Fast sah es so aus, als habe sich sogar das New Yorker Wetter um die passende Kulisse für die Botschaft bemüht, die Wolodymyr Selenskyj auf seiner großen Reise über den Atlantik zu überbringen sucht: Auch wenn die Lage seiner Armee im Kampf gegen die russischen Invasoren bisweilen trüb scheint, wartet am Ende doch der Sieg.

Video: Als erstes Ziel seiner Reise suchte sich Wolodymyr Selenskyj ein Krankenhaus auf Staten Island aus, das ukrainische Verwundete versorgt.
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Entsprechend wolkenverhangen zeigte sich der Himmel über der US-Metropole, als Selenskyj am Montagnachmittag (Ortszeit) zum zweiten Mal seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen sein Land amerikanischen Boden betrat und ein Spital besuchte, in dem verwundete ukrainische Soldaten behandelt werden.

Kurz vor seinem geplanten Auftritt vor den mehr als 150 Delegierten der in dieser Woche tagenden UN-Generalversammlung (19.30 Uhr MESZ) ließ sich dann schließlich die Sonne blicken. "Es ist für uns sehr wichtig, dass unsere Worte, unsere Botschaften gehört werden", umriss Selenskyj vorab das Ziel seiner diplomatischen Mission in Übersee, die ihn erst nach New York zur Uno und später nach Washington führen soll.

Hatte Selenskyj den Vertreterinnen und Vertreter der UN-Mitgliedsstaaten im Vorjahr noch von Kiew aus per Videoschaltung ins Gewissen gesprochen, wollte er dies diesmal persönlich tun. Anders als etwa beim G7-Gipfel in Japan im Mai, wo er seinen Zehnpunkteplan für eine Beendigung des Krieges präsentierte, sind bei diesem weltgrößten Stelldichein der Diplomatie nämlich längst nicht alle seinem Land so wohlgesonnen wie die westlichen Staaten. Vor allem die Länder des Globalen Südens, darunter Brasilien und Indien, haben sich bisher nicht dazu durchringen wollen, eindeutig Position für die angegriffene Ukraine zu beziehen.

Keine Trophäen im Gepäck

Selenskyj begibt sich dieser Tage aber nicht nur in New York, sondern auch bei US-Präsident Joe Biden in Washington auf eine heikle diplomatische Gratwanderung. Kurz vor dem Beginn eines, wie sich abzeichnet, polarisierten Wahlkampfs muss er die US-Öffentlichkeit davon überzeugen, dass sich die milliardenschwere Hilfe für die Ukraine auch weiterhin auszahlt. Wurde er im vergangenen Dezember nach der Befreiung Chersons und der Region um Charkiw durch seine Armee im Kongress wie ein Held gefeiert, wird nun erwartet, dass er bei seinem Besuch in der US-Hauptstadt am Mittwoch leisere Töne anschlägt.

Damals hatte er den Abgeordneten eine ukrainische Fahne ausgehändigt, die von den Verteidigern der Frontstadt Bachmut unterschrieben worden war. Solche Trophäen dürfte Selenskyj diesmal nicht im Gepäck haben. Auch deshalb nicht, weil die Waffenhilfe aus den USA und Europa, Kampfpanzer etwa, aber auch Minenräumfahrzeuge und Artilleriemunition, zu langsam bis an die Front vorgestoßen ist, als dass sie schnelle Erfolge hätten liefern können.

Wolodymyr Selenskyj in New York.
AP/Eduardo Munoz

Demonstrative Dankbarkeit 

Die ukrainische Gegenoffensive vermag bisher zwar den einen oder anderen Etappensieg zu zeitigen – gerade am Montag wurde, wie es heißt, eine zweite Bresche in die russische Verteidigungslinie geschlagen –, verglichen mit dem schnellen Vormarsch vor einem Jahr kommen die Befreier ihrem Ziel aber weit langsamer näher. Auch deshalb befürchtet Kiew zunehmende Ungeduld aufseiten seiner westlichen Verbündeten.

Sowohl US-Sicherheitsberater Jake Sullivan als auch der damalige britische Verteidigungsminister Ben Wallace hatten beim Nato-Gipfel in Vilnius im Juli bei Selenskyj zudem auf mehr Dankbarkeit für die Unterstützung durch ihre Länder gepocht. Es wird daher erwartet, dass Selenskyj auf seiner Tour durch die USA betont, wie viel die Ukraine ihren westlichen Unterstützern verdankt. Der US-Kongress hat bisher Hilfspakete im Wert von umgerechnet mehr als 40 Milliarden Euro für die ukrainische Armee bewilligt, das Weiße Haus hat zuletzt um weitere 24 Milliarden angesucht. Ob die Abgeordneten auch diesmal zustimmen, ist noch nicht ausgemacht. Selenskyj dürfte bei seinem Besuch in Washington daher vor allem versuchen, auf republikanische Abgeordnete einzuwirken, die sich bisher skeptisch zeigten.

Ob Selenskyj – oder ein Vertreter – am Donnerstag bei der im New Yorker UN-Gebäude tagenden Sitzung des Sicherheitsrats den Raum verlässt, wenn Russlands Delegierter dort auftritt, war am Dienstag ebenfalls noch unklar. Im Vorjahr hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow für einen Eklat gesorgt, weil er nach einer martialischen Rede aufstand und wortlos ging. (Florian Niederndorfer aus New York, 19.9.2023)