Militärs in Uniform schreiten durch das Stadion und winken den Menschen auf der Tribüne zu.
Ende August, einen Tag nachdem der französische Botschafter im Niger per Ultimatum des Landes verwiesen worden war, jubelten im Fußballstadion von Niamey tausende Menschen den neuen Militärmachthabern zu.
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Am verblüffendsten von allen Bildern aus dem Gürtel der Militärdiktaturen in der Sahelzone sind jene von tausenden in ein Fußballstadion gepackten jungen Menschen, die in Nigers Hauptstadt Niamey den Junta-Offizieren zujubeln. Dass die Staatsstreiche von der Bevölkerung mit Erleichterung und neuer Hoffnung aufgenommen werden, entspricht den Behauptungen der Putschisten. Es steht jedoch in krassem Gegensatz zur Wirklichkeit in Nigers Nachbarstaaten, in denen Generäle bereits vor einem oder mehreren Jahren die Macht an sich gerissen haben.

Zum Beispiel in Mali. Nach zwei Jahren Junta-Herrschaft ist der westafrikanische Unruhestaat wieder dort angelangt, wo er vor elf Jahren stand: vor einem Bürgerkrieg und der erneuten Teilung. Außer den sich immer weiter ausbreitenden Umtrieben der zahlreichen islamistischen Extremistengruppen flammt auch der Konflikt mit den sezessionistischen Tuareg im Norden des Landes wieder auf. Nach mehreren blutigen Zusammenstößen mit den Truppen des Putschistenführers Assimi Goïta spricht die ehemalige Rebellengruppe "Koordination der Bewegungen Asawads" (CMA) wieder von "Zeiten des Krieges" und kündigte die Gründung der "Nationalen Streitkräfte Asawads" (des Namens ihres erwünschten Staates) an. Das vor acht Jahren zwischen der CMA und der damaligen malischen Regierung geschlossene Abkommen von Algier scheint nur noch Makulatur zu sein.

Wagner-Söldner vor Ort

Die ersten Kämpfe brachen bereits Mitte August um das wenige Kilometer von Timbuktu entfernte Militärlager Ber aus, das von Soldaten der UN-Mission Minusma geräumt worden war. Die rund 13.000-köpfige Mission, der auch mehr als 1000 Soldaten der deutschen Bundeswehr angehören, muss auf Betreiben der Junta bis Ende dieses Jahres abgewickelt sein. Spätestens dann ist zu befürchten, dass der Bürgerkrieg wieder in vollem Umfang ausbricht.

CMA-Kämpfer drangen kürzlich auch in das zwischen Timbuktu und Gao gelegene Städtchen Bourem ein, zogen sich nach einem Gegenangriff der Regierungstruppen allerdings gleich wieder zurück. "Unser Ziel ist es nicht, Städte zu halten", sagte ein Sprecher der Bewegung. In die Kämpfe seien auch Söldner der russischen Wagner-Truppe verwickelt gewesen, hieß es. In Mali sind derzeit rund 1500 der für ihre Rücksichtslosigkeit berüchtigten Kämpfer stationiert.

Ein Anhänger der neuen Militärjunta im Niger zeigt im Stadion von Niamey eine Fahne der Wagner-Truppe.
Auch im Niger zeigten Anhänger der neuen Militärjunta jüngst ihre Sympathien für die russische Söldnertruppe Wagner.
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Unterdessen nehmen auch die Angriffe extremistischer Islamisten zu. Vergangene Woche überfiel die mit Al-Kaida verbündete Gruppe Jama'at Nusrat al-Islam wal-Muslimin (JNIM) ein Passagierschiff auf dem Niger und tötete 49 Zivilisten. Am selben Tag attackierte JNIM auch ein Lager der Armee im Städtchen Bamba und tötete 15 Soldaten. Einen Tag später verübte die Gruppe schließlich auch einen Selbstmordanschlag auf eine Kaserne in Gao – auf dem Flughafen der Provinzhauptstadt sind noch immer Bundeswehrsoldaten stationiert. Die Extremisten gaben außerdem bekannt, einen Hubschrauber der Wagner-Truppe abgeschossen zu haben.

