In seinem Artikel "Die Tragödie der Commons" von 1968 stellte der Ökologe Garrett Hardin die These auf, dass gemeinschaftlich genutzte Güter nicht nachhaltig bewirtschaftet werden können, sondern unausweichlich übernutzt und zugrunde gerichtet werden. Sie müssten entweder privatisiert oder einer zentralen Kontrolle unterstellt werden. Mit dieser These setzte sich die US-amerikanische Politologin und Ökonomin Elinor Ostrom jahrzehntelang auseinander. Für ihr Werk erhielt sie als erste Frau den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften.

In ihrem 1990 erstmals erschienenen Buch "Governing the Commons"1 (deutsch: "Die Verfassung der Allmende – Jenseits von Markt und Staat") stellte Ostrom Hardins These von der Tragik der Allmende auf den Prüfstand. Sie untersuchte vor allem praktische Beispiele für Gemeinschaften, die über lange Zeit hinweg eine Ressource nachhaltig verwaltet und genutzt haben, aber auch Beispiele für das Misslingen einer solchen Selbstverwaltung. Bei der theoretischen Analyse nutzte sie Spieltheorie, um zu zeigen, dass weder die Kontrolle durch eine äußere (staatliche) Macht noch die Privatisierung optimale Lösungen für die nachhaltige Nutzung und dauerhafte Erhaltung von Gemeingütern garantieren.

Staatliche Kontrolle oder Privatisierung?

Im ersten Fall müsste die staatliche Gewalt vollständige Informationen über die Eigenschaften der Ressource und das Verhalten der Nutzer:innen haben, um schädliches Verhalten korrekt sanktionieren zu können. Sind ihre Informationen unvollständig, können ihre Sanktionen erst wieder zu Fehlverhalten führen. Je besser und genauer die Überwachung ist, umso teurer wird sie aber. Diese Kosten werden von Befürworter:innen staatlicher Kontrolle meist außer Acht gelassen.

Privatisierung wiederum erlegt den Nutzer:innen Kosten für Einzäunung und Überwachung auf. Im Fall einer aufgeteilten Viehweide kann es geschehen, dass das Wetter einige Gebiete begünstigt, während andere unter Trockenheit leiden. Die Viehzüchter können aber jetzt nicht mehr in die fruchtbaren Gebiete ausweichen. Das führt zur Überweidung der trockenen Gebiete. Im nächsten Jahr kann die Dürre dann wieder andere Gebiete treffen. Futter aus den fruchtbaren Gebieten zu kaufen erfordert die Einrichtung neuer Märkte, was auch wieder Kosten verursacht.

Kanal durch landwirtschaftliche Nutzfläche
"Waale", jahrhundertelang von Bauerngemeinschaften instand gehaltene Bewässerungskanäle, kann man im Tiroler Vinschgau beim Wandern besichtigen.
Armin Kübelbeck, CC BY-SA 3.0, https://de.wikipedia.org/wiki/Waal_%28Bew%C3%A4sserung%29#/media/Datei:Waal_Prad_01.jpg

Der dritte Weg

Sowohl theoretisch als auch empirisch legt Ostrom dar, dass es zwischen Markt und Staat noch andere Lösungen gibt. Sie untersucht so unterschiedliche Fallbeispiele wie Gemeinschaftsalmen und Gemeinschaftswälder in der Schweiz und in Japan, gemeinsam verwaltete Bewässerungssysteme in Spanien und den Philippinen, Grundwasserverwaltungen in den USA, Fischereigründe in der Türkei, Sri Lanka und Kanada. Einige der erfolgreichen Systeme ermöglichen schon seit Jahrhunderten eine nachhaltige gemeinschaftliche Bewirtschaftung.

