Wien – Bürgerforen im Herbst statt Gespräche im Sommer: Ein Jahr vor der Nationalratswahl lädt der Privatsender Puls 24 die Vorsitzenden der fünf Parlamentsparteien ins Gasthaus, um live und unter Anwesenheit eines Publikums über ihre Pläne zu diskutieren. Den Auftakt macht am Dienstag um 21 Uhr SPÖ-Chef Andreas Babler. Moderiert wird das "Bürgerforum live – Schicksalswahl 2024" von Puls-24-Infodirektorin Corinna Milborn und Moderator Florian Danner. Während Milborn den Politikern und der Politikerin auf den Zahn fühlt, wird "Café Puls"-Moderator Danner die Fragen der Stammtischgäste stellen. Schauplatz ist das Lokal Luftburg / Kolarik im Prater.

Florian Danner und Corinna Milborn
Florian Danner und Corinna Milborn bitten zu Wirtshausgesprächen – zu sehen auf Puls 24 und Joyn.
Puls 24/Moni Fellner

STANDARD: Zum Bürgerforum kommen die Spitzen der Parteien, nur FPÖ-Chef Herbert Kickl hat seine Teilnahme noch nicht zugesagt. In der Puls-24-Aussendung zur Gesprächsreihe wurde er nur als "angefragt" geführt.

Milborn: "Angefragt" ist immer noch der Stand (zumindest bis Freitag, als der STANDARD auch noch einmal bei der FPÖ nachgefragt hat, Anm.). Er hat bis jetzt weder zu- noch abgesagt. Wir sind aber zuversichtlich, dass es zu einer Zusage kommen wird. Wir haben auch schon sehr viele Anmeldungen für diese Sendung und bereits einige Fragen. Das Wirtshaus wird voll sein an diesem Tag.

STANDARD: Was passiert, wenn er nicht kommen will?

Milborn: Dann werden wir trotzdem etwas zur FPÖ machen. Einen Ersatz oder eine Nummer zwei akzeptieren wir nicht. Das überlegen wir uns dann. Wir gehen aber davon aus, dass es klappt.

STANDARD: Warum zögert er? Hat es in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gegeben?

Milborn: Das müssen Sie ihn fragen. Es kommt natürlich vor, dass Parteichefs nach Interviews unzufrieden sind und ihre Themen nicht so rüberbringen konnten, weil die Fragen kritisch waren. Es hat aber tatsächlich noch nie dazu geführt, dass jemand gesagt hat, dass er deswegen kein Interview mehr gibt. Ich gehe davon aus, dass das hier auch nicht der Fall ist.

STANDARD: Das Motto der Gesprächsreihe ist "Raus aus der Politikblase, rein in die Sorgen der Österreicherinnen und Österreicher". Warum?

Milborn: Normal sind Sommergespräche zurückgelehnt, man geht mit den Parteichefs an ihren liebsten Orten spazieren oder grillen, wie wir letztes Jahr. Wir hatten das Gefühl, dass heuer nicht die Zeit für solche Aktivitäten ist. Im kommenden Jahr stehen Wahlen an, es gibt viele Krisen, und den Leuten stehen die Kosten bis da oben. Wir konfrontieren die Parteichefs mit den direkten Sorgen der Menschen, die außerhalb des Politikbetriebs stehen. So lernt man die Parteichefs und die Parteichefin gut kennen. Mit Leuten im Wirtshaus, am Stammtisch, muss man anders sprechen. Natürlich ist ein Teil der Sendung auch ein normales, hartes Politikinterview, der Großteil speist sich aber aus dem Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern.

STANDARD: Nach welchen Kriterien werden die Bürgerinnen und Bürger ausgewählt? Sind das Sympathisanten oder Kritikerinnen?

Danner: Das sind Leute, die sich bei uns melden, das sind mittlerweile hunderte Zuschriften. Wir versuchen, es so zu sortieren, dass es möglichst repräsentativ ist. Die Politiker sind ja öfter im Wirtshaus, aber dann meist unter Parteifreunden. So wird es bei und nicht sein. Wir bieten etwa Herrn Babler (Andreas, SPÖ-Chef, Anm.) keine SPÖ-Kulisse, sondern möchten es möglichst vielfältig darstellen.

