Ein Kfor-Soldat vor der Gemeindeverwaltung in Leposavić, davor Stacheldraht.
Ein Kfor-Soldat vor der Gemeindeverwaltung in Leposavić. Der Streit über die Bürgermeisterwahlen im Nordkosovo führte Ende Mai zu schweren Spannungen.
Reuters / Fatos Bytyci

Die Amerikaner sind enttäuscht, obwohl eigentlich ohnehin niemand erwartet hatte, dass es bei dem Treffen zwischen dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und dem kosovarischen Premier Albin Kurti zu einer Einigung kommen würde. Allein die Tatsache, dass sich Vučić und Kurti nach der Eskalation des Konflikts Anfang Sommer vergangenen Donnerstag getroffen haben, war schon eine Art von Erfolg. Ende Mai hatten radikale nationalistische Serben Soldaten der Nato-geführten Kfor mit Wurfgeschoßen angegriffen und diese teilweise schwer verletzt. Einem Soldaten musste ein Bein amputiert werden.

Die Kfor hatte die kosovarische Polizei beschützt, die wiederum vier Bürgermeister beschützte, die ihr Amt antreten wollten. Bei den Bürgermeistern handelte es sich um albanische Kosovaren, die nur deshalb mit sehr geringer Wahlbeteiligung gewählt wurden, weil viele Serben, die im Kosovo leben, die Bürgermeisterwahlen auf Geheiß von Belgrad boykottiert hatten. Viele Serbinnen und Serben im Norden des Kosovo sahen die Wahl der Albaner zu Bürgermeistern in den mehrheitlich serbischen Gemeinden nicht als legitim an und protestierten dagegen. Zu den Protesten mischten sich dann auch militante Hooligans, die die Kfor angriffen. Nach diesen Ereignissen verschärften sich die Spannungen zwischen Kosovo und Serbien weiter.

Keine völkerrechtlichen Vereinbarungen

Nun luden die EU-Vermittler, der Außenbeauftragte Josep Borrell und der für den Dialog verantwortliche Miroslav Lajčák, Vučić und Kurti wieder nach Brüssel ein. Borrell hatte am 18. März nach einem Treffen in Ohrid gemeint, dass sich Vučić und Kurti auf einen deutsch-französischen Vorschlag geeinigt hätten. Dabei ging es um einen Grundlagenvertrag zur Verbesserung der Beziehungen zwischen den Staaten Serbien und Kosovo, wobei Serbien Kosovo weiterhin nicht offiziell anerkennen muss.

Nach dem Treffen in Ohrid betonte Vučić damals, dass Serbien mit der Republik Kosovo "keine völkerrechtlichen Vereinbarungen treffen wolle". Der Kosovo sei für ihn "nichts". "Ich habe unerträgliche Schmerzen in meiner rechten Hand", sagte Vučić weiters, "und diese Schmerzen werden die nächsten vier Jahre anhalten", beschrieb er seinen Unwillen das Abkommen zu unterschreiben. Die EU und die fünf westlichen Staaten, die sich Quint nennen (Großbritannien, Deutschland, Frankreich, USA und Italien), sind allerdings der Ansicht, dass es gar keine Unterschrift brauche und dass der Grundlagenvertrag zwischen Kosovo und Serbien nur umgesetzt werden müsse. Kurti wiederum betont immer wieder, dass sich Vučić weigere, zu unterschreiben, während er selbst jederzeit unterschreiben würde.

"Blame Game"

Diplomaten räumen nun ein, dass man schon zu Beginn einen Umsetzungsplan hätte machen sollen, denn nun könnten sowohl die serbische als auch die kosovarische Regierung sich permanent wechselseitig dafür beschuldigen, den Vertrag nicht umzusetzen und ihn damit zur Gänze stoppen. Genau das geschieht nun. Ein Sprecher des US-Außenministeriums sagte nach dem jüngsten Treffen, dass "die Zeit davonläuft". Die Amerikaner wollen offenbar nicht mehr lange dabei zuschauen, wie die Europäer nichts zustande bringen.

