Deutliche Verbesserungen bei bestehenden sowie neue Programme und sogar so mancher Umbau an der Kernoberfläche: Mit Gnome 45 haben die Entwicklerinnen und Entwickler des am stärksten verbreiteten Linux-Desktops nun eine neue Softwaregeneration veröffentlicht. Gerade angesichts dessen, dass seit dem letzten großen Update gerade einmal sechs Monate vergangen sind, bringt diese wieder überraschend viele Neuerungen mit sich. Und dabei verabschiedet man sich sogar von dem einen oder anderen über die Jahre immer wieder kritisierten Konzept.

Das Umfeld

Den Anfang macht der Blick auf den Kern-Desktop, also die Gnome Shell. Dabei fallen gleich zwei bemerkenswerte Änderungen auf. Die erste: Seit vielen Jahren prangt in der linken oberen Ecke des Desktops das Wort "Aktivitäten". Wer dort klickt, oder den Mauszeiger ins linke obere Eck wirft, ruft darüber die wohl wichtigste Ansicht des Desktops auf – eben die Aktivitätsansicht. Über diese können Programme gestartet, aber auch virtuelle Desktops organisiert werden.

Ein Screenshot von Gnome 45
Der Desktop von Gnome 45 mit einigen der Neuerungen. Links oben ist die minimalistische Desktop-Vorschau zu sehen, die den "Aktivitäten"-Knopf ersetzt.
Proschofsky / STANDARD

Dieses Konzept bleibt auch mit Gnome 45 gleich, allerdings tauscht man das immer präsente "Aktivitäten" mit einem Element aus, das nicht nur herumliegt, sondern auch nützliche Informationen bietet. An dieser Stelle werden nun also die virtuellen Desktops minimalistisch visualisiert. Dadurch hat man immer den Überblick, wie viele davon gerade offen sind und auf welchem man sich befindet.

Kein App-Menü mehr

Zudem verabschiedet man sich von einem anderen zentralen Gnome3-Konzept: dem App-Menü. Dieses fand sich bisher neben dem Aktivitätenknopf, und sollte eigentlich zentrale Steuerelemente für geöffnete Programme an einem Ort versammeln. Eine Idee, die in der Linux-Welt allerdings – sagen wir es mal freundlich – relativ wenig Unterstützung gefunden hat. Etwas spät, aber doch gesteht sich das nun auch das Gnome-Projekt ein.

Bleiben wir beim Top-Panel: Dort gibt es nämlich eine weitere erfreuliche Neuerung. Nutzt ein Programm künftig die Kamera, wird das über ein rotes Icon in besagtem Panel angezeigt. Allerdings gibt es dabei eine nicht ganz unwichtige Einschränkung: Das klappt nur, wenn das jeweilige Programm das in Linux-Jahren noch relativ neue Pipewire-Multimedia-Framework verwendet. Trotzdem ist es eine aus einer Privatsphärenperspektive äußerst erfreuliche Verbesserung, für die man sich unübersehbar von mobilen Betriebssystemen inspirieren hat lassen. Zudem gab es einen solchen Indikator bei Gnome schon bisher für Tonaufnahmen, also wenn das Mikrofon aktiv ist.

Schnelleinstellungen und Feinschliff

Über einen Klick auf die Systeminformationen rechts im Panel können die Schnelleinstellungen aufgerufen werden. Bei diesen neu ist ein Eintrag für die Tastatur, über die deren Hintergrundbeleuchtung – so vorhanden – gesteuert werden kann. Apropos Schnelleinstellungen: Es gibt nun eigene Schnittstellen, über die Erweiterungen sehr einfach zusätzliche Einträge an dieser Stelle einfügen können.

Ein Screenshot der Gnome-Schnelleinstellungen mit hellem Theme
Die Schnelleinstellungen mit dem offiziell noch versteckten Light Mode. Ebenfalls zu sehen ist die neue Schaltfläche für die Hintergrundbeleuchtung der Tastatur.
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Dazu kommen einige nützliche "Quality of Life"-Verbesserungen. So können besagte Schnelleinstellungen nun über das Tastaturkürzel Super + S aufgerufen werden. Nicht minder sinnvoll ist, dass Benachrichtigungen über einen Druck auf die Zurück-Taste schnell ausgeblendet werden können.

Es werde Licht!

Etwas versteckt gibt es sogar noch eine größere Änderung des optischen Auftritts von Gnome. So gibt es nun einen "Light Mode", bei dem auch das Panel – inklusive Schnelleinstellungen und Mini-Kalender– in hellen Farben dargestellt wird. Derzeit muss man dieses Feature aber noch über eine eigene Erweiterung oder einen Kommandozeilenbefehl ("gsettings set org.gnome.desktop.interface color-scheme prefer-light") freischalten, für künftig Versionen erwägt das Projekt nach eigenen Angaben, dies allgemein verfügbar zu machen.

