Gemälde von Wissenschaftern in schwarzen Anzügen, die um einen Kollegen mit weißem Labormantel stehen, der verschiedene Schädel vor sich auf dem Tisch liegen hat. Zur dargestellten
Ein gefälschter Fund in den Händen der Wissenschaft: Hinter dem Anthropologen Arthur Keith, dem Mann im weißen Mantel, sind stehend die Brillenträger Charles Dawson (Hobbyforscher, Vierter von rechts) und Arthur Smith Woodward (British Museum, Zweiter von rechts) dargestellt. Sie gelten als mögliche Fälscher des Piltdown-Schädels.
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Den Unterschied zwischen "Forscher" und "Fälscher" besteht aus zwei Buchstaben und dem Arbeitsethos. In der Wissenschaft muss man sich darauf verlassen, dass die Kollegen und Kolleginnen keine Ergebnisse erfinden, weil kaum jeder Schritt überwacht werden kann. Und obwohl die meisten Wert auf nachvollziehbare und korrekt durchgeführte Studien legen, werden immer wieder Fälschungen aufgedeckt. Der vielleicht größte Fall wurde vor 70 Jahren, im November 1953, enthüllt – nachdem er sich erstaunlicherweise rund 40 Jahre lang halten konnte.

Diese Geschichte beginnt 1912 mit dem Briten Charles Dawson. Er war Rechtsanwalt, seine Leidenschaft gehörte aber eigentlich den Relikten der Vergangenheit. Heute könnte man ihn vielleicht einen "Citizen Scientist" nennen, der sich insbesondere für Fossilien interessierte. Als Antiquar und Freizeitforscher suchte und sammelte er Zähne und Knochen ausgestorbener Spezies.

Das Hobby war für die damalige Zeit in wohlhabenden Kreisen nicht ungewöhnlich. Im 19. Jahrhundert wurden sowohl die Paläontologie als auch Charles Darwins Evolutionstheorie, die allmählich immer mehr Anhänger und Anhängerinnen fand, begründet. Man entdeckte Dinosaurierknochen und ordnete sie erstmals nicht Drachen und anderen Fabelwesen zu, sondern bettete sie in die Entwicklung diverser lebender und ausgestorbener Spezies ein. Dazu gehörten auch menschliche Vorläufer: Wie sahen Menschen vor mehr als 10.000 Jahren, in prähistorischen Zeiten, aus? Und woher kamen sie? Wissenschaft und Öffentlichkeit waren fasziniert von diesen Fragen. Man suchte nach dem "Missing Link" zwischen Affe und Mensch, also einer Zwischenform, die die Evolution nachvollziehbar macht.

Nationale Interessen

Genau diesen Missing Link meinte Dawson in Südengland gefunden zu haben. In Piltdown, einer Ansammlung von Häusern in der Region Sussex, stieß er in einer Kiesgrube auf Bruchstücke eines Skeletts, die er dem renommierten Paläontologen Arthur Smith Woodward vom British Museum zeigte. Dieser war fasziniert und machte sich an die Rekonstruktion des Schädels, der im selben Jahr der Welt präsentiert wurde: Der "Piltdown Man", nach seinem Entdecker benannt als "Eoanthropus dawsoni", also "Dawson'scher Mensch der Morgenröte", sorgte international für Schlagzeilen. Demnach dämmerte die Entstehung des Menschen vor etwa 500.000 Jahren herauf, mit dem lange gesuchten Bindeglied zwischen urwüchsigen Affen und klugen Menschen.

Dazu passend vereinte der Schädel aus Piltdown robuste und zierlich-moderne Merkmale. Der massive Unterkiefer ähnelte dem lebender Menschenaffen (abseits des Menschen, der ebenfalls zu dieser Gruppe gehört). Der Rest des Schädels bot Platz für das Gehirn eines modernen Menschen. Daraus leiteten die Forscher ab, dass bei unseren Vorfahren zuerst das Gehirn größer wurde; später in der Evolution seien andere Merkmale wie das zierlichere Skelett und der aufrechte Gang entstanden. Der "Mann aus Sussex" lieferte nicht nur den idealen Beweis für entsprechende Theorien dieser Zeit: Er galt fortan auch als "frühester bekannter Einwohner Englands".

