Nachstellung römischer Heeresführer
Im April wurde in Rom der Geburtstag der Stadt gefeiert. Dieser jährte sich am 21. April zum 2.776. Mal. Etliche Menschen werfen sich für die Feierlichkeiten in Schale. Im Bild sind zwei Männer in der Uniform römischer Militärs zu sehen.
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Es ist eine so absurde wie amüsante Diskussion, die in die Filmgeschichte einging: "Mal abgesehen von den sanitären Einrichtungen, der Medizin, dem Schulwesen, Wein, der öffentlichen Ordnung, der Bewässerung, Straßen, der Wasseraufbereitung und den allgemeinen Krankenkassen, was, frage ich euch, haben die Römer je für uns getan?" Im Film "Das Leben des Brian" der Gruppe Monty Python diskutieren Mitglieder der Widerstandsbewegung "Volksfront von Judäa" (nicht zu verwechseln mit der "Judäischen Volksfront") über die so verhassten römischen Besatzer. Auf die Frage, was die Römer je für die Bevölkerung getan hätten, bringen die Anwesenden eine Reihe liebgewonnener Verbesserungen vor.

Was haben die Römer je für uns getan? Monty Python´s Das Leben des Brian
Das Erbe Roms

Gedankenreise nach Rom

Die Faszination für die Leistungen im antiken Rom flammt derzeit auf Social Media erneut auf. Denn für viele Männer dürften die Wege zumindest gedanklich häufig nach Rom führen. Ein neuer Tiktok-Trend scheint zu belegen, dass männliche User ungeahnt oft über das Römische Reich nachdenken. Der Hashtag "RomanEmpire" steht derzeit bei rund 1,2 Milliarden Aufrufen, der Hashtag "RomanEmpireTrend" zählt 29,7 Millionen Aufrufe, der ebenfalls genutzte Hashtag "RomanEmpireCompilation" kommt aktuell auf 22,3 Millionen Aufrufe.

Besonders faszinieren offenbar die architektonischen Errungenschaften – wie Betonkuppeln und Aquädukte –, aber auch die schiere Größe des Imperiums und nicht zuletzt die Gladiatoren. Ein Befragter gibt in einem Video an, dreimal am Tag über die Überlegenheit der Hochkultur zu sinnieren. In einem anderen Video begründet ein Mann seine Faszination für das antike Rom mit dem Aufbau einer weltbeherrschenden Gesellschaft.

Auf TikTok stehen Männer derzeit Rede und Antwort zur Frage aller Fragen: Wie häufig denken sie an das Römische Reich?
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Fachmänner können dies klarerweise gut nachvollziehen, wie der langjährige Vorstand des Instituts für Alte Geschichte an der Universität Wien und Römerzeit-Experte Ekkehard Weber auf STANDARD-Nachfrage bekräftigt: "Die Römerzeit ist mit keiner der anderen Epochen in ihrer Bedeutung – für das Werden Europas und eigentlich der Weltkultur – zu vergleichen", auch wenn es Versuche gegeben habe, sich davon zu lösen.

Noch immer ist die römische Vergangenheit in Europa omnipräsent, nicht nur durch die romanischen Sprachen, die auf das Lateinische zurückgehen, sowie deren Austausch mit anderen Sprachfamilien. "Wir verwenden noch die Schrift, die die Römer zwar nicht erfunden, aber zum heutigen Alphabet entwickelt haben", sagt Weber und verweist auf den Namen der Schriftart Times New Roman, "unser Rechtssystem ist römisch, und das Christentum ist in der römischen Antike entstanden."

Kleidung eines römischen Zenturio.
Ein Mann trägt die typische Kleidung eines römischen Centurio. Alljährlich wird in Rom der Geburtstag des mythischen Königs Romulus gefeiert. Begleitet wird das Spektakel von inszenierten Gladiatorenkämpfen, Ritualen und Paraden.
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Wissenschaftlich ist nicht belegt, wie häufig der durchschnittliche Mann tatsächlich über das Römische Reich grübelt. Fest stehen allerdings zahlreiche wegweisende Leistungen im Bau- und Gesundheitswesen, der öffentlichen Versorgung und der Verwaltung, die von der Hochkultur geschaffen wurden. Hinzu kommen Verbesserungen damals bestehender Technologien, unter anderem in der Landwirtschaft, der Lebensmittelproduktion und der Metallverarbeitung. Vermutlich spielen auch Überlegungen zur Frage eine Rolle, wie es gelang, ein solch großes Imperium zu erschaffen, das sich vom gesamten Mittelmeerraum über die Hälfte der Schwarzmeerküste bis zu den Britischen Inseln erstreckte. Anteil daran hatten die fortschrittlichen Errungenschaften, aber wohl auch eine vergleichbar große religiöse Toleranz sowie die militärische Stärke, die durch kluge Taktik und häufiges Training ermöglicht wurde.

Rom, typisch männlich?

Die Verknüpfung mit militärischen Aspekten könnte auch ein Grund dafür sein, weshalb gerade Männer vom Römischen Reich beeindruckt sind. Auch das Forschungsfeld war lange Zeit von diesem Themengebiet geprägt. Inzwischen habe sich der Fokus aber stark sozialgeschichtlichen Fragestellungen zugewandt, sagt Weber. Dabei spielt auch ein gewisses Bild eine Rolle, das in westlichen Gesellschaften über diese Epoche vorherrscht, wie Forschende gegenüber der "Washington Post" ausführen. Denn man habe bisher gewisse Aspekte der römischen Geschichte überbetont, die in der allgemeinen Vorstellung mit Männlichkeit verbunden seien.