Die USA forderten Fortschritte bei allen im Rahmen des Dialogs eingegangenen Verpflichtungen, einschließlich der Gründung eines Verbands von Gemeinden mit serbischer Mehrheit. Der serbische Gemeindeverband wurde bereits im Jahr 2013 im Dialog vereinbart. Kosovo hat den Gemeindeverband im Parlament ratifiziert, nicht jedoch Serbien. Beide Seiten haben ganz grundsätzlich verschiedene Ansichten darüber, wie der Gemeindeverband aussehen soll. Es gibt einen Vorschlag, welcher der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Verfassungsrechtlern zufolge mit der kosovarischen Verfassung vereinbar ist und auch keine Exekutiv-Vollmachten vorsieht. Serbien will einen Gemeindeverband mit Exekutivgewalt. Es ist unklar, über welche Auslegung des Gemeindeverbands während des Dialogs überhaupt diskutiert wird.

Bestehen auf Anerkennung

Nach dem Treffen in Brüssel vergangene Woche sagte Borrell, dass es trotz der unternommenen Anstrengungen nicht möglich sei, "Differenzen zu überbrücken", da Kurti auf der faktischen Anerkennung des Kosovo als ersten Schritt bei der Umsetzung des Kosovo-Serbien-Abkommens bestanden hätte, während Vučić den EU-Vorschlag akzeptierte. Vučić meinte: "Serbien hat den Kompromissvorschlag der EU angenommen. Kurti weigerte sich, diesen anzunehmen, und das Treffen endete." Der Prozess scheint demnach festgefahren.

In der EU gibt es seit Monaten bereits Diskussionen, ob der Diplomat Lajčák ausgetauscht werden solle, nachdem es in den vergangenen Jahren unter seiner Dialogführung keinerlei Fortschritte gab. Die Quint und viele andere EU-Vertreter sehen vor allem in der Regierung Kurti das Problem. Sie werfen dem kosovarischen Premier vor, ihren Ratschlägen nicht zu folgen, stur zu sein und die Eskalation zu suchen. Die EU-Staaten haben sogar Maßnahmen gegen die Regierung des Kosovo erlassen, weil Kurti die Amtseinführung der Bürgermeister trotz Abratens der Quint durchführen ließ. Die Quint hat allerdings die Wahl der Bürgermeister vorher für rechtmäßig erklärt.

Kosovo wird bestraft

Die kosovarischen Militärs durften nach der Eskalation Ende Mai nicht an einer großangelegten militärischen Übung der Nato teilnehmen. Im August trat dann der kosovarische Verteidigungsminister Armend Mehaj zurück, weil er ganz offensichtlich den Kurs der Regierung nicht mehr mittragen wollte. Sicherheitspolitisch ist Kosovo von westlichen Mächten abhängig, insbesondere von der Nato. Mejahs Rücktritt ist auf seine Unzufriedenheit mit Kurtis Haltung gegenüber den internationalen Verbündeten des Kosovo zurückzuführen.

Einer der Gründe für die mangelnden Fortschritte in der sogenannten Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo ist, dass es überhaupt kein Vertrauen zwischen den beiden Regierungen gibt. Im Gegenteil, beide Seiten habe eine sehr negative Perzeption der jeweils anderen Regierung. Bisher wurde nur eine Erklärung zu vermissten Personen und die Einrichtung eines gemeinsamen Ausschusses zur Überwachung der Umsetzung der Vereinbarungen erreicht.

