Patientin und Ärztin in einer Ordination, beide tragen einen Mund-Nasen-Schutz
Aktuell würden Patientinnen und Patienten einer Corona-Infektion "ungehindert ausgesetzt", kritisieren Fachleute und fordern die Rückkehr von Maßnahmen wie der Maskenpflicht in Praxen.
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Als Anfang des Sommers die Maßnahmen in den Gesundheitseinrichtungen endeten, waren viele erleichtert. Videos von Pflegekräften, die freudig ihre FFP2-Masken verbrennen, gingen in sozialen Medien viral. Für viele markierte das Fallen der Schutzmaßnahmen auch in Ordinationen, Spitälern und Pflegeeinrichtungen endgültig die Rückkehr zur Normalität.

Aber nicht alle waren davon begeistert, beobachtete Golda Schlaff. Die Medizinerin war zwar in den vergangenen Jahren familiär bedingt nicht als Ärztin tätig, aber unter den Ärztinnen und Ärzten in ihrem Bekanntenkreis wurden rasch kritische Stimmen laut. "So kam die Idee, einen offenen Brief zu schreiben", erzählt sie dem STANDARD.

Infektionen "ungehindert ausgesetzt"

Darin schreib sie: "Es ist uns ein Anliegen, mit diesem Brief die Ärzteschaft in Österreich an unsere oberste berufliche Priorität zu erinnern: den Schutz der Gesundheit unserer Patienten und Patientinnen!" Denn seit dem Wegfall der offiziellen Schutzmaßnahmen im medizinischen Bereich würden Patienten und Patientinnen sowohl im niedergelassenen Bereich als auch in Spitälern dem Risiko einer Infektion mit Sars-CoV-2 "ungehindert ausgesetzt". Viele Menschen hätten keine Möglichkeit, sich verlässlich zu schützen, und würden im Rahmen des Gesundheitswesens "zu einer möglicherweise folgenschweren Covid-19 Infektion gezwungen", warnt die Medizinerin und fordert unter anderem Maßnahmen wie Luftreinigungsfilter in Warteräumen und die Rückkehr von FFP2-Masken.

Vor allem jetzt im Herbst mit dem Ansteigen der Infektionszahlen brauche es dringend wieder entsprechende Maßnahmen, ist Schlaff überzeugt. "Man muss nur an einen Patienten denken, der nach einer Herzoperation im Spital liegt und dort Corona bekommt. Nach einer Operation ist das Thromboserisiko wesentlich erhöht. Und dann kommt noch eine Corona-Infektion dazu, die auch das Thromboserisiko erhöht. Das ist keine gute Kombination", erklärt Schlaff.

Aufklärung über Folgeerkrankungen

Neben konkreten Maßnahmen geht es der Initiatorin mit dem offenen Brief vor allem auch um Aufklärung. Sehr viele, auch von ärztlicher Seite, würden Covid-19 bloß als einen weiteren grippalen Infekt sehen. "Aber das ist es nicht. Es wirkt zwar so, weil die akuten Infektionen nicht mehr schwer verlaufen, aber das Risiko für Folgeerkrankungen ist im Vergleich zu anderen viralen Infekten wesentlich erhöht", sagt Schlaff.

Das habe man schon bei Infektionen mit anderen Coronaviren, etwa dem MERS-CoV, vor über zehn Jahren beobachtet: Das Risiko für einen Schlaganfall, eine Lungenembolie oder eine Thrombose ist nach einer Corona-Infektion deutlich erhöht. "Bei manchen kommt es nicht bei der ersten, aber dann eben bei der dritten oder vierten Infektion zu Folgeschäden. Jedoch werden die oft nicht in Zusammenhang mit der vorangegangenen Corona-Erkrankung gebracht, weil diese Dinge erst ein paar Wochen danach passieren. Aus Studien wissen wir allerdings, dass es einen klaren Zusammenhang gibt", betont die Medizinerin.

Pandemiemanagement "erschreckend"

Zahlen dazu gebe es mittlerweile viele. Seit über drei Jahren werde intensiv zu Folgeschäden und Präventionsmaßnahmen geforscht. Aber trotzdem sei hierzulande "der Umgang mit dieser Gesundheitskrise absolut erschreckend", heißt es im Brief. Unterzeichnet wurde er von Fachleuten, die sich klinisch oder wissenschaftlich mit Covid-19 auseinandersetzen – darunter etwa Arschang Valipour, Vorstand der Abteilung für Innere Medizin und Pneumologie der Klinik Floridsdorf in Wien, Kathryn Hoffmann, Leiterin der Abteilung für Primary Care Medicine am Zentrum für Public Health der Med-Uni Wien, und die Kardiologin Mariann Pavone-Gyöngyösi von der Med-Uni Wien. Auf X, vormals Twitter, haben sich mittlerweile auch andere Medizinerinnen und Mediziner mit den Anliegen der Autorinnen und Autoren solidarisiert.

"Dazu kommen die vielen Expertinnen und Experten, die mich zwar in meinem Vorhaben bestärkt haben, den Brief aber nicht namentlich unterschreiben wollten, weil sie während der Pandemie bereits mit vielen Anfeindungen zu tun hatten. Traurig, dass Medizin und Maßnahmen zum Schutz der Schwächeren so politisch geworden sind", findet die Initiatorin. Aktuell sei sie in Gesprächen mit der Ärztekammer, bestätigt Schlaff gegenüber dem STANDARD – und hofft, dass sie dort Gehör findet. (Magdalena Pötsch, 12.9.2023)