gelungen ist. Ganzen Weinbaugebieten werde damit zu einem neuen Schub verholfen. Ziel sei, Österreichs Weinwirtschaft weiter zu entwickeln und international Zeichen zu setzen. (Verena Kainrath, 13.9.2023)