Ein Schwimmer krault
Vorerst sind es vor allem meine Arme, die mich auf, nun ja, Tempo bringen. "Die Beine kommen irgendwann von alleine", sagt Ruth.
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Ruth macht mich fertig. "Ich weiß", sagt sie. "Schneideübungen sind kein Spaß. Aber sie sind so wichtig." Und ich hänge am Beckenrand und keuche und spucke nur so vor mich hin. Acht, neun Monate ist es her, dass ich mir eingebildet habe, kraulen lernen zu wollen, acht, neun Monate, in denen ich zumindest ab und zu dachte, ich wäre vom Fleck gekommen. Aber jetzt hänge ich keuchend da und komme mir vor wie der erste Mensch oder auch, Pardon, wie das letzte Lulu.

Gerade bin ich zum ersten Mal mit Schnorchel geschwommen, er erleichtert die Schneideübungen, weil man nicht zum Atmen zwischendurch den Kopf heben muss und so die Wasserlage verliert. Aber der Schnorchel erleichtert halt gar nichts, wenn der erste Mensch oder das letzte Lulu – vielleicht wegen dieser Vollgesichtsmaske, die ich beim Schnorcheln immer trage – durch die Nase Wasser inhaliert. "Das wird schon", sagt Ruth, die neben dem Becken auf und ab geht, "du gewöhnst dich dran." Ich würde nicht Stein und Bein schwören, dass sie überzeugt dreinblickt, aber ich bin auch leicht kurzsichtig und hab die Schwimmbrille auf.

Mein Sprung ins kalte Wasser war ein Anfänger-Kraulkurs im vergangenen Winter. Zunächst hab ich vor allem gelernt, dass 25 Meter unendlich lang sein können. Doch mittlerweile komm ich im 50-Meter-Becken halbwegs auf meine (zwanzig bis dreißig) Längen. Haben sich Brust und Kraul am Anfang die Waage gehalten, leg ich nun den allergrößten Teil kraulend und ohne Pullbuoy zurück.

Halbe Achter

Pullbuoy, um mit einem gängigen Schreib- und Übersetzungsfehler aufzuräumen, heißt Ziehboje, man klemmt ihn (oder sie?) sich zwischen die Oberschenkel, der Auftrieb hilft der Wasserlage. Bei unserem ersten Treffen hat Ruth mir geraten, den Pullbuoy nicht überzustrapazieren. "Sonst vergisst du die Beine total." Bei den Kraullängen gehen sich schon etliche en suite aus, bis ich doch wieder kurz verschnaufen muss. Zwischendurch streu ich die eine oder andere Länge Brust und – ja, Ruth, wirklich! – Schneideübungen ein, man gewöhnt sich an alles. Schneideübungen? Das sind vorwiegend verwortakelte halbe Achter, die meine Unterarme ins Wasser zeichnen.

Man kann und ich will durchaus von Fortschritten reden, sie sind dem Kurs, einem besonderen Massel im Griechenland-Urlaub und den Tipps von Ruth geschuldet. Ruth Pataki ist Mastersschwimmerin, sie krault in ihrer Altersklasse (AK45) von Erfolg zu Erfolg, nicht nur im Becken, sondern auch in Open-Water-Bewerben. In ihrem Verein, dem SC Hakoah Wien, gibt sie Kindern Schwimmunterricht, ich bin ein vergleichsweise schwerer Fall, aber wir sehen uns ja auch nur alle heiligen Zeiten.

Traum im Salzwasser

Im Sommer, dachte ich zunächst, würde ich eine dreiwöchige Zwangspause einlegen müssen. Auf Naxos, zumindest in der Bucht von Mikri Vigla, geht so gut wie immer ein ordentlicher Wind. Da fetzen üblicherweise die diversen Surfer (mit Segel, Kite oder Wing und manchmal auch mit Foils) nur so hin und her. Doch heuer war alles anders, Windstille an drei von vier Tagen. Meinen Kraulambitionen hat das keinen Abbruch getan, im Gegenteil.