Kein Umsetzungsplan

Es fehlt auch an einem Umsetzungsplan für weitere Schritte. EU-Diplomaten wirken nervös, weil sie keine Erfolge vorweisen können und der deutsch-französische Plan offensichtlich nicht wirklich aufgeht. Die westlichen Mächte haben aber gleichzeitig großes Interesse daran, Serbien an die EU zu binden, weil sie Angst haben, die serbische Regierung könnte sich andernfalls noch mehr an Russland annähern. Viele Kosovaren beschuldigen indes den Westen, einen "einseitigen Druck" auf Kosovo auszuüben, um der Gründung des Verbands serbischer Gemeinden Priorität einzuräumen. Auch die Vermittler werden also nicht als neutral betrachtet, von manchen werden sie vielmehr als eine Partei mit eigenen Interessen gesehen.

Besonders gefährlich ist im Kosovo selbst, dass die Kosovo-Serbinnen und Kosovo-Serben im Norden nicht wieder in die Institutionen zurückgekehrt sind. Vučić hatte sie im November 2022 angewiesen, die Institutionen zu verlassen, unter anderem die Polizei. Das führte zu einem Sicherheitsvakuum, das weiterhin besteht. Unklar ist, weshalb die Serbinnen und Serben nicht in den Polizeidienst zurückgekehrt sind und weshalb diese Frage nicht im Zentrum des Dialogs steht.

Offensichtlich ist, dass Serbinnen und Serben zu Bürgermeisterinnen oder Bürgermeistern in den mehrheitlich serbischen Gemeinden im Nordkosovo gewählt werden sollten. Eine solche Wahl ist allerdings nur möglich, wenn es zuvor eine Abstimmung in den jeweiligen Gemeinden gibt, durch die eine erneute Wahl gefordert wird. Die kosovarische Präsidentin Vjosa Osmani sagte, Kosovo sei bereit, Wahlen in den mehrheitlich serbischen Gemeinden im Norden zu organisieren, fügte jedoch hinzu, dass die Serben eingeschüchtert würden. Sie sagte, sie würden unter Druck gesetzt, die Kommunalwahlen zu boykottieren. Klar ist: Ohne die Zustimmung von Vučić können keine neuerlichen Wahlen im Nordkosovo stattfinden, bei denen dann auch Serbinnen und Serben zu Bürgermeisterinnen oder Bürgermeistern gewählt werden könnten und danach auch ihr Amt antreten "dürfen". Alles hängt von Vučić ab.

"Serbische Einheit" und böses Deutschland

Vučić feierte indes nach dem ergebnislosen Treffen mit Kurti die "serbische Einheit". Er rief alle nichtserbischen Bürger Serbiens dazu auf, stolz auf ihre ethnische Zugehörigkeit zu sein, aber "unserem Volk westlich der Drina und der Donau in Montenegro nicht das Recht zu nehmen, sich Serben zu nennen". Er wies Behauptungen zurück, dass er ein Großserbien schaffen würde, und fügte hinzu, dass er "keine Gerechtigkeit" bei der Lösung von Problemen, vor allem im Kosovo, erwarte.

Das Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Porfirije, sagte bei dem Anlass, dass die serbische Flagge "im Namen Gottes und für die Erlösung der Serben und aller anderen mit uns lebenden Menschen" gehisst werde. Der Präsident der Republika Srpska – ein Landesteil des Staates Bosnien-Herzegowina –, Milorad Dodik, sagte, dass andere sich freuten, wenn die Serben nicht vereint seien, und fügte hinzu, dass es Versuche gebe, die serbische Einheit zu zerstören. Er erklärte, der Druck, der jetzt ausgeübt werde, sei derselbe wie der Druck, der von Österreich-Ungarn beziehungsweise Deutschland in den Weltkriegen ausgegangen sei. "Welcher Funke auch immer entzündet wird, er wurde von den Deutschen und anderen entzündet, die den Serben nicht erlauben, nationale Einheit, Freiheit und die Nationalflagge zu erlangen." Deutschland hat wegen der sezessionistischen und verfassungswidrigen Politik von Dodik einige Projekte für die Republika Srpska gestoppt. (Adelheid Wölfl, 18.9.2023)