Milborn: Wir haben verschiedene Arten von Publikum im Raum. Es gibt Leute, die zum Zuhören kommen, können dann aber spontan eine Frage stellen. Dann gibt es jene, die sich mit einer Frage gemeldet haben. Beim Stammtisch mit dem Florian sitzen fünf Leute mit verschiedenen Hintergründen. In der ersten Sendung haben wir beispielsweise eine Pflegerin, einen Wirt oder einen Autohändler. Die haben keinen parteipolitischen Hintergrund. Das ist ein großer redaktioneller Aufwand. Sieben Leute sind damit befasst, die ganze Zeit zu telefonieren.

STANDARD: Um das Publikum zu checken?

Milborn: Es werden lange Gespräche geführt, und man checkt durch, ob sie nicht Funktionäre sind. Es können aber auch Parteimenschen kommen, die haben allerdings Extratische. Während des "Bürgerforums" kommen diese nicht zu Wort. Direkt im Anschluss an die Sendung haben wir ein "Pro & Contra" auf Puls 4, das auch von dort gesendet wird. Moderiert von Gundula Geiginger sind der Generalsekretär oder die Generalsekretärin der Partei, ein Klubobmann bzw. eine Klubobfrau oder ein hochrangiger Parteivertreter oder eine -vertreterin, eine Kritikerin oder ein Kritiker und eine Journalistin oder ein Journalist dort zu Gast. Während des "Bürgerforums" haben die nichts zu sagen.

STANDARD: Und man hört sie auch nicht als Claqueure im Hintergrund?

Danner: Wir können es ihnen nicht verbieten, wir achten aber auch auf Ausgewogenheit im Publikum.

Milborn: Wir haben auch Erstwählerinnen und Erstwähler bei jedem Termin. Es kann alles passieren. Es ist live – und im Wirtshaus.

STANDARD: Eskalation befürchtet? Oder gar erwünscht?

Milborn: Nein, wir wollen schon ein ordentliches Gespräch haben. Und werden darauf schauen.

Danner: Was wir schon wollen, ist eine Interaktion zwischen den Parteichefs und den Wählerinnen und Wählern. Und nicht nur mit uns beiden.

Milborn: Wir wollen niemanden bloßstellen. Das Ziel ist nicht, dass sie von Menschen aufgeblattelt werden, sondern dass ein gutes Gespräch stattfindet.

STANDARD: Wie wichtig ist da der Live-Charakter? Beim ORF-"Sommergespräch" wurde von manchen kritisiert, dass die Interviews am Freitag aufgezeichnet, aber erst am Montag ausgestrahlt wurden.

Milborn: Ich finde, das kann man so machen. Gerade bei so einem Zweierinterview in einem kleinen Kammerl, weil es die Möglichkeit bietet, dass sie alles abladen können und man sie nicht dauernd unterbrechen muss. Man weiß, dass man es eh rausschneiden kann. (lacht) Dafür habe ich die Susi (ORF-Moderatorin Susanne Schnabl, Anm.) manchmal beneidet. Man kann so viel höflicher sein. (lacht) In einer Live-Sendung kann man jemanden nicht einfach vor sich hinreden lassen. Ich finde, dass live am besten ist. Es gibt eine gewisse Anspannung und das Wissen, dass es bereits während der Sendung kommentiert wird. Das hat eine besondere Atmosphäre. Bei Politikformaten ist live viel wert.

STANDARD: Ein Art von Anspannung, die gut ist?

Milborn: Ja, es bietet die Möglichkeit des Unerwarteten. Bei Aufzeichnungen könnte man immer noch eingreifen, auch wenn wir das praktisch nie machen, weil wir unsere Sendungen nicht schneiden.

Danner: Wir sind auch schon Szenarien durchgegangen, was passiert, wenn die Politiker oder die Politikerin nicht mehr aufhören zu reden oder das Gespräch so spannend ist. Haben wir schon ein Ergebnis?

Milborn: Wenn es so spannend ist, müssen wir weitermachen, und "Pro und Contra" fängt dann etwas später an.

STANDARD: Gesendet wird auf Puls 24 und nicht auf Puls 4. Warum?

