August 2023: Nach der Flut werden in den Dörfern an der Savinja Touristinnen und Touristen evakuiert.
IMAGO/Luka Dakskobler

Sonnenuntergänge in der Hängematte am lauschigen Flussufer, fröhliche Kinder in gelben Kajaks, Klettererlebnisse in den Bäumen des Campingplatzes. Das Camp Menina am slowenischen Fluss Savinja ermöglicht jedes Jahr Tausenden von Menschen einen Natururlaub in einem wunderschönen Tal in Mitteleuropa. Doch nach den Überschwemmungen am 4. August dieses Jahres, als die Savinja Stunde um Stunde anschwoll, immer rasender wurde, Bäume ausriss und diese Hölzer gemeinsam mit den Wasser- und Gesteinsmassen zu einem rasenden Ungeheuer wurden, das alles in der Nähe zerstörte, ist der Fluss, der in den Steiner Alpen entspringt, ein anderer geworden.

Sorgen wegen Gesteinssands

Auch das Camp Menina ist nicht wiederzuerkennen. Noch immer sieht man leere Campinganhänger und Hütten windschief auf dem aufgewühlten Boden, so als hätte ein Kind ein paar Matchboxautos aufeinander losgelassen. Der Fluss dahinter ist eingezwängt von Geröll. Dieser Gesteinssand ist nach der Katastrophe die größte Sorge der Bürgermeisterin von Rečica, der sympathischen Majda Potočnik. Denn Frau Potočnik fürchtet, dass die Savinja nach dem nächsten Regen noch schneller anschwellen könnte, weil der Sand ihr einfach keinen Platz mehr lässt, um weiterzufließen.

Es dürfte Monate, ja möglicherweise sogar Jahre brauchen, bis dieses Geröll, das bei den Unwettern am 4. August aus den Alpen hinunter ins Tal gespült wurde, aus dem Flussbett herausgeholt werden kann. Doch noch gibt es gar keinen Plan dafür. Und vor allem kein Geld. "Die Leute hier haben extrem Angst vor dem Regen, der Sand ist jetzt unser größtes Problem", erzählt Potočnik, die im ersten Stock des Gemeindeamtes des 2.300 Einwohner zählenden Orts sitzt, dessen Wahrzeichen ein Pranger ist, an den früher Raufbolde, Landstreicher und Diebe gebunden wurden.

Die Überschwemmungen haben nicht nur Schäden in Milliardenhöhe verursacht, sondern den Bewohnern des Savinja-Tals das Gefühl hinterlassen, dass die Bedrohung nie mehr vorbei sein wird, dass das Leben nie mehr wirklich normal wird, dass ihnen eines Tages alles geraubt werden kann. Slowenien ist einer der bestorganisierten und saubersten Staaten Europas, die Bevölkerung gilt als sehr umweltbewusst. Kurz nach den Überflutungen waren die meisten einfach nur froh, dass sie überlebt haben. Nun beginnen sie zu begreifen, dass sie selbst für viele Schäden aufkommen müssen, die ihr Fluss durch den Starkregen verursachte.

Der Campingplatz nach den Unwettern.
Adelheid Wölfl

Auf 21 Millionen Euro werden allein Rečica die Verwüstungen an den Häusern und der Landwirtschaft geschätzt. Viele Menschen waren nicht versichert, und der Staat kann längst nicht alle Schäden abdecken – höchstens 40 bis 60 Prozent. Überall fehlt es an Finanzmitteln. Deshalb gibt es auch viele Initiativen. Am 16. September spielten etwa berühmte Fußballer wie Gigi Buffon und Zlatan Ibrahimović ein Benefiz-Match für die Überschwemmungsopfer in Ljubljana und brachten 3,5 Millionen Euro ein.

Frau Potočnik ist mittlerweile eine Meisterin des Katastrophenmanagements. Bereits in der Nacht vom 3. auf den 4. August, als die Bäche zu reißenden Sturzfluten wurden und kleinere Zuflüsse wie die Ljubnica, die Rečica, die Mozirnica, die Voglajna, die Gračnica, die Dreta und die Bolska über die Ufer traten, die wiederum mit aller Wucht in die Savinja flossen und sie zu einem walzenden, Sturzwellen brechenden Monster machten, fuhr die Bürgermeisterin aus ihrem Urlaub von den Bergen hinunter ins Camp Menina, um die etwa 1.000 Urlauber zu retten, die dort schliefen.