Seitenansicht einer Schädelknochenrekonstruktion: Hell sind die Modellteile der entdeckten zusammengesetzten Knochen, dunkel die fehlenden Teile.
So sah die Rekonstruktion des Piltdown-Schädels, die Arthur Smith Woodward 1914 schuf, aus. Es stellte sich heraus: Die eher filigranen Gesichts- und Hinterhauptknochen, der robuste Unterkiefer und die Zähne gehörten nicht zusammen, sondern stammten von Mensch, Orang-Utan und Schimpanse.
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Seine "Nationalität" spielte eine wichtige Rolle. Britische Wissenschafter hatten den Eindruck, im Vergleich zu Kollegen anderer Länder paläoanthropologisch unter Zugzwang zu stehen, gerade aufgrund der damals starken nationalen Rivalitäten. Berühmte Funde wurden in Deutschland geborgen, etwa der Neandertaler ab 1856 und der Homo heidelbergensis 1907. Andere spektakuläre hominide Fossilien kamen aus Frankreich oder von der indonesischen Insel Java, die damals zu den niederländischen Kolonien zählte. "Deswegen begeisterte der Piltdown-Fund von 1912 die Forscher, aber auch das britische Publikum so sehr", sagt Oliver Hochadel, Wissenschaftshistoriker an der Institución Milà i Fontanals in Barcelona, im STANDARD-Gespräch. "Es schien nun, als habe auch Großbritannien Anspruch auf einen Ehrenplatz im menschlichen Stammbaum."

Der Hoax fliegt auf

Doch nicht alle glaubten an die Echtheit des Piltdown-Menschen. Schon nach kurzer Zeit äußerten Experten Zweifel, im Zuge der hitzigen Debatten wurde auch manch eine Freundschaft unter Forschern zerstört. Der deutsche Anthropologe Franz Weidenreich zählte zu den Kritikern. Er veröffentlichte 1923 seine Vermutung, es handle sich um eine Chimäre, also um eine Zusammensetzung von Knochen verschiedener Arten. Konkret sei es hier der Schädel eines modernen Menschen, kombiniert mit dem Unterkiefer eines Orang-Utans.

Exakt diese Diagnose sollte sich etliche Jahre später als korrekt herausstellen: Im November 1953 wurde endgültig nachgewiesen, dass es sich beim Piltdown-Menschen um einen Fake handelte. Am 21. November erschien ein entsprechender Beitrag im "Bulletin of the British Museum", wenige Tage später ein Artikel im Magazin "Time". Drei Anthropologen – Joseph Sidney Weiner, Kenneth Page Oakley und Wilfrid Le Gros Clark – untermauerten den Fälschungsverdacht mit neuen Methoden. Die Knochen waren mit Chemikalien behandelt worden, wodurch sie farblich besser zusammenpassten. Und die Affenzähne wurden abgeschliffen, um sie menschlichen Zähnen ähnlicher zu machen. Die Experten zeigten darüber hinaus durch eine neue Datierungsmethode, dass vor allem die Affenknochen und -zähne (ein paar stammten offenbar von einem Schimpansen) nur wenige hundert Jahre alt waren. Einer Einschätzung zufolge dürfte der Menschenschädel mittelalterlich sein, der Unterkiefer des Orang-Utans etwa 500 Jahre alt.

Die drei Fachmänner formulierten in ihrem Beitrag vorsichtig, dass "die angesehenen Paläontologen und Archäologen, die an den Ausgrabungen in Piltdown beteiligt waren, Opfer eines ausgeklügelten und sorgfältig vorbereiteten Schwindels wurden", der "wohl so skrupellos und unerklärlich war, dass er in der Geschichte der paläontologischen Entdeckungen beispiellos ist". Auch im "Time"-Bericht heißt es, die Forscher seien hinters Licht geführt worden von einem "gebildeten Scherzbold, der in stiller Genugtuung seinen Erfolg bei der Täuschung der Experten genoss".