Milborn: Der Grund ist, dass wir mit Puls 24 in diesem Wahljahr sehr viel vorhaben. Wir wollen den Leuten zeigen, das ist der Sender, wo im nächsten Jahr die Berichterstattung zu Russland, den US-Wahlen oder der Nationalratswahl stattfindet. Bitte, speichert ihn ein.

STANDARD: Gehen Sie gewisse Szenarien durch, die bei so einem Gespräch eintreten könnten? Etwa Protest- oder Störaktionen?

Danner: Wir haben es einmal besprochen, es kommt aber dann darauf an, was passiert.

Milborn: Unser Publikum ist ein sehr höfliches. Wir haben ja immer Publikum bei solchen Sendungen. Die Leute sind interessiert und konstruktiv. Wir haben noch nie eine Störaktion erlebt. Sollte es happig werden, halten wir die Kamera halt nicht drauf. Wir haben die Hoheit über die Kamera.

STANDARD: Dass das Bürgerforum nicht auf Puls 4, sondern auf Puls 24 gesendet wird, könnte zulasten einer höheren Quote gehen. Ist das egal?

Milborn: Wir wollen zeigen, das ist der Sender, der sehr viele Infos zu den Wahlen haben wird. Das wollen wir den Leuten kommunizieren. Auch jenen, die Puls 24 vielleicht noch nicht vorne in ihrer Senderliste eingereiht haben. Die Botschaft ist: Wir sind für euch da und arbeiten rund um die Uhr zu den Wahlen im nächsten Jahr. Wir wollen neue Leute dazuholen, die den Sender bis jetzt noch nicht so am Schirm hatten.

STANDARD: Wie haben Ihnen die ORF-"Sommergespräche" in dem Besprechungszimmer des Parlaments atmosphärisch gefallen?

Milborn: Ich finde, es war sehr dicht, auch durch die Möglichkeit, das Gespräch zu schneiden. Mit einer sehr dichten Atmosphäre und ohne Schwafelteile. Susanne Schnabl hat exzellente Gespräche geführt. Das muss man auch nicht noch einmal so machen. Wir hatten das mit dem Wirtshaus bereits vorher beschlossen, es wäre aber auch ein Grund gewesen, dass wir das Gegenteil machen. Dieses sehr dichte 1:1-Interview mit den Parteichefs ist geführt worden; und zwar sehr gut. Unsere Stärke ist, dass wir viel in Kontakt mit den Seherinnen und Sehern sind. Mit Umfragen in Sendungen, Social-Media-Aufrufen und Einblendungen, wir haben oft Publikum und eine lange Tradition von Bürgerforen.

STANDARD: Ein bewusstes Kontrastprogramm zum ORF?

Milborn: Es hätte ja keinen Sinn, das Gleiche zu machen. Ein Wahltag ist ein Wahltag, aber auch da versucht man möglichst unterschiedliche Zugänge zu finden. Der Sinn ist ja, dass es Medienvielfalt gibt. Deswegen stecken wir auch so viel Geld in die Information, weil es für die Demokratie wichtig ist, dass es unterschiedliche Zugänge gibt.

STANDARD: Apropos Medienvielfalt: Das neue ORF-Gesetz kommt am 1. Jänner 2024 und erlaubt dem ORF, viel mehr Videos auf ORF.at zu veröffentlichen, was bei privaten Medienhäusern für heftige Kritik sorgt. Trifft das Ihren Sender ins Mark, weil ja Videos das Kernelement von puls24.at sind?

Milborn: Das hat uns tatsächlich sehr unerwartet getroffen. Puls 24 ist die Nachrichtenseite mit den Videos. Wenn aus dem Nichts daherkommt, dass der ORF seine Videobeiträge auf ORF.at verdoppeln oder verdreifachen darf, dann ist das unerwartet und eigenartig. Ganz ehrlich: Das ist jetzt beschlossen, und ich möchte nach vorne schauen. Und das Positive erwähnen.

STANDARD: Was?

Milborn: Wir haben mit dem ORF eine sehr gute Kooperation zu Joyn geschafft, unserer kostenlosen Streamingplattform mit diversen Sendern und Mediatheken. Damit wollen wir am Smart TV gegen Netflix, Prime und Disney ankommen. Das funktioniert schon sehr gut, auch weil wir ORF-Inhalte einbetten. Die Reichweite wird dem ORF zugerechnet. Das ist eine Win-win-Situation für beide. Aber grundsätzlich werden natürlich die Rahmenbedingungen für Privatmedien nicht leichter mit dem ORF-Gesetz, das ist klar. Wir müssen den Wandel der Jungen zum Streaming mitnehmen und österreichische Inhalte bieten. Nehmen wir das Positive aus dem Jahr mit.

