Clemens ig
Plädoyer für den Versuch, Welterklärungen zu demokratisieren und sie nicht als Einbahnstraße zu begreifen: Clemens Pig.
Foto: APA/EHM

Clemens Pig ist einer der einflussreichsten Medienmanager Österreichs. Er ist geschäftsführender Vorstand der Austria Presse Agentur (APA), Vizepräsident des Verwaltungsrats der aus der Fusion der Bildagentur Keystone mit der Schweizerischen Depeschenagentur hervorgegangenen Keystone-SDA-ATS AG sowie Präsident der Europäische Allianz der Nachrichtenagenturen (EANA) und – seit heuer – Vizepräsident des Österreichischen Genossenschaftsverbands (ÖGV). In seinem Buch Democracy Dies in Darkness setzt sich Pig unter anderem damit auseinander, welche Zukunft die "Wa(h)re Nachricht" in der Informationsgesellschaft haben könnte. Das einstündige Gespräch fand per Videocall statt.

STANDARD: Warum haben Sie den Titel "Democracy Dies in Darkness" gewählt?

Pig: Das Zitat stammt von Bob Woodward, einem Reporter der traditionsreichen Tageszeitung Washington Post, der an der Aufdeckung der Watergate-Affäre beteiligt war. Die Washington Post hat nach der Wahl Donald Trumps das Zitat "Democracy dies in darkness" als Slogan unter ihr Logo gesetzt. Das Zitat bringt pointiert zum Ausdruck, dass es ohne eine unabhängige Medienlandschaft keine liberal-demokratische Gesellschaft geben kann. Medien sind die vierte Säule der Demokratie. Und der Slogan erinnert auch an die Geschichte der unabhängigen Nachrichtenagenturen in Europa, die sich 1939 erstmals zusammengeschlossen haben. Hundert Tage nach Beginn des Sendebetriebs wurden ihre neu errichteten Sendemasten von der deutschen Wehrmacht gesprengt und das demokratische Licht damit abgedreht.

STANDARD: Medienhäuser stehen unter enormem kommerziellem Druck. Eine wichtige Einnahmequelle, die Erlöse durch Abonnements, geht zurück. Wie wirkt sich das auf die ökonomische Situation von Nachrichtenagenturen aus?

Pig: Die APA erhält keine staatlichen Gelder oder Subventionen. Damit sind wir gefordert, neue Geschäftsfelder zu erschließen, dazu zählen das multimediale Verbreiten von Pressemeldungen oder professionelle Medienbeobachtung. Unabhängiger Agenturjournalismus ist ein wesentlicher Baustein für eine freie Medienwelt und damit für eine liberale Demokratie.

STANDARD: Welche Strategien sehen Sie, um dem zunehmenden Verlust des Vertrauens der Bevölkerung in die Medien entgegenzuwirken?

Pig: Ich würde den Bogen weiter spannen: Mit dem Blick auf Amerika sehen wir, dass nicht nur die Medien unter Druck stehen und einem Vertrauensverlust unterworfen sind, sondern auch Politik und Wissenschaft. Ich glaube, es ist zu kurz gegriffen, anzunehmen, dass nur wir Medien dieses Problem lösen können. Die Ursachen gehen tiefer. Es hat mit Globalisierung zu tun, die zahlreiche positive, aber auch negative Entwicklungen vorangetrieben hat. Viele Menschen werden in einem Gefühl des Abgehängtseins zurückgelassen. Die Welt ist in den vergangenen Jahren ein komplexerer Ort geworden. Man kann aber Komplexität nicht zu Tode simplifizieren. Was wir Medien in unserem Verantwortungsbereich tun können, ist, schlichtweg ein gutes journalistisches Handwerk zu betreiben.

STANDARD: Redaktionen werden personell eingedampft, massiver Zeitdruck bestimmt die tägliche Arbeit. Wie ist unabhängiger Journalismus unter diesen Bedingungen noch möglich?

Pig: Es braucht eine gute Mischung, aber Journalismus war immer ein schnelles Geschäft. Man muss unterschiedliche Nutzungsmodelle abbilden. Schnellere Informationen können kürzer sein, Long-Reads könnten zur passenden Tageszeit aber durchaus auch funktionieren. Ich denke, hier muss man erst noch die richtige Flughöhe für die jeweilige Medienmarke finden. Natürlich gibt es immer den Wettlauf zwischen Schnelligkeit und Richtigkeit. Am Ende muss sich aber immer die Richtigkeit durchsetzen.

STANDARD: Richard David Prechts und Harald Welzers Buch "Die vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist" führte lange die Bestsellerlisten an. Es behandelt das Thema, wie Massenmedien mit "medialer Einigkeit" die Demokratie gefährden.

Pig: Als Medienbetrieb sollte man in der Lage sein, Selbstkritik zu üben. Quellenvielfalt und Quellenglaubwürdigkeit sind die wichtigsten Assets, die wir in der APA haben. In einer unabhängigen Nachrichtenagentur geht es nie um Einheitlichkeit und Meinungsmache. Der Blick nach Amerika zeigt, dass die Medienwelt dort so polarisiert ist, dass es keine in ihrer politischen Ausrichtung unabhängigen Medien gibt. Die einzige unabhängige Berichterstattung kommt von der Nachrichtenagentur Associated Press.

