Im Fußball ändert sich der Spielstand zwar nicht so häufig, aber man kann ja nicht nur auf Tore wetten.
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Als die Tennis-Ikone Serena Williams noch aktiv war, gab es eine goldene Regel für Profis in der Welt der Sportwetten: Kassiert die US-Amerikanerin im ersten Satz ein Break, dann heißt es, sofort viel Geld auf einen Sieg von Williams zu setzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie aufholt, ist die Quote wert. Was die Wettzocker auch kennen, ist die Statistik. So enden in der deutschen Fußball-Bundesliga seit Anbeginn 26 Prozent der Spiele unentschieden, 40 Prozent mit einem Sieg der Heimmannschaft, 34 Prozent mit einem Sieg des Auswärtsteams.

Sportwetten gelten immer noch als harmloser Zeitvertreib. Allein in Österreich werden jedes Jahr rund zwei Milliarden Euro auf Sportereignisse gewettet, das sind etwa 63 Euro pro Sekunde. Während im Vorjahr Rekordumsätze gemacht wurden, wurde auch so viel betrogen wie noch nie. Sportradar, der größte Dienstleister in der Sportwetten-Industrie, meldete für das Jahr 2022 die Rekordzahl von 1.212 manipulierten Spielen in zwölf Sportarten. Am meisten wird freilich im Fußball betrogen (775), gefolgt von Basketball (220) und Tennis (75), sehr selten bei Sportereignissen von Frauen.

Live-Wetten sind beim Tennis beliebt, Spiele von Serena Williams boten sich besonders an.
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Der Kampf zwischen der Wettindustrie und den Betrügern ist auch ein Duell der aufgerüsteten Technologien. Die Wettmafia kontaktiert korrupte Sportler oder Funktionäre über das breite Angebot an digitalen Kanälen. Sportradar setzt dagegen seit einigen Jahren auf künstliche Intelligenz. Die KI soll in naher Zukunft Wettbetrug voraussagen können.

"Die Industrie hat viel Geld, es wird Lobbying auf allen Ebenen betrieben, und die Werbung für Sportwetten ist omnipräsent. Solange Sportwetten aber vom Gesetzgeber nicht als Glücksspiel definiert werden, kann man auch die offiziellen Spielerschutzregelungen nicht anwenden", sagt die klinische Psychologin Monika Lierzer von der Steirischen Fachstelle Glücksspielsucht zum STANDARD.

Besonders gerne wird bei Live-Wetten manipuliert: Die Quoten auf Sieg und Niederlage werden dem Spielstand angepasst. Wie der Spekulant an der Börse, der Aktien zum möglichst niedrigen Kurs kaufen will, setzt der Sportwetter, wenn die Quote möglichst günstig für ihn steht – also wenn sein Spieler oder sein Team zwar zurückliegt, aber ein Comeback startet. Gerade beim Basketball oder Tennis ändert sich der Spielstand bekanntlich oft. "Es ist erstaunlich, worauf man mittlerweile alles wetten kann: Einwürfe, Handspiele, Doppelfehler. Man muss viel mathematisches Wissen haben, der Anbieter ist bei Sportwetten aber noch höher im Vorteil als im Kasino", sagt Lierzer.

Tennis ist für das Wettgeschäft prädestiniert. Spielerinnen und Spieler sehen sich Beleidigungen und Drohungen ausgesetzt, weil Zocker viel Geld verlieren. "Warum musst du immer verlieren, wenn wir auf dich wetten. Ich schwöre dir, du wirst bald sterben": Das postete vor wenigen Tagen ein Unbekannter auf dem Instagram-Account von Tennisprofi Tamira Paszek, nachdem die Vorarlbergerin beim ITF-Turnier in Leira in der ersten Runde verloren hatte.

Sportwetten auf dem Handy: Es ist so einfach. Und so gefährlich.
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In den USA explodiert die Branche dank Football und Basketball. 2021 haben die US-Amerikaner legal 52,7 Milliarden Dollar auf Sport gewettet, mehr als doppelt so viel wie im Jahr davor, im vergangenen Jahr waren es schon mehr als 60 Milliarden Dollar. Der Supreme Court hat im Jahr 2018 das Wettverbot gekippt, in 29 Bundesstaaten wurde Wetten erlaubt. Mittlerweile wird es nicht nur geduldet, es wird gefördert, trotz zahlreicher Skandale in der Vergangenheit. Man erinnere sich nur an den bestochenen deutschen Schiedsrichter Robert Hoyzer oder den korrupten NBA-Referee Tim Donaghy.

In den USA ist die Moral längst abgeschafft. Fernsehkommentatoren weisen Zuschauer auf QR-Codes am Bildschirm hin, über den sie Sportwetten platzieren können. NBA-Boss Adam Silver schloss für die neue Saison mit Sportradar einen Vertrag über eine Milliarde Dollar ab, für den Vertrieb von Daten und Live-Spielen an Wettanbieter in den USA und auf internationaler Ebene. Das Epizentrum der Wettindustrie ist Las Vegas. Dort werden die Quoten gemacht, dort gibt mit dem Football-Franchise Las Vegas Raiders und dem Eishockeyteam Golden Knights bereits zwei Profiteams mit Arenen jeweils in Laufweite zum Strip. Was noch folgen wird: ein Drei-Milliarden-Dollar-Komplex aus Hotel, Kasino und Halle für ein Basketballteam, das bald in der Liga spielen wird.

Auch in Europa ist Sportwetten längst salonfähig. Im österreichischen Sport ist freilich deutlich weniger Geld im Spiel. Verbände und Vereine von Randsportarten, die finanziell ums Überleben raufen, laufen Wettanbietern als Sponsoren in die Arme. "Die Verschränkung zwischen Wettanbietern und Sportvereinen ist verrückt", sagt Psychologin Lierzer. "Darum ist es auch so schwer, das System aufzubrechen."

"Man müsste die Sportförderung komplett reformieren und ein Werbeverbot einführen. Das geht ja in Spanien oder Italien auch. Österreich ist das Malta der Sportwetten", sagt Lierzer. Anbieter zahlen hier eine Wettgebühr von zwei Prozent. In Deutschland sind es fünf Prozent. "Der Staat verschenkt hier sehr viel Geld." (Florian Vetter, 28.9.2023)