
"Nachdem die Ärztin das Ergebnis der Blutuntersuchung in den Händen hielt, ging alles ganz schnell. Wir mussten sofort ins St.-Anna-Kinderspital fahren und haben es dann auch fünf Wochen lang nicht mehr verlassen", erzählt Sara Ostertag dem STANDARD. Sie ist Mama einer dreijährigen Tochter, die an Leukämie erkrankt ist. Diese Art von Krebs entsteht, wenn die Produktion der weißen Blutkörperchen im Knochenmark durch eine Fehlschaltung unterbrochen ist. Es werden kaum noch reife oder funktionstüchtige weiße Blutkörperchen produziert, dafür unreife, die sich in vielen Fällen sehr rasch vermehren. Eine normale Blutproduktion im Knochenmark ist somit kaum noch möglich.
Es war der 27. Juli 2023, als Sara mit ihrer Tochter zur Kinderärztin ging, weil das dreijährige Mädchen etwas Fieber hatte. "Wir wollten eigentlich nur kurz abklären lassen, was sie hat. Das Fieber war auch nicht sehr hoch. Die Ärztin machte einen Bluttest, und der veränderte alles." Sie wurden gleich im St.-Anna-Kinderspital in Wien aufgenommen, und am zweiten Tag bekam das kleine Mädchen schon ihre erste Chemotherapie. Viele weitere sollten folgen, und auch in den kommenden Monaten wird sie immer wieder im Spital weitere Chemotherapie-Behandlungen erhalten.
Das komplette Leben steht Kopf
Wer an Leukämie erkrankt, braucht in vielen Fällen eine Stammzellspende. Christof Jungbauer, medizinischer Leiter der Blutspendezentrale für Wien, Niederösterreich und Burgenland beim Österreichischen Roten Kreuz, erklärt: "Da es verschiedene Formen der Leukämie gibt, gibt es auch nicht die eine Behandlung. Aber in der Regel wird mit Chemotherapie begonnen. Kann damit die Leukämie nicht geheilt werden oder kommt der Krebs zurück, dann kann eine Transplantation fremder Stammzellen helfen." Damit die Transplantation auch klappt und der Körper die fremden Stammzellen nicht abstößt, müssen zuvor alle blutbildenden Immunzellen im Körper der Patienten zerstört werden. Das hat zur Folge, dass sie keinen Schutz mehr vor Krankheitserregern besitzen.
Auch Sara muss sehr aufpassen, dass sich ihre Tochter nicht ansteckt. Sie erzählt: "Diese Diagnose hat unser komplettes Leben auf den Kopf gestellt. Kindergarten ist nicht mehr möglich, da meine Tochter nicht mit anderen Kindern in Kontakt kommen darf. Die Gefahr einer Ansteckung ist zu groß. Also sind wir sehr viel zu Hause und gehen abends mit ihr zum Spielpatz, wenn keiner mehr dort ist." Als Theaterregisseurin hatte Sara ihre Tochter immer überall dabeigehabt, bei Proben oder Besprechungen. Das geht nun nicht mehr. Zumindest für eine gewisse Zeit.
Während wir mit Sara telefonieren, ist sie gerade im St.-Anna-Kinderspital, weil die nächste Chemo fällig ist. Sie erzählt davon, wie beeindruckt sie von den Kindern dort ist, die alle krank, teilweise schwerstkrank sind. "Die Kinder hier sind so wach und stark. Sie verstehen, dass sie eine schwere Krankheit haben. Sie benennen die Medikamente, die sie bekommen, und wissen, dass es ein Problem ist, wenn sie diese nicht bekommen. Selbst Dreijährige sind auf einmal so krass rational. Unsere Tochter sagt jetzt Sätze wie 'Stopp du Krebs. Du musst raus aus mir. Wir müssen dich rausschmeißen.'"