Evakuierung der Feriengäste

Als Frau Potočnik ins Camp kam, stand sie im knöcheltiefen Wasser. Die Feuerwehrleute drückten ihr ein Zivilschutzmobiltelefon in die Hand. Denn weder die normalen Mobiltelefone noch die Festnetztelefone oder das Internet funktionierten zu dem Zeitpunkt noch. Die Evakuierung der Feriengäste hatte schon begonnen, doch in der Aufregung, in der Dunkelheit und in der Angst wollten einige Urlauber noch nicht losfahren, sie suchten nach ihren Angehörigen oder ihren Sachen. Doch das Wasser stieg. Zudem wollten alle Autos zugleich das Areal verlassen, um den Hügel hinauf zur Bundesstraße zu gelangen. Die Ausfahrt vom Campingplatz verstopfte sich. Und das Wasser stieg.

Geröll, das bei den Unwettern aus den Alpen ins Tal gespült wurde.
Das Geröll, das bei den Unwettern aus den Alpen ins Tal gespült wurde, macht den Verantwortlichen Sorgen.
Adelheid Wölfl

Potočnik rannte zu dem Restaurant in dem Camp, wo sich noch einige Leute befanden, und rief ihnen laut zu, sie sollten sofort abreisen. Dann sah sie sich um, und eine riesige Welle aus Wasser und Sand kam die Savinja herunter und überschwemmte den Campingplatz zur Gänze. Die im Camp Übriggebliebenen wurden binnen kürzester Zeit durch einen Bach, der sich gebildet hatte, von dem Zugang zur Straße abgeschnitten. Die Bürgermeisterin und 18 andere Personen waren nun von den Wassermassen eingekesselt. Zwölf von ihnen, denen das Wasser schon bis zum Hals stand und die sich mit ganzer Kraft dagegen wehrten, mitgerissen zu werden, konnten sich am Ende auf eine Baggerschaufel retten und wurden herausgezogen. Doch Potočnik blieb mit drei Männern und drei Kindern auf einer Böschung stehen. Und das Wasser stieg.

Die Bürgermeisterin schlug der Gruppe vor, auf die Kiefern zu klettern, die in der Nähe standen. Doch die Männer meinten, die Kinder würden sich auf den Bäumen nicht halten können, und so blieben sie mit den Kindern einfach in den Wassermassen stehen. Die Bürgermeisterin aber ließ sich von dem Wasser zum nächsten Baum tragen. Sie kletterte, der Baum schwankte.

Mut zum Überleben

Weil sie den Entsicherungscode des Feuerwehrhandys nicht kannte, konnte sie zunächst nicht um Hilfe rufen. Schließlich konnte die Frau, die sich an dem Kiefernbaum festhielt, den Notruf aktivieren. Am anderen Ende gab man ihr Bescheid, dass man wüsste, dass die Gruppe eingekesselt sei, aber dass der Hubschrauber gerade woanders eingesetzt werden müsse. Potočnik bereitete sich aufs Sterben vor. Es war eine Frage der Zeit, bis sie die Kraft verlassen würde, sich an den Baum zu klammern. Die Männer, die auf der Böschung standen, begannen mit den Kindern zu singen und zu klatschen, um sich Mut zu machen.

Sie hätte es keine fünf Minuten mehr ausgehalten, erzählt sie heute. Als der Hubschrauber anflog, bog sich der Baum, an den sie sich klammerte, durch die Windböen bis knapp hinunter zur reißenden Savinja. Dann packte ein Rettungsmann die zierliche Frau von hinten und zog sie in den Helikopter hinauf. Auch die drei Kinder und die drei Männer wurden gerettet. Als Frau Potočnik um halb acht in der Früh in die Nähe ihres Hauses gebracht wurde, trug sie keine Schuhe mehr an den Füßen. Sie konnte auch nicht in ihr Haus hinein, weil der Strom ausgefallen war und der elektrische Türöffner des Gartentores nicht mehr funktionierte. Die Nachbarn nahmen die völlig erschöpfte Frau auf.