STANDARD: Sie sagen: "Unabhängiger Agenturjournalismus bildet den Gegenpol zu Fake News und Desinformation." Wie muss man sich die Maßnahmen des sogenannten Fact-Checking im alltäglichen Arbeitsprozess der APA vorstellen?

Pig: Fact-Checking ist ein eigenes Ressort. Es ist ein technisches Arbeitsfeld, das jedoch immer die journalistische Expertise erfordert. Hier werden gezielt Themen aus sozialen Netzwerken herausgegriffen und auf ihre Faktizität überprüft. Das ist ein langwieriger Prozess, der losgelöst von täglichen redaktionellen Arbeitsprozessen ist. Es wird versucht, Videos, Bilder und Aussagen, die gehypt werden beziehungsweise auch Bestandteil von Verschwörungstheorien sind, zu entkräften oder zu belegen. Es ist mit einem Gerichtsprozess vergleichbar, bei dem Indizien gesammelt und geprüft werden müssen.

STANDARD: Können Sie mir ein Beispiel nennen?

Pig: Agence-France-Press-Journalisten lieferten die ersten Bilder des Massakers von Butscha. Russland hat rasch behauptet, diese Bilder seien gestellt. Hier muss sofort ein Fact-Checking durchgeführt werden. Man analysiert jedes Detail auf den Fotos: den Sonnenstand, den Niederschlag, die geografische Umgebung. Wir haben Zugriff auf Wetter- und Klimadaten sowie auf Kriegsgerätedatenbanken.

STANDARD: Es geht im Journalismus immer um objektive Berichterstattung. Die Wahrnehmung des Menschen ist aber letztlich immer subjektiv gefärbt. Wie schätzen Sie diesen Umstand ein?

Pig: Wir sind nicht das Wahrheitsministerium. Man muss sich vergegenwärtigen, dass "Wahrheit" und "Objektivität" normative Begriffe sind. Was wir tun können, ist zu versuchen, so nahe wie möglich an normative Konzepte wie Wahrheit und Objektivität heranzukommen. Journalistinnen und Journalisten betreiben professionelles Handwerk, das jahrelanges Erfahrungswissen und hohe QualitätsStandards erfordert. Wenn Fehler passieren oder sich die Faktenlage doch anders darstellt, muss dies transparent gemacht werden.

STANDARD: Sie sagten in einem Interview: "Künstliche Intelligenz muss gut erzogen werden, damit sie nicht zum Superspreader für Fake News wird." Wie sieht das Erziehungskonzept konkret aus?

Buchcover
Clemens Pig, "'Democracy Dies in Darkness'. Fake News, Big Tech, AI: Hat die Wa(h)re Nachricht eine Zukunft?". € 25,– / 216 Seiten. Brandstätter-Verlag, Wien 2023.
Verlag

Pig:: Um in einem Medienumfeld gut verwertbar zu sein, benötigen derartige AI-Lösungen faktenbasierte und verifizierte Informationen als Input. Es dürfen keine Onlinequellen sein. Wir experimentieren schon längere Zeit mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz und haben dafür Leitlinien entwickelt.

STANDARD: Ein Kapitel in Ihrem Buch beschreibt Ihre Interviewerfahrungen mit Wladimir Putin. Ausgewählte Agenturchefinnen und -chefs führten es einige Monate vor Kriegsbeginn. Welchen Erkenntnisgewinn haben Sie aus diesem Gespräch gezogen?

Pig: Die Art und Weise, wie Putin auf meine Fragen geantwortet hat, haben die argumentativen Schatten des Ukrainekriegs vorausgenommen. In fast jeder Antwort schlägt seine Ablehnung der westlichen Wertvorstellungen durch. Mich hat überrascht, wie emotional er in dem Gespräch wurde, wie sehr er mit Gegenfragen reagierte und letztlich alle rechtspopulistischen Techniken der Gesprächsführung anwandte. Darüber hinaus hat der russische Chef der Nachrichtenagentur Tass, Sergej Michailow, der in der Zwischenzeit abgesetzt wurde, dieses Gespräch moderiert. Das zeigt, wie sehr staatlich abhängige Agenturen für ideologische Zwecke instrumentalisiert werden.

STANDARD: Hans Dichand nannte seine Autobiografie "Im Vorhof der Macht". In welchem Gebäudeteil sehen Sie sich?

Pig: Ich würde die APA nicht mit einem starren, monumentalen Gebäude in Beziehung bringen, sondern vielmehr mit einem florierenden Organismus. Ich sehe die APA einerseits als Gedächtnis der Nation und andererseits als medialen Pulsschlag der Republik. Wir benötigen wesentlich mehr Selbsterkenntnis im Journalismus, um die Bedürfnisse und die Erwartungshaltung der Menschen in Bezug auf die Medien zu verstehen und darauf entsprechend einzugehen. Da gibt es noch viel Positives, das die Medienwelt erreichen kann. Es geht dabei darum, Welterklärung zu demokratisieren und nicht als Einbahnstraße zu begreifen. (Gerlinde Tamerl, 15.9.2023)