Peter Mennel und Karl Stoss beim Spatenstich für das Österreich-Haus der Winterspiele 2018 in Pyeongchang.
GEPA/Christian Walgram

So kann man sich täuschen. Als bei der Hauptversammlung des Österreichischen Olympischen Comités (ÖOC) am 3. Juli in Wien die Wahl eines neuen Vorstands auf 22. September verschoben wurde, dachten viele, diese Versammlung hätte man sich eigentlich sparen können. Falsch gedacht. Richtig interessant wurde es erst, als die ÖOC-Mitglieder einen Wahlvorschlag, der dem ÖOC-Präsidenten Karl Stoss von vornherein missfiel, wie erwartet abgelehnt hatten. Erst danach ging ÖOC-Generalsekretär Peter Mennel auf, wie er sagte, "im Raum stehende Vorwürfe bezüglich IBIY" ein.

Mittlerweile stehen die "Vorwürfe" im Zusammenhang mit der vom ÖOC vor mehr als acht Jahren lancierten Crowdfunding-Plattform "I believe in you" (IBIY) nicht mehr bloß "im Raum". Sowohl das ÖOC-Präsidium mit Stoss an der Spitze als auch Mennel sehen sich mit einer Strafanzeige konfrontiert – wegen des Verdachts auf schwere Untreue (Mennel) bzw. Beihilfe dazu (Präsidium). Eingebracht bei der Staatsanwaltschaft hat sie der renommierte Wiener Rechtsanwalt Volkert Sackmann stellvertretend für "Ordentliche Mitglieder des ÖOC", also Sportverbände mit Sitz und Stimme in der Hauptversammlung. Sie sehen sich durch Mennel und das Präsidium "geschädigt", als "Opfer". Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Laut Anzeige – sie liegt dem STANDARD und dem ORF vor, der ebenfalls in der Causa recherchiert und berichtet – sei Mennel (68) "verdächtig, wissentlich seine Befugnis missbraucht zu haben, über das Vermögen des ÖOC zu verfügen". Er habe den ordentlichen ÖOC-Mitgliedern "einen Vermögensschaden in der Höhe von 416.000 Euro zugefügt, indem er Verluste der I believe in you Österreich GmbH (IBIY) mit Vereinsvermögen des ÖOC abdeckte". Das ÖOC-Präsidium wiederum habe zu "diesen strafbaren Taten des Dr. Mennel beigetragen, indem es dieser Vorgangsweise zustimmte, obwohl die Mitglieder des Präsidiums wussten, dass für eine solche Entscheidung das Gremium der Hauptversammlung zuständig ist".

Wer im Präsidium sitzt

Drei kurze Randnotizen. Ad ÖOC-Finanzen: Sie speisen sich nicht zuletzt aus Steuermitteln in Millionenhöhe. Ad ÖOC-Präsidium: Neben Stoss (66) sitzen da als "Vize": Elisabeth Max-Theurer (66), Dressur-Olympiasiegerin 1980 und Präsidentin des Pferdesportverbands, Peter Schröcksnadel (82), Ex-Präsident des Skiverbands, und Otto Flum (74), Ex-Präsident des Radsportverbands. Ad IBIY: eine Plattform, über die Sportler, Sportlerinnen oder auch Sportvereine spezielle Projekte oder Anschaffungen bewerben können in der Hoffnung auf Spenden. Wird das Crowdfundingziel erreicht, so behält die IBIY-GmbH zwölf Prozent der erzielten Summe als Administrations- und Transaktionsgebühr ein.

Mennel und Stoss waren von STANDARD und ORF bereits am Dienstag mit Fragen zu Vorwürfen konfrontiert worden, auf denen die Sachverhaltsdarstellung fußt. Sie gaben bis Donnerstagmittag keine Stellungnahme dazu ab. In der "ZiB2" ließ Mennel über seinen Anwalt ausrichten, dass er die Sachverhaltsdarstellung nicht kenne und alle Vorwürfe zurückweise.

"ZIB 2"-Video zur Causa
ORF

Die wichtigsten Fragen: Wieso hat das ÖOC, bis Mitte 2023 nur einer von drei IBIY-Gesellschaftern, nicht nur ein Drittel (208.000 Euro) des IBIY-Gesamtverlusts (624.000) abgedeckt, sondern auch die anderen Drittel – also auch die angezeigten 416.000 Euro? Gab es dazu mit den zwei anderen Gesellschaftern, der Schweizer IBIY-Gesellschaft und der Sporthilfe, gesonderte Absprachen? Und welches ÖOC-Gremium hat die Abdeckung der IBIY-Verluste abgesegnet? In der Strafanzeige stellt sich diese Frage bereits als jener Vorwurf dar, dass eben die Abdeckung der IBIY-Verluste nicht abgesegnet worden wäre.

