Szene aus dem Gerichtssaal vor Verhandlungsbeginn, bei der Verteidiger Werner Tomanek mit seinem mandanten Dario D. spricht, während beide von Justizwachebeamten flankiert werden.
Die beiden als Modelle für aufwendige Frisuren eher ungeeigneten Männer in der Mitte lösen großes Medieninteresse aus: Verteidiger Werner Tomanek (Zweiter von links) und Angeklagter Dario D. (sitzend).
DER STANDARD / moe

Wien – Wenn die vergnügungswillige Mutter zu Silvester und ein, zwei Mal im Jahr südamerikanisches Marschierpulver schnupft, wird sie wohl nicht viele Gedanken daran verschwenden, wie das Kokain eigentlich nach Österreich kommt. Aus Sicht von Staatsanwalt S. sitzt ein wichtiger Verantwortlicher dafür nun vor einem Geschworenengericht: Dario D., ein 35-jähriger Serbe, soll laut Anklage dafür gesorgt haben, dass in zwei Jahren in zumindest 113 Fällen 450 Kilogramm Kokain und Heroin nach Österreich geschmuggelt und hier vertrieben wurden.

Und D. sei nicht irgendwer gewesen, ist der Ankläger überzeugt. Er sei der "Filialleiter", also der Capo, eines europaweit tätigen mafiösen serbischen Clans gewesen. Wie S. darauf kommt? Im April 2021 erhielten die heimischen Ermittler im Rahmen der internationalen Operation Trojan Shield von Polizeibehörden anderer Staaten Chatprotokolle und Dateien.

Die entschlüsselten Nachrichten, Bilder und Daten stammen von sogenannten Kryptohandys, die eigentlich als abhörsicher galten und deshalb nicht nur bei Menschenrechtsaktivisten in totalitären Staaten populär waren, sondern auch bei Menschen, die aus eher weniger edlen Motiven anonym und unüberwachbar kommunizieren wollten.

Krypothandys als FBI-Falle

Dabei handelte es sich einerseits um die "SkyEEC"- und andererseits um die "Anom"-Handys. Erstere wurden von einem kanadischen Unternehmen auf den Markt gebracht, nach offizieller Darstellung gelang es französischen, belgischen und niederländischen Beamten in einer von der EU-Agentur Europol koordinierten Aktion allerdings, Server in Frankreich zu beschlagnahmen, mit deren Hilfe die Kommunikation entschlüsselt werden konnte. Zweitere waren überhaupt eine Falle der US-amerikanischen Bundespolizei FBI. Sie lancierten die Geräte verdeckt in einschlägigen Kreisen und lasen und sahen fast in Echtzeit mit.

Ob dieses Vorgehen mit europäischen datenschutz- und strafrechtlichen Bestimmungen kompatibel ist, ist umstritten. In einigen Fällen haben europäische Gerichte bereits entschieden, dass auf solche Art erlangte Beweise nicht vor Gericht verwertet werden dürfen. In Österreich hat der Oberste Gerichtshof derartige Beschwerden der Verteidigung bisher stets abgewiesen – vereinfacht ausgedrückt vertritt man den Standpunkt, dass von anderen Behörden ohne österreichischen Auftrag gewonnene Erkenntnisse auch verwendet werden dürfen. Eine Urteil auf europäischer höchstgerichtlicher Ebene steht noch aus, wird aber für heuer erwartet.

Im heimischen Bundeskriminalamt (BK) blieb man jedenfalls nach Erhalt der Daten der griechischen Mythologie treu und gründete die "Arbeitsgruppe Achilles". Am 7. Juni 2021 konnte der in seiner Heimat wegen Beteiligung an einem Doppelmord vorbestrafte Angeklagte dann in Wien-Meidling festgenommen werden. Die Ermittlungen zu seinem Netzwerk gingen weiter – im Hintergrund geht es auch um Bandenkriege, Auftragsmorde und ein "Horrorhaus" in Serbien, wo in einer Tiefkühltruhe die Köpfe von Opfern sichergestellt wurden.

Elf Jahre, nun droht lebenslang

Im Landesgericht Wien wurde D. bereits im vergangenen Dezember wegen schweren Raubes an Konkurrenten, bei dem illegale Rauschmittel und Bargeld erbeutet wurden, nicht rechtskräftig zu elf Jahren Haft verurteilt. Nun droht ihm eine lebenslange Haftstrafe nach dem Suchtmittelgesetz: Da er in der Gruppe "führend tätig" gewesen sein soll.

Der bullige Angeklagte mit der charakteristischen heiseren und leicht aggressiven Stimme hat am ersten Verhandlungstag zu den Vorwürfen eine klare Antwort: "Ich bin nicht schuldig!", lässt er übersetzen. Er habe mit der ganzen Sache überhaupt nichts zu tun, sondern arbeite in einem Kaffeehaus in Belgrad. "Als was?", will der Vorsitzende wissen. "Als Manager." – "Wie viel haben Sie verdient?" – "300 Euro", antwortet der Verheiratete, der drei gleichaltrige Kinder von zwei Frauen hat. Vermögen habe er keines, beteuert er, während er in einer Armani-Jeans auf dem Anklagestuhl sitzt. "Haben Sie Schulden?" – "Ein wenig." – "Wie viel?" – "100.000 Euro."

Sein Verteidiger Werner Tomanek kündigt an, dass sein Mandant lediglich eine kurze Stellungnahme abgeben und dann schweigen werde. D. rügt zunächst die heimische Justiz wegen vermeintlicher Ungerechtigkeiten, geht dann aber doch auf die Fragen des Vorsitzenden ein. "Was haben Sie eigentlich im Juni 2021 in Österreich gemacht?", lautet eine. "Ich wollte für die Kinder Sachen einkaufen." – "Gibt es die in Belgrad nicht?" – "Doch, aber hier sind sie billiger." Ein anderer Fragenkomplex dreht sich darum, warum er bei seiner Festnahme vier Kryptohandys bei sich hatte. "Die hat mir mein Cousin mitgebracht", lautet die Erklärung. Er habe auch nie den Spitznamen "Dexter" verwendet, entlehnt von einen fiktiven, aber eigentlich grundsympathischen Serienkiller aus dem TV.

Senat lehnt Verteidiger-Antrag ab

Und überhaupt seien die Chatprotokolle nicht verwertbar, beharrt der Angeklagte auf seine Aussagen, andere Beweise gäbe es nicht. Einen entsprechenden Antrag trägt auch die Verteidigung eine gute Stunde lang mündlich vor, die Berufsrichter und -richterin lehnen diesen aber ab: Der Oberste Gerichtshof habe bereits entschieden, dass die Verwertung zulässig sei.

Die am ersten Tag geladenen Zeugen sind wenig ergiebig. So macht ein in dieser Sache in Wien in Untersuchungshaft sitzender 29-Jähriger vom Recht Gebrauch, sich nicht selbst beschuldigen zu müssen, und bescheidet nur knapp: "Ich lehne eine Aussage ab." Der vorerst kurze Auftritt ist dem Staat nicht ganz günstig gekommen: Seine Auslieferung aus Thailand musste mittels Privatjet erfolgen, der um rund 160.000 Euro gebucht wurde. Die Reiselektüre des mutmaßlichen Geschäftspartners des Angeklagten war übrigens originell: eine Biografie des kolumbianischen Drogenbarons Pablo Escobar.

Am 26. September wird fortgesetzt. (Michael Möseneder, 20.9.2023)