Tatsächlich gab es im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Art "Kultur des Fälschens", wie Historiker Hochadel ergänzt. Die Fälscher hatten unterschiedliche Motivationen: "Manche wollten vielleicht ihre Kollegen auf die Probe stellen oder ärgern, andere wollten Aufmerksamkeit erregen." Auch ökonomische Reize spielten eine Rolle, immerhin gab es einen Markt für spektakuläre Funde, für die mitunter Skelette unterschiedlicher Tiere zusammengebastelt wurden.

Forscher oder Fälscher?

Doch schon in den 1950er-Jahren schloss man im Fall Piltdown das Geltungsbewusstsein des Hobbyforschers Charles Dawson nicht aus. Er könne "den Kieferknochen manipuliert haben, um berühmt zu werden", heißt es im Magazinartikel. Auch die jüngste Studie zum Fall, die 2016 erschien, argumentiert, dass Dawson mit größter Wahrscheinlichkeit an der Fälschung beteiligt war. Nach alter Krimitradition lässt sich sagen, dass er sowohl über ein Motiv als auch die Mittel verfügte.

Denn Dawson dürfte insbesondere als Laie nach Anerkennung aus der wissenschaftlichen Community gestrebt und auf die Aufnahme in die britische Royal Society gehofft haben. Die Entdeckungen des britischen Archäologen Miles Russell belasten den Hobbyforscher ebenfalls: Russell fand vor 20 Jahren heraus, dass mindestens 38 Objekte in Dawsons Fossiliensammlung gefälscht waren. Dazu zählten abgeschliffene, manipulierte Zähne, die der Antiquar bezeichnenderweise der (realen ausgestorbenen) Säugetierart "Plagiaulax" zuschrieb. Der Piltdown-Hoax sei also kein Einzelfall gewesen, sondern "die Krönung eines Lebenswerks", schreibt Russell.

Auch die Möglichkeit – oder Gelegenheit –, den Pseudofund zu verstecken und zu finden, ist naheliegend. Dawson lebte und arbeitete selbst in Sussex und dürfte die Arbeiter, die in der Kiesgrube von Piltdown tätig waren, darauf aufmerksam gemacht haben, sich doch bei ihm zu melden, sollten sie auf potenzielle Relikte stoßen. Ein späterer Fund, der andernorts in Piltdown ans Tageslicht befördert und von Dawson präsentiert wurde, wies Knochen jenes Orang-Utans auf, zu dem der Unterkiefer der Hauptfundstätte gehörte. Allerdings lässt sich nicht minutiös rekonstruieren, wann sich Dawson genau wo aufhielt, um den Fall mit Sicherheit zu lösen.

Titelblatt der
Der "Piltdown Man" oder "Man of Sussex" schaffte es 1912 auf das eine oder andere Titelblatt. Er galt als "affenähnlicher erster Engländer", wie die Bildunterschrift unter dem rekonstruierten Aussehen zeigt. Erst 1953 wurde der Fund als Fake enttarnt.
Imago / Gemini Collection

Und es ist nicht ausgeschlossen, dass ihm andere Personen halfen. Quasi jeder, der irgendetwas mit dem Fall zu tun hatte, wurde im Laufe der Zeit verdächtigt. Dazu gehörte sogar der Schriftsteller Arthur Conan Doyle, weltberühmt für seine Sherlock-Holmes-Romane. Es bestand zumindest ein Naheverhältnis: Doyle lebte wenige Kilometer vom Fundort entfernt. "Es ist bekannt, dass Conan Doyle in Piltdown Golf spielte, und er hatte Dawson sogar schon in seinem Auto dorthin mitgenommen", sagt der Paläoanthropologe Chris Stringer vom Naturhistorischen Museum in London.

Seiner Einschätzung nach dürfte Doyle als vielbeschäftigter Mann aber keine Zeit gehabt haben, den Schwindel vorzubereiten. Ein erstaunlicher Satz aus seinem Science-Fiction-Roman "The Lost World" (in deutscher Übersetzung meist: "Die vergessene Welt") wirft jedoch Fragen auf. Der Autor veröffentlichte im Jahr des Piltdown-Fundes, 1912, diese Abenteuergeschichte über eine Expedition zu einem entlegenen Ort, an dem Dinosaurier überlebt haben. Auch Fälschungen spielen eine Rolle. Da heißt es etwa: "Wenn man clever ist und sein Handwerk versteht, kann man einen Knochen genauso leicht fälschen wie eine Fotografie." ("If you are clever and know your business you can fake a bone as easily as you can a photograph.")

