Die klassischen Identitätskonflikte von Migrantenkindern der zweiten Generation waren in meiner Biografie nie wirklich Thema. Das liegt vielleicht daran, dass ich kein klassisches Kind der zweiten Generation bin. Dass man vieles gleichzeitig und auch immer wieder etwas "dazwischen" sein kann und darf, habe ich immer gelebt und eingefordert. Ich mag Skifahren nicht, dafür bin ich ein großer Fan von allem Panierten. Ich höre ausschließlich jugoslawischen Rock und Pop, schimpfe in beiden Sprachen recht kompetent, aber gut texten kann ich nur auf Deutsch. Ich mag keine großen, lauten Zusammenkünfte wie bei Balkanfamilien üblich, aber dafür mag ich auch keine anstrengenden Wanderungen nur um des Wanderns willen.

Kind spielt mit Wasser
Ich habe gelernt: Auf dem Spielplatz muss das Kind nicht gut ausschauen.
IMAGO/Michael Gstettenbauer

In Wien ist es einfach, sich ein Leben zwischen diesen vermeintlichen und, zugegeben, auch banalen Widersprüchen zusammenzupuzzeln. Identitätskrisen waren für mich lange kein persönliches Thema, es war ein Thema, zu dem ich viel las und schrieb. Bis ich Mutter wurde.

Die Muttermaschine

Was für eine Mutter will ich sein, ist eine Frage, die sich wohl jede stellt. Und jede Gesellschaft hat die gleiche Antwort darauf: die perfekte! Je nach Kultur, Milieu und Ideologie gibt es strikte Regelkataloge für die perfekte, aufopfernde, feministische, gesund ernährende, entspannte, strenge, vorsichtige, zugewandte, konsequente, medienkritische, vorlesende, selbstkochende Wundermaschine Mutter.

Dass der jeweilige theoretische Rahmen, den uns unsere Umgebung und wir selbst uns auferlegen, für alle Mütter, aber vor allem für mich nur nackte Theorie ist, wurde mir zum ersten Mal an einen schwülen Nachmittag auf dem Spielplatz klar. Hinter uns lag ein stressiger Morgen, ein gehetzter Weg zum Kindergarten und zur Arbeit. In der vermeintlich gekürzten Elternteilzeit-Arbeitszeit habe ich schon überlegt, welchen gesunden Snack ich unterwegs besorge und was am Abend gekocht wird. Vollgepackt, verschwitzt (ich) und aufgedreht (das Kleinkind) verlassen wir den Kindergarten Richtung Spielplatz. Während ich mich auf eine Bank im Schatten fallen lasse, sehe ich aus dem Augenwinkel, wie sich das Kind mit vollem Karacho in die matschige, verdächtig riechende Sandkiste stürzt.

Ich geniere mich

Mit jener Lautstärke, in der meine Vorfahren vor der Einführung des Telefons von einem bosnischen Berg zum anderen kommuniziert haben, rufe ich Richtung Sandkiste: Komm sofort da raus, du ruinierst deine neuen Schuhe! Die Hipstermütter um mich herum lassen vor Schreck die Tupperware mit den Hirsebällchen fallen. Ich geniere mich sehr.

So geht's mir später auch, wenn ich meine Kinder mit den jugoslawischen Snacks Plazma und Smoki füttere, die voller Palmöl und Zucker sind. Ja, in der Theorie weiß ich, dass gesunde Alternativen besser sind, aber ich will mit ihnen das warme Gefühl teilen und mich an meine eigene Kindheit erinnern. Ich weiß auch, dass die leidige Screentime-Problematik nicht besser wird, wenn ich ihnen noch einen jugoslawischen Zeichentrick aus den 1980ern zeige, aber sie müssen unbedingt dieses Kinderlied kennen und über einen bestimmten Schmäh lachen können.

Mit den Jahren stelle ich außerdem fest: Der Trend zum Gentle Parenting ist das Gegenteil von Balkan-Parenting. Auf dem Balkan wurden wir mit viel Liebe, aber auch chaotisch, mit sehr inkohärenten Regeln und Grenzen erzogen. Ich bin auch nur das Produkt der Frauen und Männer, die mich erzogen haben, stelle ich fest. Und das kommt halt manchmal laut und unkontrolliert aus mir raus.

Balkan-Parenting

So geht's natürlich nicht nur Müttern mit Migrationsgeschichte, so geht's uns allen. "Gott, ich benehme mich schon wie meine Mutter", haben bestimmt alle schon mal gedacht. Der Unterschied ist nur, dass die Erziehung und Kindheit, die manche Migrantenkinder erlebt haben, drastisch anders ist als das, was sie ihren Kinder vermitteln wollen.

Irgendwo zwischen diesen zwei Überzeichnungen ist mein Alltag.
Toxische Pommes

Aber einmal mehr hat mich der Humor gerettet. Vor einiger Zeit hat der Tiktok-Star Toxische Pommes ein Video über DIE österreichische Mutter und DIE Balkanmutter gemacht. Das Kind fällt auf dem Spielplatz hin, die Hose ist schmutzig und zerrissen. Die eine Mutter tröstet, die andere schimpft über die zerrisse Hose. Die satirische Überzeichnung half mir, mich damit auszusöhnen, dass ich beides sein kann. Neue Hosen werden nicht mehr angezogen, wenn ein Spielplatznachmittag ansteht. Dafür putz ich die Kinder zu jeder anderen passenden und unpassenden Gelegenheit heraus. Und ich rufe gelegentlich noch immer quer über den Spielplatz, haltet eure Hirsebällchen fester! (Olivera Stajić, 21.9.2023)