Im Juni wurde Hardeep Singh Nijjar - in Indien als Terrorist gelistet - bei Vancouver vor einem Tempel erschossen.
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Ottawa/Delhi – Zwischen Indien und Kanada haben sich die Beziehungen in den vergangenen Monaten rapide verschlechtert. Am Dienstag erreichte der diplomatische Konflikt einen neuen Tiefpunkt: Indiens ranghöchster Geheimdienstvertreter musste Kanada verlassen. Indien reagierte, indem es seinerseits einen kanadischen Diplomaten aus Neu-Delhi verwies.

Grund für die bilaterale Eiszeit sind Vorwürfe, die der kanadische Premier Justin Trudeau am Montag im Parlament in Ottawa geäußert hatte: Laut kanadischen Sicherheitsbehörden sollen Agenten des indischen Staats hinter der Ermordung eines kanadischen Staatsbürgers in der Nähe von Vancouver im vergangenen Juni stecken. Indien wies die Vorwürfe umgehend zurück.

Am 18. Juni wurde der 45-jährige Hardeep Singh Nijjar vor einem Sikh-Tempel in einem Vorort Vancouvers erschossen. Nijjar, selbst Sikh, galt als Verfechter der separatistischen Khalistan-Bewegung. Diese fordert seit Jahren im Pandschab, also im Nordwesten Indiens, einen unabhängigen Staat und ist weltweit gut vernetzt. Der Konflikt ist in Indien über Jahrzehnte gewachsen, galt ab den 1990ern aber als weitgehend überwunden. Doch in den vergangenen Jahren, seitdem die BJP-Regierung an der Macht ist, brechen alte Gräben wieder auf.

Weltweite Demos

Nijjars Ermordung war nicht das einzige Vorkommnis, das in den vergangenen Monaten für Schlagzeilen gesorgt hat. Im Februar setzte Delhi im Pandschab eine Aktion scharf durch, um einen radikalen Khalistan-Prediger dingfest zu machen. Dabei wurde in ganzen Landstrichen über Stunden das Internet abgedreht. Anhänger der Khalistan-Bewegung fanden sich zu Solidaritätsdemos weltweit zusammen. In London etwa demontierten dann einige der Demonstranten die indische Fahne von der dortigen Botschaft, in San Francisco warfen Demonstranten gar Fensterscheiben ein.

In Kanada leben weltweit die meisten Sikhs außerhalb Indiens. Seit Monaten spitzt sich der Streit hinter den Kulissen zu. Nun erreicht er zunehmend auch die Öffentlichkeit. So wirft die Modi-Regierung Ottawa vor, "khalistanischen Terroristen und Extremisten" Zuflucht zu gewähren, wie das indische Außenministerium sagte. Trudeau wiederum gab bekannt, dass jede Beteiligung einer ausländischen Regierung an der Tötung eines kanadischen Staatsbürgers eine "inakzeptable Verletzung der Souveränität" sei.

Bereits beim G20-Gipfel in Neu-Delhi vor einer Woche wehte zwischen Trudeau und Modi ein eisiger Wind. Modi kritisierte den Gast aus Kanada scharf dafür, die Khalistan-Aktivisten in Kanada gewähren zu lassen. Trudeau konterte, dass sein Land immer die Meinungsfreiheit und friedliche Proteste verteidigen werde. (Anna Sawerthal, 19.9.2023)