Wenn wir schon beim Oberflächlichen sind: Neben einer Reihe von neuen Bildschirmhintergründen wurden auch die verwendeten Mauszeiger modernisiert.

Änderungen an der Softwareauswahl

Apropos Modernisierung: Gnome 45 bringt gleich mehrere Änderungen an der offiziellen Programmauswahl. Den Anfang macht ein neues Bildanzeigeprogramm, das unter dem Namen Loupe entwickelt wurde, nun aber gewohnt schnöde als "Image Viewer" geführt wird. Dieses ersetzt das gewohnte "Eye of Gnome".

Ein Screenshot von Loupe
Loupe ist der neue Bilderbetrachter für Gnome
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Loupe wurde von Grund auf neu geschrieben, und zwar auf Basis von Gtk4, also der aktuellen Generation des von Gnome verwendeten grafischen Toolkits. Generell wirkt die Oberfläche dadurch nicht nur moderner, sie ist dank hardwarebeschleunigter Darstellung auch deutlich flotter. Zudem fallen die Unterstützung von Gesten zum Vergrößern und Verkleinern sowie ein eigener Druckdialog auf. Einen Sidebar für all die Metadaten von Bildern gibt es natürlich auch. Nicht minder wichtig war in der Entwicklung das Thema Sicherheit, Loupe ist in Rust geschrieben, zudem läuft jene Komponente, die für das Laden von Bildern zuständig ist, isoliert in einer Sandbox.

Bitte lächeln!

Bei der zweiten Neuerung handelt es sich hingegen um eine sehr simple Anwendung namens Snapshot. Diese ist vor allem für das Testen von Webcams gedacht. Sie kann zwar auch Fotos und Videos aufnehmen, das war es dann aber schon. Das Tool ersetzt das ältere Cheese, das schon länger nicht mehr aktiv entwickelt wird, verzichtet aber auf dessen Fülle an verspielten Filtern.

Ersatzlos gestrichen wurde Gnome Photos, da die Software nicht mehr aktiv entwickelt wird. Ehrlich gesagt war aber auch so nie klar, welche Rolle das Programm eigentlich erfüllen sollte. Für eine ernsthafte Fotoverwaltung war es einfach zu schwach, und die Bildbetrachtungsaufgaben sind über Loupe ohnehin schon abgedeckt.

Ein Screenshot von Snapshot.
Snapshot ist ein sehr simples Webcam-Tool. Rechts oben ist übrigens der neue Kamera-Indikator zu sehen.
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Scanner

Die laufende Portierung der Gnome-Kernprogramme auf Gtk4 bildete zuletzt bei Desktop-Updates immer eine zentrale Rolle. Bei Gnome 45 gibt es hingegen nur einen relevanten Fortschritt in dieser Hinsicht: Die Scanner-Software Simple Scan wurde auf die neue Toolkit-Generation portiert, in diesem Zuge wurde auch gleich die Oberfläche komplett neu gestaltet.

Was hingegen mittlerweile sehr gut funktioniert, sind die fortschreitenden Vereinheitlichungen bei jenen Programmen, die bereits auf Gtk4 portiert wurden. Jene Libadwaita, in der viele Gnome-spezifische UI-Elemente versammelt werden, bietet nun ein vorgefertigtes Element für einen Sidebar. Dieser wird mit Gnome 45 gleich bei mehreren Desktop-Programmen übernommen, darunter dem Dateimanager, aber auch beim Kalender, den Kontakten oder den Systemeinstellungen. Dadurch ändert sich der Look dieser Programme ein stückweit – nimmt der Sidebar doch die volle Höhe ein und ist damit auch neben jenem Headerbar platziert, in dem bei Gnome Titelzeile und zentrale Steuerungselemente kombiniert werden.

Schneller suchen

Ein großer Fokus der neuen Version war die Verbesserung der Suchperformance. Besonders auffällig ist das beim Dateimanager, wo die Suche nun tatsächlich um ein Vielfaches flotter agiert. Doch auch bei der Softwarezentrale oder bei der Integration diverser Programme in die Gnome-Shell-Suche – etwa dem Taschenrechner – gab es entsprechende Optimierungen.

Ein Screenshot des Dateimanagers Gnome 45 mit Suchergebnissen.
Gnome 45 beschert dem Dateimanager nicht nur einen neuen Sidebar-Look und eine andere Suchansicht, Suchen sind auch erheblich flotter geworden.
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Doch noch einmal zurück zum Dateimanager: Bei diesem wurde nämlich auch die Darstellung der Suchergebnisse verändert. Ein weiterer Performancegewinn ist, dass die Erstellung von Thumbnails deutlich beschleunigt wurde. Und wenn wir schon beim Thema Performance sind: Der gesamte Desktop sollte dank zahlreicher Verbesserungen am Fenstermanager Mutter, aber auch der Gnome Shell wieder einen guten Ticken flotter sein – oder dort, wo er ohnehin schon sehr schnell war, halt weniger Ressourcen verbrauchen.