Deutsches Vorbild?

Womöglich verhalf ein deutsches Exempel Dawson, der bereits zuvor fleißig Knochen neu zusammensetzte, zur Inspiration für sein wichtigstes Objekt. Ein Jahr vor der Piltdown-Veröffentlichung, 1911, gab es in Deutschland Ausgrabungen in der Teufelshöhle im hessischen Steinau. Auch in diesem Fall ging es um einen Schädel, der wie ein Fossil aussah, und um einen Amateurwissenschafter, der vom Fund erfuhr und daraufhin Fachleute kontaktierte. Albert Lüders wollte herausfinden, ob es sich bei den Knochen um etwas Besonderes handeln könnte, und manche Experten hielten dies zumindest für möglich, darunter auch der berühmte Biologe Ernst Haeckel. Daher wandte er sich an die Presse, die sich wiederum über den vermeintlichen Frühmenschen aus Hessen freute.

Doch die Euphorie hielt nicht lange an: Innerhalb von wenigen Wochen stellte sich heraus, dass ein örtlicher Apotheker einen Streich gespielt hatte. "Wilhelm Rappe bekam von seinem Bruder nach dessen Afrikareise einen Schimpansenschädel, den der Apotheker chemisch bearbeitete, und platzierte ihn in der Teufelshöhle", sagt Hochadel, der selbst Arbeiten über den Fall publiziert hat. "Er hat sich heimlich ins Fäustchen gelacht, als er sah, dass die Geschichte offensichtlich aus dem Ruder lief." Rappe klärte seinen Scherz selbst auf, worüber wiederum in deutschen, aber auch französischen Zeitungen berichtet wurde. Das Senckenberg-Forschungsinstitut in Frankfurt, das nach der Entdeckung zugesagt hatte, weitere Grabungen in der Teufelshöhle zu finanzieren, hob die angebliche wissenschaftliche Bedeutung der später dort entdeckten Hundeknochen hervor, um trotz des Schwindels das Gesicht zu wahren.

Nicht nur für das Institut handelte es sich um eine peinliche Geschichte, sondern auch für Lüders und die Wissenschafter, die den Fund für prähistorisch gehalten hatten. "Die Parallelen zu Piltdown sind frappant", sagt Hochadel. Und: Der Anthropologe Arthur Keith, einer der Hauptbeteiligten bei der Interpretation des Piltdown-Schädels, wusste offenbar vom Steinau-Fall. "Er hat auch Deutsch gelesen, insofern ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass jemand aus seinem Umfeld davon Wind bekam und sich inspirieren ließ, um etwas Ähnliches 18 Monate später in Großbritannien zu versuchen."

Rassismus und Wunschdenken

Nicht viele Forscher, die mit dem Piltdown-Hoax in Verbindung gebracht wurden, erlebten die Auflösung mit. Das gilt auch für Dawson: Er starb 1916, also wenige Jahre nach seinem Sensationsfund, mit nur 52 Jahren. Manche vermuten, sein früher Tod (und jener seiner Frau) könne in Verbindung stehen mit den giftigen Dämpfen der Chemikalien, mit denen er seine Pseudofossilien behandelte.

In der Fachwelt war der Piltdown-Fund bei der Hoax-Enthüllung 1953 aufgrund zahlreicher weiterer Funde, die auf eine ganz andere Evolution hindeuteten, bereits als absonderliche Form "auf dem Abstellgleis gelandet", sagt Historiker Hochadel. In den ersten Jahren führte er aber selbst etliche Experten auf eine falsche Fährte und verstellte – auch im Kontext von Rassismus und kolonialistischer Überheblichkeit – den Blick auf Afrika: "Das Wunschdenken, dass die Entwicklung des großen Gehirns in Europa stattgefunden habe, wo der weiße Mensch lebt, hat entscheidend dazu beigetragen, dass man den afrikanischen Ursprüngen des modernen Menschen skeptisch gegenüberstand." Entsprechende Funde ab den 1920er-Jahren wurden zunächst als "fossile Affen" abgetan. Die Anzahl neuer Entdeckungen auf dem afrikanischen Kontinent, insbesondere die Australopithecus-Funde, drehte die Plausibilität jedoch allmählich um.