STANDARD: Weniger positiv ist ja der Jobabbau in Ihrer Sendergruppe mit rund 30 Stellen bis Ende des Jahres. Das Klimamagazin wurde eingestellt. Wie sehr trifft Sie das?

Milborn: Für Privatsender ist es derzeit hart. Wir sind werbefinanziert und bekommen keine Gebühren. Deswegen sind wir auch stark von der Konjunktur abhängig, und wenn Österreich in eine Rezession schlittert, spürt man das natürlich sofort. Bis jetzt hatten wir immer Wachstum. Von einer Sieben-Kopf-Gruppe vor 25 Jahren sind wir auf jetzt über 500 Leute gewachsen. Es ist aber leider notwendig, um die Investitionen in den Medienwandel zu schaffen. Man könnte auch in Schönheit sterben, aber das wollen wir nicht. Wir müssen in Streaming investieren.

STANDARD: Warum wurde ausgerechnet das Klimamagazin abgesetzt?

Milborn: Das Magazin ist zu einer Zeit gestartet, als wir zeigen wollten, wie wichtig das Thema ist. Inzwischen ist das Klimathema aber Bestandteil jeder Sendung. Wir haben das quer über unsere gesamte Berichterstattung. Ob in "Café Puls", den Nachrichten oder den Talks. Trotzdem tut es mir sehr weh. Die Themen sind aber nicht weg.

Danner: Ich bin in diese strategischen Entscheidungen nicht eingebunden, aber natürlich haben wir aus der Sicht von "Café Puls" darüber gesprochen, wie wir diese Dinge im Frühstücksfernsehen auffangen können. Dass wir ein breiteres Publikum mit Klimathemen beschäftigen, welches eine eigene Klimasendung nicht anschauen würde. Mit seriöser Berichterstattung und nicht mit Alarmismus.

STANDARD: Puls 24 hatte zuletzt einen Marktanteil von 0,7 Prozent. Wohin soll die Reise gehen?

Milborn: Das Ziel ist ein Prozent, das ist ein typischer Wert, den Nachrichtensender haben. Wir schauen aber auf die Gesamtzahlen und nicht nur den Sender. Puls 24 ist nicht nur der Nachrichtensender, sondern die Info-Unit des gesamten Hauses. Wir machen pro Tag 16 Nachrichtensendungen – von 5.30 Uhr in "Café Puls" bis spät am Abend. Die von Puls 24 produzierten Newssendungen "Aktuell" erreichen jeden Monat rund drei Millionen Zuseherinnen und Zuseher (Zielgruppe ab zwölf Jahren, Anm.). Wir produzieren zudem Dokus oder Sondersendungen. Unser Blick geht auf das Gesamte, auch Digital mit puls24.at und Joyn, die beide sehr stark wachsen. Die Fernsehquote ist nur ein kleiner Ausschnitt von dem, was wir machen.

STANDARD: Warum moderieren Sie die Bürgerforen gemeinsam?

Milborn: Der Flo hat im Frühstücksfernsehen die Bevölkerung vor dem Schirm. An manchen Tagen liegen die Marktanteile im Bereich von 40 Prozent. Er vereint die Breite der Bevölkerung, also was außerhalb der Politikblase passiert, mit einem wahnsinnigen politischen Wissen. Das passt perfekt zum Charakter der Sendung, und ich freue mich sehr, dass wir das gemeinsam machen. Hart ist natürlich, dass er Frühdienste macht und um drei Uhr aufsteht.

STANDARD: Am Tag nach dem Gespräch werden Sie von Frühdiensten befreit, oder?

Danner: Befreit vom Frühdienst aus gesetzlichen Gründen (lacht), weil ich sieben Stunden später nicht wieder moderieren darf. Das geht sich mit der gesetzlichen Ruhezeit nicht aus. Sonst wäre es aber spannend, am nächsten Tag das Gespräch zu analysieren. Da hat die HR ein Veto eingelegt. (lacht) (Oliver Mark, 18.9.2023)