Einstellungen

Die Systemeinstellungen von Gnome befinden sich ebenfalls weiter im Umbau. In der neuen Version wurden etwa die Privatsphäreneinstellungen neu sortiert, um sie übersichtlicher zu gestalten. Auch einige andere Dialoge wie jener zum Bereich Sharing wurden modernisiert, das gilt auch für die Systeminformationen.

Interessant ist aber auch, dass Gnome ein paar bisher versteckte Einstellungen einfacher zugänglich macht. Dazu gehören Optionen für die Uhren- und Kalenderdarstellung. Zudem ist nun das "Fractional Scaling" für feinere Optionen beim Skalieren der Desktop-Ansicht von Haus aus aktiviert.

Ein Screenshot der Privacy-Einstelllungen.
Einige Einstellungen wurden neu sortiert, hier etwa jene zur Privatsphäre.
Proschofsky / STANDARD

Vermischtes

Einige kleinere Änderungen im Schnelldurchlauf: Die Karten-App des Desktop verwendet nun für die Zoom-Elemente Overlay-Knöpfe statt welche im Headerbar. Beim Dateimanager gibt es neben den schon erwähnten Verbesserungen noch zusätzliche Detaileinstellungen für die Anzeige. Die Softwarezentrale streicht sicherheitsrelevante Updates jetzt extra heraus und kann auf Wunsch beim Entfernen von Flatpaks auch die von ihnen lokal gespeicherten Einstellungen löschen. Außerdem lädt Gnome Software künftig keine Updates mehr herunter, wenn gerade ein Spiel läuft.

Einige zusätzliche Einstellungen sind bei der simplen Kommandozeilen-Anwendung Console hinzugekommen – etwa für die bevorzugte Schrift. Die Kalenderanwendung hat einige neue Tastatur-Shortcuts spendiert bekommen, der Taschenrechner beherrscht mehr Währungen zum Konvertieren.

Entwicklung

Wie gewohnt gibt es auch einige für Entwicklerinnen und Entwickler relevante Änderungen – die wichtigste: Das Sysprof-Tool zur Performance-Analyse wurde komplett neu geschrieben. Und für künftige Gtk4-Portierungen ebenfalls wichtig: Es gibt nun eine dazu passende neue Bibliothek zur Rechtschreibkorrektur.

Eine große Änderung nimmt Gnome bei seinem Erweiterungssystem vor, statt dem zuvor genutzten eigenen Import-System wechselt man auf ganz normale Javascript-Module, wie sie mittlerweile eine brauchbare Option sind – im Gegensatz zu früheren Jahren. Das ist für die Zukunft sicherlich der richtige Schritt, führt nun aber dazu, dass sämtliche bestehenden Erweiterungen angepasst werden müssen, um mit Gnome 45 zu funktionieren. In dieser Hinsicht sind also mehr Probleme zu erwarten als bei den letzten Versionssprüngen.

Ein Screenshot zeigt Gnome Calendar und Gnome Maps
Auch bei anderen Gnome-Bestandteilen wie Kalender oder Kartenanwendung gab es Feinschliff
Proschofsky / STANDARD

Download

Gnome 45 steht wie gewohnt in Form des Quellcodes der Einzelbestandteile zum Download, zudem gibt es ein Gnome OS genanntes Testsystem, mit dem die aktuelle Version in einer virtuellen Maschine ausprobiert werden kann. In die Testversionen kommender Linux-Distributionen sollten die aktualisierten Gnome-Komponenten bald einfließen – so sie das nicht ohnehin schon sind.

Ausblick

Auch wenn Gnome 45 also wieder einen durchaus positiven Eindruck hinterlässt, so muss doch in die weitere Zukunft mit etwas Sorge geblickt werden. Das liegt an aktuellen Umbauten bei der mittlerweile zu IBM gehörigen Linux-Firma Red Hat, die viele der Gnome-Projekte – aber auch viele Basistechnologien – entwickelt. So sind damit etwa der Hauptentwickler für den Gnome-Videoplayer, aber auch all die Bluetooth-Komponenten verloren gegangen. Wie gut all das von der Community aufgefangen werden kann, muss sich wohl erst zeigen.

Das auch, weil das Projekt auch sonst schon bei einigen Projekten nach neuer Unterstützung sucht. So betont man etwa, dass es einige Änderungen bei Gnome Music brauchen würde, damit es Teil des Kerndesktops bleiben kann – also nicht dasselbe Schicksal erfährt wie Gnome Photos. (Andreas Proschofsky, 21.9.2023)