Römische Soldaten
Gedanklich verbindet man mit dem Römischen Reich tapfere Krieger, unerschrockene Gladiatoren und kühne Feldherren. Vielfach entstammt dieses Bild jedoch einem zu stark positiven Fokus auf die Leistungen der Hochkultur, wie Forschende erläutern.
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Das Erste, was ihr in den Sinn komme, ist "ein Bild der römischen Legion, des kaiserlichen Adlers und dieser Art von militärischem Aspekt – zusammen mit Gladiatoren, die seit langem mit Männlichkeit und Macht verknüpft werden", sagt Hannah Cornwell, Historikerin der Universität Birmingham, zur "Washington Post". Dass im antiken Rom jedoch nur patriarchale Stärke zählte, relativiert die Forscherin.

So wurde der römische Kaiser Elagabalus in historischen Quellen oft als Herrscher dargestellt, der mit Crossdressing experimentierte. Zumindest manche Frauen verfügten im Römischen Reich über Macht und konnten freie Entscheidungen treffen. Zudem stellten neben männlichen auch weibliche Gladiatoren ihr Kampfgeschick unter Beweis. Unterschiedliche Formen der Sexualität zeugen ebenfalls von einer gewissen Diversität. "Die Römer haben zwar ein klares Bild davon, was männlich und weiblich ist, aber das lässt Raum für eine große Flexibilität", erklärt Cornwell. Das werde oft vergessen.

Frau in antikem Kostüm
Nicht nur Männer konnten es im antiken Rom zu Ruhm, Macht und Ansehen bringen. Selbst bei Gladiatorenkämpfen konnte die eine oder andere Frau ihre Kampfkunst unter Beweis stellen.
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Psychologie der Macht

Aus Kreisen der Psychologie erfährt man auf Nachfrage, dass die Begeisterung für die Hochkultur sich auf mehrere Faktoren gründen könnte: Infrage kämen etwa das bereits erwähnte Ideal von Männlichkeit wie auch die vielfach als ausschließlich patriarchal wahrgenommenen Strukturen. Abseits davon gelte das antike Rom aber auch als Wiege der Zivilisation, die häufig als Basis europäischer Kultur betrachtet werde.

Thomas Slunecko vom Institut für Psychologie der Kognition, Emotion und Methoden der Universität Wien sieht darüber hinaus zwei weitere Umstände, die der Faszination des Römischen Reichs Vorschub leisten könnten. Dabei spielt einerseits die religiös-politische Theorie der Translatio imperii eine Rolle. Auf das antike Rom übertragen kann man sie so verstehen, dass sich die anfangs in Rom konzentrierte Macht im Lauf der Jahrhunderte verschob. Zuerst wanderte diese Macht in den fränkischen, dann den angelsächsischen und schließlich den US-amerikanischen Raum. "Die USA sind die Römer unserer Zeit", sagt der Kulturpsychologe zum STANDARD.

Mensch in Gladiatorenkostüm
Gladiatoren machen einen Teil der Faszination aus, die noch heute zahlreiche Menschen in den Bann des antiken Roms zieht. Besonders viel Aufmerksamkeit kommt dem Römischen Reich derzeit auf der Plattform Tiktok zu.
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Die ungebrochene Tradition des Machtausdrucks sei an politischen Institutionen ebenso ablesbar wie an monumentalen Gebäuden. So tragen Institutionen wie der Senat dieselbe Bezeichnung wie im Römischen Reich, mit dem Kapitol in Washington, D.C. sei auch der Sitz des US-Kongresses nach römischem Vorbild errichtet worden. "Darin kommt die Botschaft zum Ausdruck: Wir sind die Macht und das Zentrum der Welt", erklärt Slunecko.

Neben diesem Aspekt sieht der Psychologe heute eine kulturelle Situation, die jener ab der Kaiserzeit bis zur Spätantike ähnelt: "Das ist das Kapitel, in dem sich alles verdunkelt, die Macht bösartiger und alles zunehmend brutaler wird." In dieser Zeit entstanden vermehrt Arenen als Schauplätze des Kampfes, ebenso das Kolosseum. Danach seien rund 2.000 Jahre lang keine Arenen und Stadien mehr entstanden, erst mit den Olympischen Spielen wurden vergleichbare Wettkampfstätten wieder errichtet. Die heutige Zeit weise ebenfalls Anklänge zerbröckelnder Imperien auf, auch die Macht und der Einfluss der USA schwänden, zieht Slunecko eine Parallele.

Freilich haben nicht alle Menschen, die gern über das antike Rom nachdenken, ein solch düsteres Bild vor Augen. Und es sind selbstverständlich nicht nur Männer, die von der Faszination für das vergangene Weltreich ergriffen werden, wie historisch interessierte Frauen deutlich machen. Und es gibt etliche Epochen und Völker der Geschichte, die in westlichen Ländern ebenfalls unter vielen Begeisterung hervorrufen und zum Nachdenken über beeindruckende Errungenschaften und frühere Lebenswelten einladen, etwa das Mittelalter, die ägyptische Pharaonenzeit oder – weit vor der Existenz des Menschen – die Ära der Dinosaurier. Dieser Gedanke weckt wiederum den Verdacht, dass sich ein solches Interesse während der prägenden Phase der Kindheit entwickelt und bis ins Erwachsenenalter gehalten haben könnte. Da das antike Rom auch in der Popkultur – von Filmen über Comics bis hin zu Songs wie "Junge Römer" – ein beliebtes Motiv war und ist, dürfte der Nachschub für den aktuellen Tiktok-Trend gesichert sein. (Marlene Erhart, Julia Sica, 20.9.2023)