Auch der "Missing Link" zwischen Mensch und Affe gilt längst als veraltetes Konzept – genauso wie das berühmt gewordene "Sinnbild" der Evolution von einem gebeugt gehenden Schimpansen hin zum aufrecht stolzierenden modernen Menschen. Immerhin haben wir uns nicht aus Schimpansen entwickelt, wie eine solche lineare Evolution suggerieren würde, sondern aus gemeinsamen Vorfahren. Evolution ist wesentlich komplizierter, betont auch Hochadel: "Es handelt sich eher um einen Stammbusch als einen Stammbaum, mit vielen Seitenzweigen, die zum Teil ausgestorben sind."

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Das popkulturell aufgegriffene Bild der Evolutionsreihe vom Affen zum modernen Menschen ist längst veraltet.
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Ein interessanter Aspekt, der die Forscher vor 100 Jahren schockiert hätte: Durch neue Methoden hat man herausgefunden, dass unsere europäischen Vorfahren vor wenigen Tausend Jahren wohl dunkle Haut hatten. Das dürfte noch bei der Eismumie Ötzi vor rund 5.000 Jahren der Fall gewesen sein und auch beim ältesten, fast vollständigen Skelett eines Homo sapiens aus Großbritannien, dem 9.000 Jahre alten "Cheddar Man".

Nie vor Fälschungen sicher

Immerhin lagen die Forscher, die dem Piltdown-Hoax auf den Leim gingen, in einem Teilaspekt nicht ganz falsch. Es stellte sich nämlich heraus, dass Menschen bereits vor 500.000 Jahren und davor auf den heutigen Britischen Inseln lebten. Die Inseln gehörten damals noch zum europäischen Festland, und von dort aus machte sich Homo heidelbergensis auch im Norden breit, wenn die Klimabedingungen gerade günstig waren. In der Nähe von Canterbury stieß man bereits in den 1920er-Jahren auf Artefakte, die nun auf ein Alter von mindestens 560.000 Jahren datiert wurden. Mit den Werkzeugen bearbeiteten die Vorfahren der Neandertaler wohl Tierhäute. Wie der kürzliche Fund einer ähnlich alten Holzkonstruktion in Sambia unterstreicht, waren die damals lebenden Menschenspezies zu beachtlichen Techniken fähig (DER STANDARD berichtete). Zu dieser Zeit sahen die Frühmenschen allerdings bereits wesentlich moderner aus, als es der grobe Unterkiefer des Piltdown-Menschen hatte vermuten lassen.

Was verrät der Skandal über den Wissenschaftsbetrieb? Hochadel betont, dass Erkenntnisse in der Wissenschaft immer vorläufig und mit Unsicherheiten behaftet sind, vor allem in der Paläontologie, in der neue Funde und neue Interpretationen das Bild ergänzen und verändern. Freilich habe sich die Disziplin wie viele andere seither enorm professionalisiert. "Wissenschaft basiert aber auch auf Vertrauen, weil man nicht ständig alle Kolleginnen und Kollegen und deren Ergebnisse infrage stellen kann", sagt der Historiker. Dafür gebe es aber auch Kontrollmechanismen wie die Peer Review, also die Begutachtung einer Studie durch andere Fachleute, bevor sie erscheint.

Trotzdem gilt: "Vor Fälschungen ist man nie gefeit." Das betrifft heute eher biomedizinische Wissenschaften, wo die Versuchung, Daten zu fälschen, zu frisieren oder in eine gewisse Richtung hin zu interpretieren, sehr groß sein könne, sagt Hochadel: "Dort geht es etwa um neue Therapien in der Krebsforschung und bahnbrechende DNA-Analysen – dahinter stehen viel Prestige, Forschungsgelder und öffentliches Interesse." Generell ist der Piltdown-Mensch aber auch ein warnendes Beispiel dafür, wie gefährlich Wunschdenken in der wissenschaftlichen Forschung sein kann. Und er bleibt aus heutiger Sicht der vielleicht berühmteste Fälschungsfall in der Geschichte der Wissenschaft. (Julia Sica, 11.10.2023)