Ruth Pataki
"Schneideübungen sind so wichtig", sagt Ruth Pataki.
RP

Das Kraulen im Meer, was soll ich sagen, es war oder ist von vorne bis hinten ein Traum. Zunächst einmal geht es einem leichter von der Hand, weil das Salzwasser Auftrieb bringt. Und was es zu sehen gibt – kein Vergleich mit den paar Blättern, die im Stadionbadbecken grundeln. Nicht dass die Bucht von Mikri Vigla vor Korallenriffs oder auch nur Fischen übergehen würde. Aber ab und zu kreuzt doch einer den Weg, manchmal ein ganzer Schwarm.

Die Bucht von Mikri Vigla

Der Schweizer von nebenan hat beim Schwimmen in aller Herrgottsfrüh sogar eine Schildkröte gesehen, mir bleibt das drei Wochen lang versagt. Mein zweiter Vorname sei hier verschwiegen, um "Morgenmensch" handelt es sich nicht.

Salzwasser schmeckt am Ende nicht schlecht, stelle ich fest. Seit geraumer Zeit, auch das war ein Tipp von Ruth, presse ich unter Wasser den Mund nicht mehr krampfhaft zu, sondern lasse ihn leicht geöffnet, so atme ich nicht mehr stoßartig, sondern gleichmäßiger. Die Luft strömt hinaus, und, ja, ein wenig Wasser strömt hinein, aber eben auch wieder hinaus, ein Fisch bin ich noch nicht.

Manchmal kommt doch etwas Wind auf und dadurch auch Wellengang, das macht die Sache noch interessanter. Ich merke, welche Kraft die Strömung hat, freilich schwimme ich parallel zum Strand und nicht weit draußen. Auf dem Rückweg brauche ich fast doppelt so lange wie hin, quasi Gegenstromanlage. Atmen bei Wind und Welle, ein eigenes Kapitel. Im Bad hab ich mich daran gewöhnt, bei jedem dritten Zug zu atmen, also abwechselnd links und rechts. Im Meer, wenn es anstrengend wird, stelle ich zeitweise auf Zweizugatmung um, versuche aber auch dann, lange Einseitigkeiten zu vermeiden.

Ein wenig setzt mir zu, dass es mir auf Facebook mit den Reels vom Wellenreiten und Windsurfen auch den einen oder anderen Haifisch hineingespült hat. Leider bin ich alt genug, um den Film Der Weiße Hai (Jaws)zu kennen, ergo schießt mir jetzt die Melodie, mit der er sich ankündigt, der Hai, durch den Kopf. Dann konzentriere ich mich wieder auf die Armzüge, zähle eine Zeitlang mit, und der Hai taucht wieder ab. Meg 2, kürzlich im Kino, lass ich garantiert aus.

Kein Hai im Stadionbad

Wieder "daheim" im Stadionbad bin ich mir fast völlig sicher, dass kein Hai auftauchen wird. Im Fall des Falls könnte mir nützen, dass ich gelernt habe, mit geballten Fäusten zu kraulen. Arg, welchen Unterschied das macht, weil du viel weniger Wasser nach hinten schiebst als mit ausgestreckten Fingern, also der ganzen Hand. Faustkraulen hilft dem Wassergefühl, das Augenmerk liegt auf den Unterarmen, die fast auf sich allein gestellt sind. Wenn ich nach einer halben Länge die Faust wieder öffne, so schieße ich auf der zweiten Hälfte – gefühlt! – förmlich der Wende entgegen. Wobei Wende, also richtige Rollwende mit Untertauchen und Abstoßen, spielt es längst noch nicht.

Die Beine haben auch noch Zeit. "Die Beine kommen irgendwann von alleine", sagt Ruth. Zu meinem Tempo tragen sie derzeit fast gar nicht bei, sie sollen halt nicht absacken, damit ich meine Wasserlage einigermaßen halte.

Bitter, dass die (meisten) Freibäder auch schon wieder geschlossen haben. Jetzt muss ich irgendwie über Herbst und Winter kommen. Sieben Monate nur Kurs um Kurs, das hält weder mein Kopf noch meine Brieftasche aus. Ich plane eine Tour durch Wiens Hallenbäder in Döbling, Simmering, Brigittenau, Floridsdorf. Die erste Einheit hab ich schon hinter mir. Wenigstens sind die 25 Meter in der Zwischenzeit viel kürzer geworden. (Fritz Neumann, 19.9.2023)