Alla Andruchowa streichelt ihrem siebenjährigen Sohn Wlas durch sein hellblondes, kurzes Haar. Mittlerweile lehnt er mehr auf ihrem Schoß, als er auf seinem Sessel sitzt. Trotz Positionswechsels richten sich die blauen Augen hinter der runden Brille die meiste Zeit auf seine Mutter. Die 35-Jährige glaubt nicht, dass ihre Kinder genau verstehen, was damit verbunden ist, langfristig in Österreich zu bleiben: "Aber sie fühlen sich wohl. Sie führen ein normales Leben. Sie wissen nicht, was Raketen und Bomben sind."

Alla Andruchowa, Alleinerziehende aus der Ukraine in Österreich, mit ihrem Sohn
Seit eineinhalb Jahren lebt die alleinerziehende Mutter mit ihren Kindern in Wien.
Magdalena Willert

Es sind mittlerweile eineinhalb Jahre vergangen, seitdem die alleinerziehende Mutter mit ihrem damals fünfjährigen Sohn Wlas und ihrer damals zehnjährigen Tochter Jewa, von ihrer Heimatstadt Pokrow – nahe Nikolpol – nach Wien kam. Ein Kriegsjahr und wenig Aussicht auf ein jähes Ende später wusste sie, sie möchte hier langfristig ein von Hilfeleistungen unabhängiges Leben aufbauen.

Dauerhaft in Österreich bleiben

Wie Andruchowa will ein Viertel der ukrainischen Frauen nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren, wie eine Befragung des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) im April dieses Jahres erhob. Das sogenannte "Waiting Dilemma" – das Warten auf ein Ende des Krieges, ohne Schritte einer Existenzgründung im Fluchtland zu setzen – betrifft nicht alle Ukraine-Flüchtlinge. Für viele Menschen gibt es schlicht keinen Ort mehr zum Zurückkehren. Ist der Krieg erst vorbei, schätzt Andruchowa, wird es noch mindestens zehn Jahre dauern, die Ukraine wieder aufzubauen, und sie möchte ihre Kinder in einer stabilen Umgebung großziehen. Beinahe stabil.

Alla Andruchowa, Alleinerziehende aus der Ukraine in Österreich, mit ihrem Sohn
Die Kinder "fühlen sich hier wohl. Sie wissen nicht, was Raketen und Bomben sind", sagt Andruchowa.
Magdalena Willert

Andruchowa ist wie knapp 47.000 ukrainische Vertriebene im System der Grundversorgung untergebracht. Sie lebt mit ihren zwei Kindern im organisierten Wohnen in Wien. Von den Tagsätzen, die der Unterkunftgeber aus der Grundversorgung erhält – 25 Euro pro Person und Tag – wird die Miete für die kleine 30-Quadratmeter-Wohnung direkt beglichen. Essensgeld und Familienbeihilfe erhält Andruchowa in bar. Mit den knapp 1.000 Euro kommt sie für gewöhnlich über die Runden.

Ihre letzten Ersparnisse schluckten neulich jedoch mehrere Zahnarztrechnungen für Tochter Jewa. Als sie noch privat wohnte, kam sie mit den Mietenzahlungen nicht zurecht. Eltern von Wlas' Mitschülern halfen ihr damals durch eine Geldsammlung.

Ohne Hilfe der Zivilgesellschaft sei ein Überleben in der Grundversorgung kaum möglich, kritisiert Ruth Schöffl, Sprecherin des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR). Bei der Befragung des ÖIF gaben mehr als ein Drittel der Befragten an, ihre Grundbedürfnisse in den vergangenen drei Monaten kaum mehr decken zu können.

Die Grenzen der Grundversorgung

Andruchowa möchte deshalb ihr eigenes Geld verdienen. Doch beträgt ihr Lohn mehr als 812,50 Euro netto, verliert sie jegliche Leistung aus der Grundversorgung; bei Zuverdienstsummen über 270 Euro – 110 Euro für sie, je 80 Euro für die Kinder – würden zunehmende Teile ihres Einkommens bis zu dieser Maximalsumme einbehalten.

Sie müsste ihr Quartier innerhalb von circa vier Monaten verlassen und eine Wohnung finden. Für die vier Monate müsste sie einen geringen, je nach Lebensumständen berechneten Betrag bezahlen. Hinzu kommt die Kaution für die neue Wohnung. "Ich muss mit einem gut bezahlten Job in den Arbeitsmarkt einsteigen. Das macht mir die meisten Sorgen", sagt Andruchowa.

Alla Andruchowa, Alleinerziehende aus der Ukraine in Österreich
Andruchowa will nicht auf ein Ende des Krieges und eine Rückkehr warten. Die ausgebildete Bauingenieurin und Yoga-Fachfrau sucht einen Job.
Magdalena Willert

Dass das derzeitige System keine langfristige Lösung für die Vertriebenen aus der Ukraine bedeutet, weiß auch die Regierung. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hat bereits mehrfach eine Entscheidung angekündigt, um Ukrainerinnen und Ukrainer nicht bis zum "St. Nimmerleinstag in der Grundversorgung" unterzubringen.

Eine naheliegende Möglichkeit, die man ministerienübergreifend diskutiert, ist der Zugang von Ukraine-Flüchtlingen zum Sozialhilfesystem, der mit weiteren Sozialleistungen und einer Anbindung an das AMS einhergeht. Dazu bräuchte es nicht zuletzt ein Okay jedes Bundeslands, was seine Zeit bräuchte. Auch ÖVP-intern herrscht diesbezüglich Uneinigkeit.

Gutes Deutsch für einen guten Job

Ein Drittel der ukrainischen Frauen hat laut der Erhebung des ÖIF im Frühjahr bereits einen Job. Obwohl 73 Prozent der Frauen einen Hochschulabschluss und gute Ausbildungen aufweisen, findet sich ein großer Teil von ihnen aber im Niedriglohnsektor wieder und arbeitet unter Qualifikationsniveau. Für die Frauen, die sich noch gegen die Arbeitssuche entscheiden, ist einer der häufigsten Gründe, zuerst ausreichend Deutsch zu lernen, so der ÖIF.

Ukrainisches Community-Center in Wien mit einem Schild mit der Aufschrift
Im ukrainischen Community-Center in Wien leitet Andruchowa Yogakurse. Auf dem Schild im Regal steht "Ruhm der Ukraine".
Magdalena Willert

Schlechtes Deutsch kann sich Andruchowa nicht leisten. Sie schätzt, dass sie mindestens B1-Niveau benötigt, um einen Job zu bekommen, mit dem sie sich das Leben für sich und ihre Kinder in Österreich leisten kann. Aufgrund ihrer Kinderbetreuungspflichten wartete Andruchowa zuletzt vier Monate auf einen Gratis-Deutschkurs, der für sie zeitlich infrage kommt.

Andruchowa ist Bauingenieurin, hat ihr ganzes Leben gearbeitet und sich einen Monat vor Kriegsbeginn in der Ukraine den Traum eines eigenen Yogastudios erfüllt. Schon drei Monate nach ihrer Flucht wusste sie: "Es ist wieder Zeit, sich nützlich zu machen." Mittlerweile engagiert sie sich wie viele andere Ukrainerinnen und Ukrainer ehrenamtlich im Community-Center von Train of Hope im 15. Bezirk. Jeden Sonntag um zwölf Uhr leitet Andruchowa dort ihren Yogakurs. (Magdalena Willert, 19.9.2023)