Wien - Alexander Wrabetz ist seit Anfang 2022 nicht länger als ORF-Generaldirektor tätig, beschäftigt sich aber wenig überraschend weiter intensiv mit Medien. So auch mit dem Aufkommen von Künstlicher Intelligenz (KI) und deren Auswirkungen auf die Medienbranche. Im schriftlich geführten APA-Interview spricht er von KI als "echtem Gamechanger unserer menschlichen Entwicklung" und fordert eine Erweiterung des ORF-Auftrags um einen "KI-Auftrag".

Ex-ORF-Chef Alexander Wrabetz.
KI werde die Produktion, die Verbreitung und die Nutzung medialer Inhalte "total verändern", sagt Wrabetz.
Foto: APA/EVA MANHART

"Von den drei großen Revolutionen der Jahrtausendwende - Internet, Smartphone und eben KI - wird letztere die wichtigste sein", zeigt sich Wrabetz überzeugt. KI werde die Produktion, die Verbreitung und die Nutzung medialer Inhalte "total verändern". Mehr noch: Es würden gänzlich neue Medien entstehen, die ähnlich wie das Streaming die TV-Welt oder Social Media den Printbereich disruptieren, so Wrabetz, der gegenwärtig den KI-Bereich des Think Tank "Future Vienna" des sozialdemokratischen Wirtschaftsverbands Wien (SWV) leitet.

APA "könnte Schlüsselrolle spielen"

Man nehme in Österreich die KI-Challenge zwar bereits ernst, experimentiere etwa im Bereich des journalistischen Arbeitens, aber weitere medienübergreifende Entwicklungsanstrengungen seien notwendig. Denn derzeit sei zu befürchten, dass amerikanische und chinesische Plattformen mit überlegenen technologischen, finanziellen und personellen Ressourcen "ihre weltweite Dominanz noch weiter ausbauen und damit endgültig europäischen Medien die Existenzgrundlage entziehen - sowohl bei der Finanzierung als auch beim Publikum", malt Wrabetz ein düsteres Bild.

In Österreich könnte eine medienübergreifende Zusammenarbeit im KI-Bereich nach den Verwerfungen um das ORF-Gesetz ein Neubeginn sein. "Die APA könnte hier als gemeinsame Genossenschaft der österreichischen Medien mit ihrem KI-Know-How und ihrer internationalen Vernetzung eine Schlüsselrolle spielen", so der Ex-ORF-Chef. Und: "Natürlich muss der Auftrag des ORF um einen KI-Auftrag erweitert werden. Alles, was der ORF dann tun wird, ist mit allen österreichischen Medien zu teilen."

Mehr finanzielle Ressourcen

Für Qualitätsmedien sieht Wrabetz ganz neue Aufgaben zukommen: Bereitstellung von vertrauenswürdigen Trainingsdaten für KI-Modelle, Aufdeckung von Attacken auf demokratische Prozesse wie etwa auf KI basierendes Dirty-Campaigning, oder auch die Individualisierung von Medieninhalten. "Das lineare TV- oder Radioprogramm wird in sehr persönlichen Varianten produzierbar sein. Jeder, der will, wird einen ganz persönlichen Ö3-Wecker von Robert Kratky präsentiert bekommen", erwartet der langjährige Medienmanager.

Genug finanzielle Unterstützung erhalte der KI-Bereich aber noch nicht - "weder für Grundlagenforschung noch für Förderung von Projekten bestehender und für Finanzierung von Start-Ups". "Ich denke, das müsste mindestens im Umfang der Cofag (Anm. Corona-Finanzierungsagentur) sein, wenn wir uns als Land ernst nehmen", so Wrabetz. Geld gehöre auch investiert, um KI in allen Bereichen der Verwaltung, der Bildung und des Gesundheitswesens für das Gemeinwohl zum Einsatz zu bringen.

Überarbeitung des EU-KI-Acts gefordert

Auf EU-Ebene wird derzeit an einem KI-Act gearbeitet, der den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Zukunft regulieren soll. Grundsätzlich sollen KI-Anwendungen unterschiedlichen Risikogruppen von "Minimal" über "Hoch" bis "Inakzeptabel" zugeordnet werden. Je nach Einstufung müssen die Anbieter bestimmte Sicherheits- und Transparenz-Anforderungen erfüllen. Wrabetz sieht das Vorhaben skeptisch: "Der KI-Act ist im Trilog noch einmal grundlegend zu überarbeiten. Derzeit ist der KI-Act zum Vorteil der großen US-Unternehmen." Denn europäische Start-Ups könnten sich wohl den bürokratischen Aufwand nicht leisten oder gleich in die USA auswandern. "Der wirklich gefährliche Teil der KI, nämlich der militärische Bereich, ist gar nicht umfasst", warnt er.

In Österreich wurde von Digitalisierungsstaatssekretär Florian Tursky (ÖVP) eine KI-Servicestelle bzw. -Behörde angekündigt. Wrabetz befürchtet, dass die Besetzung dieser sich schwierig gestalten könnte. Denn echte KI-Experten seien derzeit eine "weltweit sehr gesuchte Spezies". Er plädiert darauf, sich auf die Frage eines Gütesiegels und nicht auf ex-ante-Genehmigungen zu konzentrieren.

Für Oktober kündigt Wrabetz ein Maßnahmenpaket zur KI-Entwicklung des Think Tanks "Future Vienna" an. Man sei mit KI-Experten in Österreich und international vernetzt. (APA, 19.9.2023)