Es sieht so aus, als hätte die Hauptversammlung am 3. Juli die Vermutungen und Vorwürfe, die "im Raum standen", noch befeuert. Das Protokoll liegt dem STANDARD und dem ORF vor. Freilich nimmt die Geschichte nicht erst mit der Versammlung ihren Ursprung und auch nicht einige Wochen davor, als das ÖOC – für viele überraschend – die Anteile der beiden anderen IBIY-Gesellschafter, der österreichischen Sporthilfe und der Schweizer IBIY-"Mutter", um je einen Euro übernahm. Sondern wohl schon 2014/15, als IBIY hierzulande vom ÖOC lanciert wurde, und spätestens 2019, als ruchbar wurde, dass IBIY in Österreich schon in den ersten fünf Jahren einen Bilanzverlust von mehr als 700.000 Euro zu verbuchen hatte.

Was Mennel betont

Mennel begründete ihn wiederholt mit den hohen IBIY-Personalkosten zu Beginn, ohne öffentlich zu machen, wer da warum wie viel verdiente. Immer wieder, auch in der jüngsten HV, betonte er eine "Rendite". Dank der "investierten 600.000 Euro" seien 1,8 oder 1,9 Millionen Euro "in den österreichischen Sport geflossen. Das bedeutet eine Rendite von 200 Prozent." So oder so hoffte er lange auf einen Turnaround, auf Gewinne, die das IBIY-Minus tilgen würden. Mittlerweile weiß man: Der Rucksack wurde kaum kleiner, aber jahrelang mitgeschleppt.

Aus dem Protokoll der ÖOC-Hauptversammlung vom 3. Juli 2023 in Wien. Generalsekretär Peter Mennel fragt, wie es weitergeht, und antwortet selbst.
Standard

In der Hauptversammlung am 3. Juli bestätigte ÖOC-Kassier Herbert Houf, es seien "624.000 Euro seitens des ÖOC hineingeflossen". Nämlich in IBIY. Genau daraus ergibt sich, wie gesagt, die in der Sachverhaltsdarstellung ausgeschilderte Schadenshöhe von 416.000 Euro. Denn: "Dadurch, dass das ÖOC die Anteile der anderen beiden Gesellschafter im Juli 2023 übernommen hat und – offenbar davor – das Obligo in Höhe von 624.000 Euro abgedeckt hat, führte dies zu einem Vermögensabfluss aus dem ÖOC in genannter Höhe und zu einem Schaden in Höhe von zwei Dritteln, der auf die ausgeschiedenen Mitgesellschafter entfallen wäre."

In der Anzeige wird es als "fraglich" bezeichnet, ob es überhaupt erforderlich gewesen wäre, die IBIY zu retten. "Diese Entscheidung wurde aber den ordentlichen Mitgliedern des ÖOC insofern abgenommen, als dass man sie hierzu gar nicht erst befragt hat."

Für ÖOC-Kassier Houf stellt sich der Sachverhalt wohl weniger dramatisch dar. In der Hauptversammlung sagte er: "Ob man das jetzt als Investition bezeichnet, als Zuschuss, als Aufwandsersatz oder als verlorenen Aufwand, das tut nichts zur Sache." Houf war Präsident des Segelverbands, nach wie vor ist er Präsident der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (KSW). Wie sich der "verlorene Aufwand" von 624.000 Euro erklärt, warum allein das ÖOC dafür" geradesteht und am Geradestehen nicht auch die Sporthilfe und die Schweiz-IBIY beteiligt waren oder sind, sagte der KSW-Präsident nicht.

Mennel legte sich in der Hauptversammlung, anders als Houf, auf den Begriff "Forderungen" fest: ÖOC-Forderungen also an IBIY, die das ÖOC freilich "nachrangig gestellt" habe, "um eine bilanzielle Überschuldung der Gesellschaft zu vermeiden". Mennel weiters: "Darlehensvertrag wurde keiner abgeschlossen, da es als Zwischenfinanzierung gedacht war." Laut Houf sind die 624.000 Euro "natürlich in der IBIY für die Abdeckung von Verlusten aufgegangen. Diese Verluste stehen steuerlich zu Buche, und daher ist sozusagen die kreative Gestaltungsfrage die: Wie kann ich diese Verluste doch noch retten?"

