Eine Packung Zigaretten als Geschenk für den Gastgeber; eine Schachtel, um sich mit dem behandelnden Arzt gut zu stellen; und ein Internetstar, der mit Kettenrauchen berühmt wird: China ist ein Land des Tabakkonsums. Obwohl der einwohnerreichste Staat der Welt seine Gesellschaft mit Hochdruck modernisieren will, steckt er beim Rauchen in der gesundheitspolitischen Vergangenheit fest.

Die Zahlen sprechen Bände: Mehr als 2,4 Billionen Zigaretten werden jährlich in China verkauft. In Statistiken über den Tabakkonsum wäre das Land selbst dann noch auf Platz eins, wenn man den Verbrauch der Länder auf den Plätzen zwei bis 68 zusammenzählen würde.

All das nützt einem staatlichen Unternehmen, das ungeheuer mächtig ist: der China National Tobacco Corporation. Eine Recherche von dem gemeinnützigen Investigativnetzwerk "The Examination", "Spiegel", STANDARD und dem chinesischsprachigen Medium "Initium" zeigt nun, welche wichtige Rolle China Tobacco im Staatsgefüge spielt und wie der Monopolist gesundheitspolitische Reformen blockiert oder schwächt.

Ein chinesischer Raucher
2,4 Billionen Zigaretten werden jährlich in China verkauft.
AFP/HECTOR RETAMAL

"Wenn der Chef von China Tobacco mit einem Bürgermeister redet, ist es, als würde ein Vorgesetzter mit einem Untergebenen sprechen", sagt ein chinesischer Gesundheitsexperte, der nicht namentlich genannt werden will. Den Tabakkonsum in China hält er für "eines der größten Gesundheitsprobleme der Welt".

Das Erstaunliche daran ist, dass der chinesische Präsident Xi Jinping das ähnlich sehen dürfte: Im Jahr 2013, als er noch im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei für die zentrale Parteihochschule tätig war, gab Xi einen Bericht über Chinas Tabakkonsum in Auftrag. Als "größten Mörder" von Chinesen und "giftiges Produkt" bezeichnete der 239-seitige Bericht Zigaretten. Empfohlen wurden weitreichende Reformen, etwa ein Ende des Monopols für China Tobacco.

Rauchen sei "nicht gut für das Land", soll Xi selbst gesagt haben, als er im Mai 2012 den Microsoft-Gründer und Philanthropen Bill Gates traf. Xi habe damals erzählt, dass er selbst bis zu seiner Hochzeit geraucht und sich "viel besser gefühlt" habe, nachdem er aufgehört hatte, erinnert sich die Epidemiologin Ray Yip, die damals für die Gates-Stiftung tätig war. Xi habe versprochen, etwas gegen den ausufernden Tabakkonsum zu unternehmen, wenn die Zeit dafür reif sei.

Milliarden für den Staat

Getan hat sich allerdings nur wenig: Zwischen 2000 und 2020 sank der Tabakkonsum weltweit von 34 auf 23 Prozent, in China allerdings nur von 27 auf 26 Prozent – und Xi ist immerhin seit 2013 Präsident. Zwar haben einige Städte wie Peking und Schanghai ein Rauchverbot in Innenräumen durchgesetzt, landesweite Regelungen blieben jedoch aus.

Das hat mit der Übermacht von China Tobacco zu tun. Das Monopol ist 1981 auf Devise des damaligen Parteichefs Deng Xiaoping gegründet worden, der genau wie sein Vorgänger Mao Tse-tung ein passionierter Kettenraucher war. Mittlerweile kontrolliert das Imperium von China Tobacco 96 Prozent des chinesischen Marktes. Dem chinesischen Staat spülte es im Jahr 2022 rund 213 Milliarden Dollar in die Kasse – also ungefähr so viel, wie das Land jährlich für sein Militär ausgibt. Man rauche für ein neues Kriegsschiff, scherzen manche in China.