Ostrom stellt in ihren Fallstudien und auch in Laborexperimenten fest, dass nicht alle Nutzer:innen eines Gemeinschaftsguts gleichermaßen "rationale Nutzenmaximierer" sind. Es gibt Trittbrettfahrer:innen, die immer eigennützig handeln und in Entscheidungssituationen nie kooperieren. Es gibt Nutzer:innen, die nur dann kooperieren, wenn sie sicher sein können, dass sie nicht von Trittbrettfahrer:innen ausgenützt werden. Es gibt solche, die bereit sind, die Zusammenarbeit zu suchen, in der Hoffnung, dass ihr Vertrauen erwidert wird. Und schließlich gibt es vielleicht auch noch ein paar echte Altruist:innen, die immer das Wohl der Gemeinschaft suchen.

Wenn es einigen gelingt, vertrauensvoll zusammenzuarbeiten und dadurch gemeinsam einen höheren Nutzen zu erlangen, können andere, die das beobachten, motiviert werden, ebenfalls zu kooperieren. Wichtig ist, dass alle das Verhalten der anderen beobachten können und auch den Nutzen des gemeinsamen Handelns erkennen können. Der Schlüssel für die Bewältigung der Probleme liegt also in der Kommunikation und der Bildung von Vertrauen.

Was erfolgreiche Commons auszeichnet

Verallgemeinert stellt Ostrom fest, dass die nachhaltige gemeinsame Nutzung eines Gemeinguts dann wahrscheinlicher ist, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

Gemeinsam in den Holzschlag

Eine traditionelle Allmende zeigt dieses Video über eine "Waldnachbarschaft" in Bladersbach, Nordrhein-Westfalen, deren Wurzeln bis in das 16. Jahrhundert zurückreichen.

Die "Waldnachbarschaft" in Bladersbach, Bergisches Land, Nordrhein-Westfalen
Ein Video des Amts für rheinische Landeskunde (https://alltagskulturen.lvr.de/)

Charakteristisch für die Waldnachbarschaften ist der ungeteilte Waldbesitz einer Gemeinde als Erbenwald. Die angestammten Familien nutzen ihn gemeinschaftlich. Im Winter wird Brennholz geschlagen. Die gewählten "Deputierten" geben jedes Jahr einen Teil des Waldes zur Holzung frei. Dieser Teil wird entsprechend der Anzahl der Familien unterteilt. Die Grenzen der "Örter" werden durch das Einschlagen von dicken Ästen markiert, die jeweils eine Nummer eingeschnitzt bekommen. Wenn das Ausmessen abgeschlossen ist, werden die einzelnen Waldabschnitte unter den Familien verlost. Danach markieren die Inhaber:innen der Nachbarflächen von den Grenzpfählen ausgehend gemeinsam die Grenzen ihrer Gebiete.

Bis in die 1960er-Jahre wurden die Eichen in diesem Mischwald zur Gewinnung von Gerberlohe genutzt. Die Arbeit des Rindenschälens geschah im Frühjahr. Im Winter konnten Birken, Hainbuchen und Erlen gefällt werden. In einer früheren Phase wurden nicht die Waldflächen verlost, sondern die Waldnachbarn machten die Arbeit gemeinsam und verlosten später die Brennholzstapel. Der Wald ist ein "Niederwald". Die Triebe der Laubbäume wachsen aus dem Wurzelstock nach. Nach 28 bis 35 Jahren müssen die mittelstarken Stämme geschlagen werden, sonst ist die Wurzel zu alt, um neue Triebe zu bilden. Durch die rotierende Nutzung kann sich der Wald immer wieder regenerieren.

Commons müssen aber keineswegs nur traditionelle Dorfgemeinschaften sein. In der nächsten Folge dieser kleinen Serie sollen einige heute funktionierende Commons vorgestellt werden, von Wikipedia bis zu Cecosesola, einem Zusammenschluss von Kooperativen in Ecuador, der seit über 50 Jahren 100.000 Familien mit erschwinglichem Obst und Gemüse, Gesundheits- und Bestattungsdiensten versorgt. (Martin Auer, 29.9.2023)