Wie man "Verluste rettet"

Verluste? Verluste! Und die interessante Frage: Wie können Verluste gerettet werden? Mennel, sagte ÖOC-Kassier Houf, habe "diesen Weg schon vorgezeichnet", aber: "Eine Garantie dafür kann ich nicht abgeben." Houf kann nur auf "zumindest eine gewisse, will nicht sagen: Schadensbegrenzung" hoffen. Womit er, ungewollt, es dann eben doch gesagt hat: Es gibt einen Schaden, den das ÖOC nun möglichst begrenzen will.

Aus dem Protokoll der ÖOC-Hauptversammlung vom 3. Juli 2023 in Wien. ÖOC-Kassier Herbert Houf kann "eine Garantie dafür nicht abgeben".
Standard

Mennels Lösung: Dabei soll die Olympic Austria GmbH helfen! Die nächste Gesellschaft, eine 100-prozentige ÖOC-Tochter noch dazu. Sie wurde laut Mennel "gegründet, um das Risiko des Betriebs des Österreich-Hauses aus dem Verein ÖOC auszulagern". Dabei erwirtschaften die Österreich-Häuser, in denen das ÖOC bei Olympischen Spielen als Gastgeber auftritt, ohnedies Gewinne. Sie werden u. a. von der Wirtschaftskammer und von Sponsoren finanziert. Laut Mennel wurde "in den letzten Jahren ein Eigenkapital von 1,5 Millionen Euro erwirtschaftet". Sein Plan: "Verschmelzung" der Olympic Austria GmbH mit IBIY. So ließen sich, glaubt er, "bestehende Verlustvorträge der IBIY-Gesellschaft mit den zukünftigen Gewinnen aus den Österreich-Häusern aufrechnen. Das heißt, wir können unsere IBIY-Investitionen" – Investitionen! – "von circa 600.000 Euro aus der Vergangenheit steuerlich geltend machen."

Wo die Wege kurz sind

Mennel und Stoss, das muss man wissen, sind Multifunktionäre. Seit Oktober 2010 ist Mennel ÖOC-Generalsekretär, 2015 wurde er IBIY-Geschäftsführer, im Sporthilfe-Vorstand ist er Finanzreferent-Stellvertreter. ÖOC-Präsident Stoss ist auch erster Vizepräsident der Sporthilfe-Präsidentin Susanne Riess-Hahn. Wenn der ÖOC-Mennel, der Sporthilfe-Mennel und der IBIY-Mennel an einem Tisch saßen, brauchte es nicht viele Sessel. Die Frage möglicher Unvereinbarkeiten hat sich für Mennel wie für Stoss nicht gestellt.

Am 3. Juli gab Mennel nicht zuletzt Folgendes zu Protokoll: "Im Vorstand wurde mindestens einmal jährlich, so z. B. im Jahr 2018 drei Mal, über IBIY berichtet und die Zustimmung für die Zuschüsse an IBIY eingeholt. Auch in der HV wurde ab 2014 jährlich über das Projekt berichtet."

Das ist eine zumindest eigenwillige Sicht. Dem STANDARD und dem ORF liegen Protokolle von Hauptversammlungen und Vorstandssitzungen vor, sie ergeben ein anderes Bild als das von Mennel gezeichnete. Davon, dass der Vorstand regelmäßig ÖOC-Zuschüsse an IBIY abgesegnet hätte, kann keine Rede sein. In einem Teil der Sitzungen war IBIY kein Thema, in etlichen Sitzungen ein Randthema, da berichtete Mennel etwa, wie viele Crowdfundingprojekte am Laufen waren. Was nur höchst selten zur Sprache kam? Bilanzverlust, Investitionen, Zuschüsse, Aufwandsersatz, verlorener Aufwand, Schaden – wie auch immer man das bezeichnen will. Nicht zuletzt deshalb ist jetzt die Staatsanwaltschaft mit der Klärung der Causa befasst. (Fritz Neumann, 14.9.2023)

Dieser Artikel wurde am 14.9.2023 um 22:40 Uhr nach der "ZiB2" aktualisiert.