Zigarettenstummeln verschiedener Marken liegen in einem Aschenbecher
Rauchen gefährdet nicht nur die eigene Gesundheit, sondern auch die der Mitmenschen. Direkt und indirekt, wie man bei einem Körperverletzungsprozess am Landesgericht für Strafsachen Wien erfährt.
Imago / Mario Aurich

Wien – Verteidiger Nikolaus Rast ist ganz offensichtlich kein Freund vieler Worte und langer Verfahren. "Können Sie sagen, alles stimmt? Bringen Sie das zusammen?", sagt er zu seinem 46-jährigen Mandanten. Für den Türken mit mäßigen Deutschkenntnissen ist nämlich kein Dolmetscher geladen, eine zu ausführliche Einvernahme durch Richter Roman Palmstingl soll also durch das umfassende Geständnis vermieden werden. Eine kluge Entscheidung, denn die Verständigungsschwierigkeiten offenbaren sich bereits bei der Überprüfung der Generalien. "Üben Sie derzeit einen Beruf aus?", will der Richter beispielsweise wissen und erntet verständnislose Blicke. "Jetzt Beruf? Was arbeiten?", versucht es Palmstingl. Die Ehefrau des Angeklagten ruft aus dem Zuseherbereich: "AMS!", was Herr S. bestätigt.

Die Staatsanwältin wirft dem Angeklagten schwere Körperverletzung vor. Er soll am 16. Mai in Wien-Donaustadt einem Passanten einen Kopfstoß verpasst haben, wodurch dieser bewusstlos auf den Gehsteig prallte und neben zwei Rissquetschwunden auch eine Gehirnerschütterung und eine Gehirnblutung erlitt. "Warum ist es dazu gekommen?", fragt Verteidiger Rast in seinem Eröffnungsvortrag. "Es soll nichts entschuldigen, aber erklären: Der Grund sitzt in Wahrheit in der ersten Zuseherreihe", zeigt der Rechtsvertreter auf die Gattin seines Mandanten. "Die beiden hatten einen heftigen Streit, er war deshalb völlig fertig", führt Rast weiter aus.

Um zu deeskalieren, sei S. auf die Straße gegangen, um eine Zigarette zu rauchen. Der nächste Aschenbecher scheint ihm zu weit entfernt gewesen zu sein, weshalb er den Zigarettenstummel auf den Boden warf. Wie sich zeigte, gefährdet Rauchen nicht nur die eigene Gesundheit, sondern indirekt auch die der Mitmenschen. Denn dem 54 Jahre alten Herrn M., Mieter eines nahen Objekts, missfiel die illegale Abfallentsorgung. Er forderte den Angeklagten auf, seinen Müll zu entfernen – und war plötzlich ohnmächtig.

Zeuge ist kein "Saubersheriff"

"Ich bin jetzt nicht der Saubersheriff, kein Arschloch, aber ich halte den Gehsteig von Zigarettenstummeln frei. Es soll ordentlich aussehen", erklärt M. als Zeuge. An die Attacke selbst kann sich der Selbstständige absolut nicht erinnern, auch den Angeklagten erkennt er nicht wieder. "Als ich aufgewacht bin, war eine Ärztin neben mir auf der Straße. Ich war der Meinung, ich bin vom Dach gefallen, aber sie hat mir dann gesagt, dass ich geschlagen wurde", schildert der Mann. Bereits auf der Fahrt ins Krankenhaus habe er das wieder vergessen gehabt, erinnert sich M. noch.

Richter Palmstingl informiert den Zeugen, dass sich der Angeklagte schuldig bekennt, der Verteidiger dem Privatbeteiligtenvertreter bereits 500 Euro in bar übergeben hat und mit dem gegnerischen Anwalt eine Ratenvereinbarung über die Zahlung der geforderten 2.740 Euro Schmerzensgeld getroffen hat.

Diese Bereitschaft zur Schadenswiedergutmachung streicht Rast in seinem Schlussplädoyer dann zusammen mit der Unbescholtenheit von S. als Milderungsgründe hervor und betont auch, dass sein Mandant freiwillig zur Polizei gegangen sei. Letzteres honoriert auch der Richter: "Dass Sie sich selbst gestellt haben, ist Ihnen sehr hoch anzurechnen, sonst hätte man Sie wohl nie gefunden", begründet Palmstingl die Verurteilung zu acht Monaten bedingter Haft. Die Mindeststrafe von sechs Monaten sei aufgrund der Schwere der Verletzungen aber nicht möglich gewesen. Während der Angeklagte das akzeptiert, gibt die Anklägerin keine Erklärung ab, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 16.9.2023)