Oskar Lafontaine überreicht Gerhard Schröder Blumen.
Das waren noch Zeiten: Im April 1998 gratulierte SPD-Chef Oskar Lafontaine (rechts) Gerhard Schröder zu dessen Nominierung als Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl.
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Vielleicht ist es Altersmilde. Oder die Erkenntnis, dass sie im fortgeschrittenen Alter beide nicht mehr so viele Weggefährten und Weggefährtinnen um sich haben, weil sie sich ja alle zwei mit ihnen überworfen haben. Jedenfalls platzte ins politische Berlin nun diese Meldung, die eigentlich kaum noch wer für möglich gehalten hatte: Der ehemalige deutsche Kanzler Gerhard Schröder (1998 bis 2005) und sein Kurzzeitfinanzminister Oskar Lafontaine (1998 bis 1999) haben offenbar begonnen, das Kriegsbeil zu begraben.

Das berichtet der "Stern" und weiß auch, wo die Annäherung der beiden stattfand: in Lafontaines Haus im Saarland. Dort, so das Magazin, hätten sich schon im Frühjahr sehr geheim die beiden Männer mit ihren Ehefrauen Sahra Wagenknecht (Team Lafontaine) und So-yeon Schröder-Kim (Team Schröder) getroffen und fünf Stunden lang miteinander geredet – zeitweilig allein, dann wieder zu viert. Seither haben sie ein paar Mal telefoniert, und nun gratuliert Schröder Lafontaine zu dessen Achtziger am 16. September.

"Lieber Oskar", schreibt Schröder im "Stern", du bist wieder einmal schneller als ich. Am 16. September dieses Jahres wirst Du 80 Jahre alt, ich erst am 7. April nächsten Jahres. Zu Deinem 80. Geburtstag gratuliere ich Dir sehr herzlich!" Zu Beginn des gemeinsamen Lebensweges sei "eine solche Gratulation eine Selbstverständlichkeit" gewesen, so Schröder. "Im Laufe der Jahre gab es 'Irrungen und Wirrungen', um Theodor Fontane zu zitieren. 80 Jahre alt zu werden ist gewiss ein Grund, alte Reibereien Geschichte werden zu lassen. Ad multos annos – und: danke für Deine jahrzehntelange Freundschaft – auch in schwierigen Zeiten! Für das neue Lebensjahr wünsche ich Dir alles Gute, Glück und Gesundheit", schreibt der Sozialdemokrat und endet mit: "Beste Grüße, Dein Gerd."

Gemeinsam zum Wahlsieg 1998

Schröder und Lafontaine waren lange enge politische Weggefährten gewesen. Im Bundestagswahlkampf 1998 (zur Abwahl des damals regierenden CDU-Kanzlers Helmut Kohl) waren sie zwar gemeinsam aufgetreten und hatten für das rot-grüne Projekt gekämpft. Schröder war mehr der "Genosse der Bosse", der sich für einen wirtschaftsfreundlicheren Kurs einsetzte, während Lafontaines Herz links schlug und er den starken Sozialstaat im Auge hatte.

Der Niedersachse Schröder sprach die politische Mitte an, der Saarländer Lafontaine die Linken, gemeinsam gelang ihnen ein fulminanter Wahlsieg. Heute unvorstellbare 40,9 Prozent erreichte die SPD am 27. September 1998, die CDU nur 35,1. Damit war Kohl nach 16 Jahren im Kanzleramt Geschichte.

Doch die Männerfreundschaft der beiden Alphatiere währte nicht lange, denn die Konstruktion war eine schwierige: Einerseits stand Schröder als Kanzler über Lafontaine, der das Finanzministerium innehatte. Andererseits war Lafontaine auch SPD-Chef und fand, Schröder solle die Politik machen, die der Sozialdemokratie gefalle.

Am 10. März 1998 erklärte Schröder in der Kabinettssitzung, Politik gegen die Wirtschaft sei "mit ihm nicht zu machen". Einen Tag später erreichte ihn im Bonner Kanzleramt ein kurzes Schreiben von Lafontaine. Darin hieß es: "Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, ich trete hiermit als Bundesminister der Finanzen zurück. Mit freundlichen Grüßen, Oskar Lafontaine." Gleichzeitig legte Lafontaine den SPD-Vorsitz und sein Bundestagsmandat nieder.

Von der SPD zur Linkspartei

Es war der Beginn einer Feindschaft, die ein Vierteljahrhundert währen sollte. Die beiden sprachen bis vor kurzem nie wieder ein Wort miteinander, Lafontaine überzog Schröder und die SPD lange mit Häme und Kritik – vor allem nachdem 2005 Schröders Agenda 2020 mit den Hartz-IV-Gesetzen in Kraft getreten war. Diese brachten einschneidende Kürzungen im Sozialbereich und kosteten Schröder auch den Job.

Nach der Bundestagswahl 2005 wurde er von Angela Merkel abgelöst. Im selben Jahr gründete Lafontaine die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG), die 2007 mit der aus der DDR übriggebliebenen Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) die gesamtdeutsche Linke bildete. Lafontaine führte sie von 2007 bis 2010.

2010 hatte Lafontaine, ebenfalls im "Stern", Bereitschaft zur Versöhnung mit Schröder signalisiert, aber eine Bedingung gestellt. Schröder müsse auf ihn zugehen. Denn, so Lafontaine: "Es gibt Regeln im Leben: Der Jüngere grüßt den Älteren." Und schließlich ist Schröder sieben Monate jünger als "Lafo".

Jetzt sind sie gemeinsam fast 160 Jahre alt und beide politisch einsam. Schröder wird von den Genossinnen und Genossen wegen seiner Nibelungentreue zum russischen Präsidenten Wladimir Putin gemieden. Lafontaine war zuletzt im Saarland politisch aktiv, doch 2022 trat er aus der Linkspartei aus, weil sie seiner Ansicht nach nicht mehr genug für soziale Gerechtigkeit kämpfe.

Sieben Monate sind es noch bis zu Schröders Achtziger im April 2024. Wer weiß, vielleicht gratuliert ihm Lafontaine dann ja auch öffentlich. Und die Krönung wäre ein gemeinsames Foto. (Birgit Baumann aus Berlin, 12.9.2023)