Bei einer Stammzellspende muss alles passen
Derzeit rechnen die Ärztinnen und Ärzte damit, dass die Behandlung von Saras Tochter in etwa eineinhalb Jahre dauern wird. In dieser Zeit wird auch ein Stammzellspender oder eine Stammzellspenderin für sie gesucht. Und genau das ist gar nicht so einfach. Denn es muss alles passen. Sprich, die Gewebemerkmale der Spenderin und des Patienten müssen fast zu einhundert Prozent übereinstimmen. Man spricht dann auch von einem genetischen Zwilling. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine nichtverwandte Person ein geeigneter Spender ist, liegt bei 1:500.000. Da alle Spenderinnen weltweit registriert sind, finden aber trotzdem um die 90 Prozent ein passendes Match.
Damit noch mehr Menschen aufmerksam auf diese schreckliche Krankheit werden, hat Sara ein Bild von sich und ihrer Tochter auf Instagram gepostet. Darin erzählt sie von der Krebsdiagnose und bittet darum, dass sich so viele Menschen wie möglich als Spenderinnen und Spender registrieren lassen. Denn je mehr Menschen in der Datenbank erfasst sind, umso höher sind die Überlebenschancen für Menschen mit Leukämie.
Wer spenden möchte, kann sich bei verschiedenen Stellen registrieren lassen. Man bekommt dann per Post ein Registrierungspaket nach Hause. Es enthält ein Testkit und einen Fragebogen. Mithilfe eines Wattestäbchens wird selbst ein Abstrich der Mundschleimhaut genommen. Testkit und Fragebogen werden dann per Post auch wieder zurückgeschickt. Dann heißt es warten. Denn nur wenn es zu einer Übereinstimmung kommt, wird man auch kontaktiert. Jungbauer sagt: "Wer sich bereits mit 18 Jahren registriert, wird mit einer Wahrscheinlichkeit von zehn Prozent im Laufe der Zeit für eine Spende angefragt. Die Wahrscheinlichkeit, dass es dann auch wirklich zu einer Spende kommt, liegt dann jedoch nur noch bei einem Prozent."
Registrierungen sind beim ÖRK bis 35 Jahren und bei der Med-Uni Wien bis 45 Jahren möglich. Spenden kann man dann bis maximal 55. Das ist auch der Grund dafür, warum eine spätere Registrierung kaum noch Sinn macht, wie der Experte erklärt: "Wenn Matches gefunden wurden, werden immer die jüngsten Spender und Spenderinnen bevorzugt. Denn mit dem Alter nimmt die Plastizität der Stammzellen ab. Nicht nur wir altern, sondern auch unsere Zellen. Jüngere Zellen führen einfach zu einer schnelleren Regeneration."
Hoffen, dass alles gutgehen wird
Bis ein passendes Match für Saras Tochter gefunden wird, heißt es durchhalten und weitermachen. Das ist für die Familie, auch finanziell betrachtet, nicht leicht, erzählt Sara: "Ihr Vater und ich sind seit der Diagnose damit beschäftigt, für unsere Tochter da zu sein. Da er Angestellter ist, kann er in die sogenannte Familienhospizkarenz gehen. Was super ist. Ich hingegen bin selbstständig und bekomme keinerlei Unterstützung. Die SVS hat mir nur mitgeteilt, dass so ein Fall nicht abgedeckt sei." Also versucht Sara, so gut es geht, weiterzuarbeiten und trotzdem bestmögliche Care-Arbeit für ihre Tochter zu leisten. Ohne die Unterstützung von Freunden und Verwandten sei das jedoch kaum möglich.
Am wichtigsten sei jetzt aber, dass ein "perfect match" für die Dreijährige gefunden wird. Sara sagt: "Natürlich hoffen wir die ganze Zeit, dass alles gut ausgehen wird. Aber trotzdem wissen wir auch, dass es eine tödliche Krankheit sein kann. Auch damit müssen wir jetzt lernen umzugehen." (Jasmin Altrock, 15.9.2023)