Beim Bürgerkrieg vor elf Jahren kämpften die Jihadisten auf der Seite der Tuareg-Sezessionisten und waren an der Teilung des Landes zwischen dem von Rebellen und Extremisten gehaltenen Norden und dem Süden des Landes beteiligt. Diese wurde erst nach der Intervention von 1700 französischen Soldaten wieder aufgehoben, die sowohl die Extremisten als auch die Sezessionisten in die Wüste abdrängten. Unter UN-Vermittlung schloss die malische Regierung zwei Jahre später mit den Tuareg-Gruppen das Friedensabkommen von Algier, das diesen eine weitreichende Autonomie im Norden des Landes einräumte. Dem Abkommen stehen Malis Militärs skeptisch gegenüber: Sie werfen sowohl Frankreich wie den UN vor, die Sezessionsbemühungen der Tuareg zu unterstützen.

Zu einer erneuten Verbrüderung zwischen islamistischen Extremisten und Sezessionisten ist es bislang nicht gekommen. Ausgeschlossen wird das allerdings nicht. Generell hat sich die Sicherheitslage in Mali seit den zwei Staatsstreichen im August 2020 und Mai 2021 drastisch verschlechtert. Hält der Trend an, werden in diesem Jahr mehr als 1000 gewalttätige Zwischenfälle registriert werden – dreimal mehr als vor drei Jahren. Dabei hatten die Militärs die Macht mit der Begründung an sich gerissen, dass die zivile Regierung im Kampf gegen die Extremisten kläglich versagt habe.

Vernachlässigte Krise

Auch in Malis Nachbarstaat Burkina Faso ist die Bilanz der Junta alles andere als positiv. Dort kontrolliert die Militärregierung nur noch 60 Prozent der Landesfläche, mehr als 800.000 Menschen sind von der Außenwelt abgeschnitten, eine Million Jugendliche können nicht mehr zur Schule gehen. Nach Angaben des International Rescue Committee (IRC) sind rund 42.000 Menschen vom Hungertod bedroht. Die Hilfsorganisation nennt die Krise in Burkina Faso die "am meisten vernachlässigte der Welt".

Warum drängeln sich vor diesem Hintergrund im Niger, dem jüngsten Putschland in der Sahelzone, tausende Menschen im Fußballstadion, um der Junta ihre Unterstützung zu zeigen? Erklärt wird das einerseits mit der großen Zahl arbeits- und hoffnungsloser Jugendlicher, die sich von jedem Wechsel eine Verbesserung ihrer Situation versprechen. Eine größere Rolle dürfte jedoch die Tatsache spielen, dass die nigrische Bevölkerung von den Vorgängen in den Nachbarstaaten nicht viel weiß – und von der russischen Propaganda beeinflusst wird, die vor allem in Westafrika derzeit ganz neue Blüten treibt.

Über soziale Netzwerke und Radioprogramme wird etwa der Eindruck erweckt, die ehemaligen Kolonialnationen, vor allem Frankreich, seien an der Bekämpfung des islamistischen Extremismus nicht wirklich interessiert, weil dieser die Abhängigkeit des Kontinents von westlicher Unterstützung aufrechterhalte – nicht zuletzt in Sachen Sicherheit. Dagegen mache die russische Wagner-Truppe kurzen Prozess mit den Extremisten. Dass sie mit ihrer auch gegenüber der Zivilbevölkerung an den Tag gelegten Brutalität den Jihadisten immer neue Sympathisanten in die Hände treibt, wird in der russischen Propaganda natürlich nicht erwähnt. Indes stärken die Putschgeneräle auch die Zusammenarbeit untereinander: Am Samstag haben laut Angaben aus Mali alle drei Staaten, also Niger, Mali und Burkina Faso, ein Verteidigungsbündnis geschlossen. (Johannes Dieterich, 17.9.2023)