Feuerwehr im Großeinsatz.
Feuerwehr im Großeinsatz.
IMAGO/Luka Dakskobler

Wie durch ein Wunder wurden alle Menschen aus dem Camp Menina gerettet, darunter 23 österreichische Touristinnen und Touristen – 17 davon Kinder. Ein Feuerwehrmann zog zwei Mädchen mit bloßen Händen aus dem reißenden Wasser. Als er nach Hause kam, war sein eigenes Haus völlig überflutet, seine Autowerkstatt komplett zerstört. Die geretteten Urlauber wurden im Dorf untergebracht, die Dorfbewohner brachten Kleidung und Essen, um die entkräfteten, halb erfrorenen Menschen zu versorgen. Noch heute befindet sich ein internationales Einsatz-Camp in Rečica.

Keine Normalität

Die Bäche und der Fluss werden nun von den mitgerissenen Bäumen und Hölzern gereinigt, doch wer durch das Savinja-Tal reist, sieht überall stark beschädigte Straßen, zerstörte Brücken. Obwohl die Wasserleitungen wieder funktionieren, die Stromversorgung intakt ist und das Telefon wieder läutet, will sich keine Normalität einstellen. Eine staatliche Kommission hat das Ausmaß der Schäden dokumentiert. Bürgermeisterin Potočnik hat einen Krisenstab zusammengestellt, der humanitäre Hilfsgüter verteilte und Leute organisierte, um die verschlammten Häuser zu reinigen. Unternehmen wie Gorenje verschenkten großzügig neue Kühlschränke und andere Geräte.

Doch offen ist, wie man nun mit der Savinja umgehen wird. Die gebildeten Menschen im Ort würden verstehen, dass der Starkregen, der den Fluss zu einem zerstörerischen Ungeheuer machte, durch den Klimawandel verursacht wurde, meint Potočnik. Aber es gebe unterschiedliche Interessen. Naturschützer setzten sich dafür ein, dass die Savinja überhaupt nicht berührt wird. Menschen, die neben ihr leben, fürchteten sich hingegen zunehmend vor dem Fluss.

Majda Potočnik, Bürgermeisterin von Rečica.
Majda Potočnik, Bürgermeisterin von Rečica.
NSi

Möglicherweise könnte es in Zukunft notwendig sein, die Menschen vom Ufer der Savinja abzusiedeln. Die Orte hier im Savinja-Tal haben in den vergangenen Wochen viel internationale Hilfe erfahren. Aus ganz Europa reisten Menschen an. Bei den Überschwemmungen kamen sechs Menschen ums Leben. Zwei ältere Slowenen ertranken, zwei Niederländer kamen in den Bergen ums Leben, wahrscheinlich durch einen Blitzschlag. Ein Mann wurde in einem Fluss im Osten gefunden, und ein Helfer fiel in eine Jauchengrube.

Höfe weiterhin in Gefahr

Die Auswirkungen der Katastrophe sind noch immer nicht abzuschätzen. Weil der Boden so durchnässt ist, sind einige Höfe an den Berghänge in Gefahr, abzurutschen. Eigentlich müssten die Menschen dort wegziehen, aber es ist schwer, sie dazu zu zwingen. Der Boden ist jedenfalls weiter in Bewegung, Muren haben ganze Häuser im Savinja-Tal weggerissen.

Auf Bürgermeisterin Potočnik kommen also noch schwere Entscheidungen zu. Sie will mit den Menschen von der Feuerwehr, mit denen sie in der Nacht des 4. August für das Überleben der Touristen kämpfte, irgendwann jetzt noch, solange das Wetter halbwegs schön ist, ein Picknick machen, um sich nochmals an die Erlebnisse dieser Nacht zu erinnern. Sie meint, dass diese Nacht sie alle verbunden habe, die Bürgermeisterin und die Feuerwehrleute sind heute eine Schicksalsgemeinschaft. Ihr Mut hat sich durch die Geretteten herumgesprochen. (Adelheid Wölfl aus Rečica, 23.9.2023)