Die iranische Sportjournalistin Saeedeh Fathabadi Fathi wollte im Vorjahr mit ihrem Ehemann in Österreich ein neues Leben beginnen. Als sie wenig später ihrer Familie in Teheran einen Besuch ­abstattete, erfuhr die Öffentlichkeit im Iran gerade vom brutalen Tod der jungen Frau Mahsa Jina Amini. Auf die Massenproteste folgten Repressionen. Aus Fathis Kurzbesuch wurden zwei schreckliche Monate im Gefängnis Evin, wie sie dem ­STANDARD im Wiener Exil erzählt.

Der Iranerin Fathi leidet immer noch an den Folgen der Haft.
APA/ROBERT JAEGER

STANDARD: Erinnern Sie sich an den Moment, als Sie von Mahsa Aminis Tod erfuhren?

Fathi: Natürlich. Meine Freundin und Kollegin Niloofar Hamedi hatte mir kurz zuvor berichtet, dass sie Mahsa Amini im Koma im Krankenbett gesehen hatte. Das Bild ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie postete ein Foto der trauernden Eltern im Netz und machte auf den Fall aufmerksam. Als sie starb, waren wir erschüttert. Uns war klar, dass etwas passieren würde, dass es einen Aufschrei geben würde. Er ließ nicht lange auf sich warten. Niloofar sitzt wegen des Fotos seither ohne Urteil in Evin.

STANDARD: Haben Sie sich den Protesten angeschlossen?

Fathi: Weil sich meine Familie um mich sorgte, wollte ich erst nicht daran teilnehmen. Doch als ich all die jungen Frauen und Männer sah, die sich so mutig den Sicherheitskräften entgegenstellten, konnte ich nicht fernbleiben. Jede Frau im Iran hat in ihrem Leben Schikanen erlebt. Ich war früher oft bei Demos, um etwas zu verändern, doch es wurde nur schlimmer. Die Jungen haben mir wieder Hoffnung gegeben.

STANDARD: Warum wurden Sie inhaftiert?

Fathi: Eines Abends klopften sieben Männer und eine Frau an die Tür. Es war der 16. Oktober, der Tag nach dem Brand im Evin-Gefägnis. Sie nahmen mir meine Festplatten ab und brachten mich mit verbundenen Augen nach Evin – nur zwei Stunden nachdem ich wegen des Feuers in sozialen Medien besorgt nach Niloofar gefragt hatte. Sie hätten mich schon lange auf dem Radar gehabt, sagten sie im Verhör. Ich hätte mit meinen Artikeln und Dokumentarfilmen, in denen es oft um iranische Sportlerinnen geht, schon alle roten Linien überschritten.

STANDARD: Was mussten Sie in Evin ertragen?

Fathi: Es war mentale Folter. Ich wusste nicht, wie lange ich dortbleiben würde. Sie lasteten mir Propaganda und Verschwörungsabsichten an und drohten mit bis zu zehn Jahren Haft. Wir waren oft zu neunt in einer winzigen Zelle und mussten auf dem Boden schlafen, ohne Pöls­ter. Grelles Licht brannte 24 Stunden am Tag. Ich wurde dem Haftrichter oft vorgeführt, doch meine Freilassung wurde stets abgewiesen. Erst im Dezember kam ich gegen Kaution, mit einer Reisesperre und massiven Rückenschmerzen davon. Als der Oberste Revolutionsführer Ali Khamenei im Februar dann Massenbegnadigungen aussprach, sagte mein Mann: Wenn du das Land jetzt nicht verlässt, dann sitzt du zehn Jahre hier fest. Er hat recht behalten: Viele, die damals begnadigt wurden, sind längst wieder in Haft. Ich bin frei, aber in der Nacht in meinen Träumen kehre ich immer wieder dorthin zurück. Und im Iran wird nun meine Familie und insbesondere mein Bruder meinetwegen immer wieder vorgeladen und bedroht.

STANDARD: Das Regime hat die Proteste zerschlagen. Lebt die Bewegung im Iran denn noch?

Fathi: Sie findet neue Wege. Viele Frauen verweigern heute das Kopftuch. Künstler verpacken den Protest in Songtexte und Streetart oder kritisieren das Regime online. Der Fall Mahsa Amini hat den Mut in der Gesellschaft geweckt und wie nichts zuvor die Menschen geeint. In meiner Zelle begegneten mir lauter junge Frauen der Generation Z. Sie alle haben gesagt: Wir haben keine Angst mehr, wir haben nichts zu verlieren. Es gibt kein Zurück mehr, das weiß auch das Regime. (Interview: Flory Mory, 13.9.2023)