Ein Mann sitzt hinter dem Schreibtisch und streckt sich
Männer profitieren von der steuerlichen Begünstigung von Überstunden mehr als Frauen. Die Mehrarbeit von Frauen bleibt öfter unbezahlt als jene der Männer.
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Mit dem dritten Drittel aus der Abschaffung der kalten Progression wird die Regierung ein umfangreiches Paket finanzieren. 1,2 Milliarden werden damit umverteilt. Ein Teil davon betrifft, wie berichtet, die Überstunden. Um die Mehrleistung steuerlich anzuerkennen, wird der monatliche Freibetrag dauerhaft von 86 Euro auf 120 Euro angehoben. Für zwei Jahre befristet wird zudem der monatliche Freibetrag für 18 Überstunden 200 Euro im Monat betragen. Kosten wird diese Maßnahme rund 200 Millionen Euro.

Dass Überstunden steuerlich gefördert werden, hat der Regierung noch am Freitag viel Kritik eingebracht. Profitieren würden davon meist Männer, sagte Wifo-Expertin Margit Schratzenstaller in einer ersten Einschätzung zum STANDARD. Sie nannte das den "Wermutstropfen" des präsentierten Maßnahmenpakets. Denn Überstunden würden meist von Männern geleistet, die nun eine höhere Abgeltung bekämen. Das erhöhe die soziale Ungleichheit in Bezug auf die nichtbezahlte Arbeit von Frauen (Pflege, Familie). Als kurzfristige Maßnahme zum Ausgleich des Fachkräftemangels könne Schratzenstaller den Ansatz zwar verstehen. Das Problem des fehlenden Personals werde so aber nicht gelöst.

Männer profitieren mehr

Das gewerkschaftsnahe Institut Momentum hat sich diesen Bereich nun genauer angesehen und kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass von der Maßnahme Männer deutlich mehr profitieren als Frauen. Zwar machen Frauen mit 63,4 Millionen Überstunden pro Jahr nur knapp die Hälfte der Überstunden von Männern (129,1 Millionen Überstunden), allerdings sind 28 Prozent der Überstunden von Frauen unbezahlt, während Männer nur 23 Prozent ihrer Überstunden unbezahlt leisten. Weitet man die Steuerbefreiung für Überstunden aus, sei das eine Maßnahme, die vor allem den Männern zugutekommt und den Gender-Pay-Gap zwischen Männern und Frauen ausweiten könnte.

"Frauen müssen den Löwenanteil der unbezahlten Sorgearbeit für Kinder, Angehörige und Haushalt leisten, auch weil vielerorts die Infrastruktur wie ausreichende Kindergarten-Plätze fehlen", sagt Jakob Sturn, Ökonom am Momentum-Institut. Schaffe man nun einen Anreiz für den Ausbau von Überstunden, könnten Männer weniger Sorgearbeit daheim übernehmen, gibt Sturn zu bedenken.

Alles auszahlen wäre fairer

Würden alle geleisteten Überstunden ausbezahlt (bei Frauen sind es 17,75 Millionen Überstunden pro Jahr, die sie nicht bezahlt bekommen, bei Männern 29,7 Millionen Überstunden), wäre die Wirkung der Entlastung wesentlich breiter. Weil dann jene Personen, die Überstunden machen, gleichermaßen entlastet würden – weiblich wie männlich unabhängig von der Höhe des Einkommens.

Auch die Arbeiterkammer (AK) sieht die vorgesehene Ausweitung der Anzahl an steuerfrei auszahlbaren Überstundenpauschale von zehn auf 18 Stunden pro Monat kritisch. "Das ist das falsche Signal", sagt AK-Präsidentin Renate Anderl. 18 Überstunden pro Monat wäre eine Ausweitung der wöchentlichen Arbeitszeit um zehn Prozent. "Das geht zulasten der Gesundheit der Arbeitnehmer und führt zu einer weiteren Erhöhung des Arbeitsdrucks", sagt Anderl. Es brauche vielmehr Änderungen bei den Arbeitszeiten – aber mit kürzeren Arbeitszeiten, nicht mit Anreizen für mehr Überstunden.

Diesen Tenor hatte auch der ÖGB. "Bei fast 50 Millionen unbezahlten Mehr- und Überstunden pro Jahr hat es wenig Sinn, über eine Ausweitung der steuerlichen Begünstigung zu reden", kritisierte ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian. "Außerdem muss das Ziel eine Arbeitszeitverkürzung sein und nicht eine – oftmals unbezahlte – Verlängerung."

"Leistung muss sich wieder lohnen", sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) bei der Präsentation der Maßnahmen für die Verwendung des dritten Drittels. "Den Menschen muss mehr Netto- von ihrem Bruttogehalt bleiben", ergänzte Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP). Doch wie viel bleibt den Menschen von der Abschaffung der kalten Progression?

Ein Steuerzuckerl für die Männer.

Bei einem Medianeinkommen (unselbstständig, Vollzeit) von 3171 Euro bleiben heuer 391 Euro mehr in der Tasche – durch die Verschiebung der Tarifklassen. Kommendes Jahr sollen es 901 Euro sein. Legt man ein Medianeinkommen (unselbstständig) in Höhe von 2161 Euro zugrunde, bleiben heuer 371 Euro mehr – 2024 sind es 810 Euro. Pensionisten mit einer Durchschnittspension von 1582 Euro brutto ersparen sich heuer 371 Euro und 834 Euro im Jahr 2024.

"Soziales Drittel"

Die Regierung hat die kalte Progression im Vorjahr abgeschafft. Seit Jänner werden die Steuerstufen jährlich mit der Inflation angepasst. Damit soll verhindert werden, dass Gehaltserhöhungen von der nächsthöheren Steuerstufe aufgesogen werden. Zwei Drittel der Steuerersparnis fließen automatisch an die Arbeitnehmer zurück – über die Anhebung der Tarifgrenzen und die Erhöhung der Absetzbeträge. Über das dritte Drittel kann die Regierung verfügen. Heuer wurde dieses auf die beiden unteren Tarifstufen aufgeteilt, kommendes Jahr werden mehr Menschen davon profitieren. Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) spricht daher von einem "sozialen Drittel", weil nicht nur kleine, sondern auch mittlere Einkommen entlastet werden.

Die Regierung muss jährlich bis zum 15. September erklären, wofür sie das dritte Drittel einsetzen will. Einigen sich die Parteien nicht, würde das dritte Drittel auf alle Tarifstufen aufgeteilt werden. (Bettina Pfluger, 18.9.2023)