Am Flughafen in Calgary tummeln sich die Leute. Telefonierende Menschen laufen hektisch den Gang entlang, Eltern versuchen ihre aufgeregt herumlaufenden Kindern im Blick zu behalten, Seniorenreisegruppen stehen beisammen, junge Paare schießen Selfies.

Manche tragen Anzüge, andere Jogginghosen, und einige haben einen Cowboyhut auf. Für die kanadische Stadt, die in der Provinz Alberta liegt, nichts Ungewöhnliches. Die südwestlich gelegene Prärieprovinz identifiziert sich unter anderem mit der Geschichte der Cowboys. Auch einige Mitarbeiter:innen des Flughafens tragen Cowboyhüte.

Flugzeug landet am Flughafen Calgary
Bei einem Auslandssemester sollte unbedingt bedacht werden, dass der Koffer länger in das neue Land brauchen könnte als man selbst.
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Mittendrin gehe ich in Richtung der Gepäckbänder, um meinen Koffer zu holen, damit mein Auslandssemester an der Mount Royal University in Calgary beginnen kann. Für die Reise hierher hat es nicht nur einen zwölfeinhalb Stunden langen Flug, sondern auch jede Menge Zeit für Organisatorisches gebraucht. Begonnen hat der Prozess vor ungefähr sechs Monaten. Denn da kam ein E-Mail der Fachhochschule, dass die Bewerbungsfrist für ein Auslandssemester im Wintersemester 2023/24 bald ablaufen würde. Doch zahlt sich so ein Auslandssemester wirklich aus? Es ist mit Kosten verbunden, man muss den Job kündigen, kommt in eine völlig fremde Stadt und auch das Koordinieren braucht einiges an Zeit. Für ein halbes Jahr in Kanada, ist mir dieser Aufwand wert, beschließe ich.

Als begeisterte Wintersportlerin ist Kanada für ein Auslandssemester im Winter der perfekte Ort. Von Calgary aus erreicht man in circa zwei Stunden die Rocky Mountains, die für diverse Sportarten bestens geeignet sind. Dass Englisch gesprochen wird ist eine gute Gelegenheit, um die heute so wichtige Sprache zu vertiefen. Und es bietet die Möglichkeit, die kanadische Kultur kennenzulernen, die für ihre Toleranz und Offenheit bekannt ist.

Bürokratisches und Organisatorisches

Der ganze Prozess rund um ein Auslandssemester beginnt meist mit einer Bewerbung. Man lädt sein Zeugnis hoch, gibt persönliche Daten an und muss eventuell das eine oder andere Formular einreichen. An die Mount Royal University (MRU) muss anschließend noch ein Motivationsschreiben gesendet werden. Dann heißt es meist: warten.

Nachdem die Uni eine Aufnahmebestätigung schickt, beginnt der Planungsprozess. Man bekommt einen Account für die Onlineportale der Gastuniversität, muss Kurse auswählen und diese von der Heimuniversität genehmigen lassen. Zwischen dem Lesen von diversen Formularen und E-Mails sollte auch der Flug gebucht, ein Antrag für einen Platz im Student:innenheim gestellt, eine Versicherung abgeschlossen und gegebenenfalls ein:e Zwischenmieter:in für die Wohnung gesucht werden. Außerdem sollte man prüfen, ob man Anspruch auf Förderungen, oder eine Bildungskarenz hat. Die letzte Hürde, bevor das Uni-Leben in einem fremden Land beginnen kann, ist nur noch, dass man den Flug nicht verpasst und das Gepäckstück nicht verloren geht.

Der verlorene Koffer

Vor dem Gepäckband, auf dem die Koffer des Flugs von Frankfurt nach Calgary ankommen sollten, standen schon einige Menschen. Immer wieder gehen einzelne nach vorne und heben mal mit mehr, mal mit weniger Mühe die roten, blauen, grünen, gemusterten oder schwarzen Koffer und Rucksäcke herunter. Nach 30 Minuten tuckern schließlich nur mehr zwei Koffer auf dem Förderband im Kreis. "Sind deine Sachen auch nicht da?", fragt eine junge Frau. Das Gepäck einiger Menschen ist nicht angekommen. Meines auch nicht. Gemeinsam gehen wir zum Infoschalter, um bei den Mitarbeiter:innen des Flughafen nachzufragen, was man in so einer Situation am besten tut. Einige Menschen stehen schon vor dem Schalter und warten.