Xi Jinping
Der chinesische Präsident Xi Jinping ist selbst ein Ex-Raucher – und versprach, für Nichtraucherschutz zu sorgen.
via REUTERS/POOL

Das Geld von China Tobacco fließt in staatspolitisch zentrale Initiativen wie Xis große Mikrochip-Initiative oder sein Projekt einer Neuen Seidenstraße. Eine Tochterfirma des Tabakmonopolisten half etwa dabei mit, eine kasachische Bank unter Kontrolle des chinesischen Staates zu bringen. Aber auch regional übernimmt China Tobacco teilweise staatliche Aufgaben und finanziert etwa Kindergärten, Spitäler oder Projekte zur Versorgung mit Trinkwasser.

Studiengang "Tabakwissenschaften"

Die Macht des Staatskonzerns führt teils zu surrealen Szenen, wie der "Spiegel" für diese Recherche beobachtet hat: So werden im Hörsaal der Universität in Kunming Aschenbecher aufgestellt und Feuerzeuge bereitgelegt, damit die Studenten des Bachelorstudiengangs "Tabakwissenschaften" unter Anleitung ihrer Dozenten rauchen können. Sie lernen dort, wie man Tabak anpflanzt, ihn verarbeitet und Zigaretten maschinell herstellt.

"Im ersten Semester haben wir Felder besucht, Tabak geerntet und neue Pflanzen auf dem Hügel hinter der Universität ausgesetzt", erzählt die Studentin Min Li – eine Nichtraucherin. Über gesundheitsschädliche Wirkungen des Rauchens dürfte in den Seminaren kaum gesprochen werden. Die Menschen seien sich des Gesundheitsaspekts zwar bewusst, Rauchen sei aber eine "persönliche Entscheidung", erklärt Min Li.

Trafik in China
China Tobacco kontrolliert 96 Prozent des chinesischen Marktes.
AP

Diese Linie fährt auch China Tobacco. Erstaunliche Einblicke in dessen Argumente gibt ein 440-seitiges Buch, das von Mitarbeitern des Konzerns geschrieben wurde. Es beschreibt, mit welchen Argumenten man Anfang der 2000er-Jahre das Rahmenübereinkommen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Eindämmung des Tabakkonsums abschwächen wollte. In dem Buch heißt es etwa, Rauchen sei ein "Menschenrecht". Ob Nikotin süchtig mache, sei umstritten; Krankheiten bei Rauchern seien auf viele Faktoren zurückzuführen.

Insgesamt 51 Vorschläge von China Tobacco habe das chinesische Verhandlungsteam übernommen, heißt es im Vorwort des Buches. China war damals freilich nicht der einzige Staat, der die Ziele des Rahmenübereinkommens drosseln wollte. Auch Japan, Deutschland und die USA wollten ihre Tabakindustrie vor allzu großer Regulierung schützen. Im Unterschied zu China haben die USA das Abkommen nie ratifiziert, allerdings in vielen Bundesstaaten sehr strenge Tabakgesetze verabschiedet.

"Zivilisiertes Rauchen"

Doch die Recherchen von "The Examination", dessen österreichischer Partner der STANDARD ist, zeigen, dass China wesentliche Punkte des WHO-Rahmenübereinkommens nach wie vor nicht oder nur abgeschwächt umsetzt. Essenzielle Bestandteile wären etwa bebilderte Gesundheitswarnungen auf Zigarettenpackungen sowie ein Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden. Im Jahr 2014 wäre das fast umgesetzt worden, doch das Ministerium für Industrie und Information blockierte die Maßnahmen – also die Behörde, zu der China Tobacco gehört.

Mittlerweile umgeht man ein Rauchverbot in Gebäuden, indem der Konzern "Zonen für zivilisiertes Rauchen" errichtet. Laut einer Studie der China University of Political Science and Law leben nur 16 Prozent der chinesischen Bevölkerung in Regionen, in denen der gesetzliche Nichtraucherschutz die Vorgaben des WHO-Abkommens erfüllt.

Eine Besserung ist nicht in Sicht: Bis 2027 soll der Zigarettenkonsum laut Marktstudien sogar noch steigen, obwohl die Bevölkerung schrumpft. Oder, wie es ein chinesischer Gesundheitsexperte ausdrückt: China Tobacco habe einen Weg gefunden, um mit Tabakregulierung umzugehen. "Wir sind jetzt machtlos." (Corinna Cerruti, Frederik Obermaier, Fabian Schmid, Mitarbeit: Jason McLure, Jude Chan, Manyun Zou, 13.9.2023)