Nach fast zwei Stunden kam eine Mitarbeiterin, die an alle, deren Koffer nicht angekommen ist, ein Formular zum Ausfüllen verteilte. Beim Verlassen des Flughafens mussten wir diese wieder abgeben. Den Flug nicht verpassen und den Koffer nicht verlieren – zumindest die Hürde, die ich zum Teil beeinflussen konnte, war überwunden. Am Flughafen teilte man uns mit, dass der nächste Flug von Frankfurt nach Calgary in zwei Tagen gehen und an diesem Tag vermutlich unsere Sachen mitgeliefert würden. Zum Glück hatte ich auf meine Mutter und die Tipps im Internet gehört und genau für diese Situation zur Sicherheit etwas Kleidung in meinem Handgepäck. Die Lieferung des Koffers sollte allerdings länger dauern als erwartet.

Student:innenheim und neue Leute

Wenn man nicht gerade mit einem Flughafenmitarbeiter spricht, der kurz vorm Feierabend steht, begegnen einem die Menschen in Kanada mit außerordentlicher Freundlichkeit. Geht man in einem Geschäft zur Kasse, kommt einem als erstes ein "Hey, how (are) you doing today?" entgegen. Ein kleines Gespräch danach ist nicht ungewöhnlich.

Als Mensch, der davor im eher weniger für seine Freundlichkeit bekannten Wien gelebt hat, überforderte mich das am Anfang ein wenig. Manchmal weiß man nicht genau, ob sein Gegenüber tatsächlich an dem eigenen Wohlbefinden interessiert ist und ein kleines Gespräch anfangen will, oder ob das nur aufgesetzt ist. Im Großen und Ganzen bestätigt sich für mich aber das Klischee, dass Kanadier:innen überaus freundlich sind.

Die ersten Tage in Calgary

Um den Jetlag zu verarbeiten und sich etwas einleben zu können, ist es ratsam, ein paar Tage vor Unibeginn in das Gastland zu reisen. In dieser Zeit hatte ich die Möglichkeit, Calgary zu erkunden und erste Freundschaften zu schließen. Am Weg vom Flughafen zum Student:innenheim stach mir ein Plakat mit der Aufschrift "Calgary Pride" ins Auge. Schnell fand sich eine Gruppe an Studierenden, die sich die Pride und die Innenstadt anschauen wollte.

Calgary Pride
Auf der Pride in Calgary waren Regenbogenflaggen und tanzende Menschen zu sehen
Nicola Höpfl
Calgary Football game
Beim Footballspiel in Calgary zeigten die Besucher:innen stolz ihre Verbundenheit zu der Geschichte der Cowboys
Nicola Höpfl

Auch ein Footballspiel sollte am Tag nach der Pride stattfinden. Während auf der Pride Regenbogenflaggen, tanzende Menschen und verschiedenste Vertreter:innen diverser Kulturen zu sehen waren, präsentierten die Besucher:innen des Footballspiels stolz ihre Cowboyhüte, Cowboyboots und breite Gürtel. Vor allem das Footballspiel ließ mich staunend zurück. Dort wurde über Lautsprecher durchgesagt:

"In the spirit of reconciliation, we acknowledge that we live, work and play on the traditional territories of the Blackfoot Confederacy (Siksika, Kainai, Piikani), the Tsuut’ina, the Iyarhe Nakoda Nations, the Métis Nation (Region 3), and all people who make their homes in the Treaty 7 region of Southern Alberta."

Vor dem Footballspiel wurde ein sogenanntes Land Acknowledgement gesprochen. Damit soll mehr Sichtbarkeit für die indigenen Völker in Alberta geschaffen werden. Auf Nachfrage bei indigenen Menschen, was sie davon halten, kommen unterschiedliche Reaktionen. "Es gäbe so viel mehr, was man tun könnte", sagt ein indigener Student schulterzuckend.

Wie gehen die Kanadier:innen mit der Aufarbeitung ihrer Kultur und Geschichte um? Vor welchen Herausforderungen wird man als Austauschstudent:in gestellt, wenn der Uni-Alltag beginnt, und wie bekommt man am besten einen verlorenen Koffer zurück? All diese Fragen werden sich hoffentlich in der nächsten Zeit noch beantworten lassen. Gibt es etwas, das Sie schon immer über ein Auslandssemester oder über Kanada wissen wollten? Lassen Sie es mich gerne wissen! (Nicola Höpfl, 2.10.2023)