Drei junge Menschen sitzen auf einer Wiese und meditieren
Wer guten Kontakt und zu sich selbst und seinen Bedürfnissen hat, geht wesentlich entspannter durchs Leben, das ist auch wissenschaftlich gut erforscht. Achtsamkeitsübungen und Meditation helfen dabei, dass das besser gelingt.
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Achtsamkeit ist das Wort der Stunde. In jedem zweiten Selbsthilfebuch taucht der Begriff auf, in Berichten über besseren Umgang mit seinen Mitmenschen ebenso wie in Tipps, wie man das eigene Leben verbessert. Er wird teilweise so inflationär verwendet, dass man fast schon die Augen verdreht und sich genervt abwenden will, wenn man ihn "schon wieder" präsentiert bekommt.

Genau das sollte man aber nicht tun. Denn Achtsamkeit und Gesundheit sind untrennbar miteinander verbunden. Achtsamkeit sich selbst und anderen gegenüber, Empathie und Mitgefühl sind elementar für die psychische Gesundheit. Und die wiederum ist mindestens so wichtig wie körperliche Fitness, ausgewogene Ernährung und generell ein gesunder Lebensstil.

Das ist mittlerweile auch durch unzählige Studien belegt. Ebenso betont die Weltgesundheitsorganisation WHO, zuletzt in ihrem World Mental Health Report im Juni 2022, dass die psychische mit der körperlichen Gesundheit mindestens gleichzusetzen ist. Denn mehr Achtsamkeit im Leben hilft dabei, die eigenen Emotionen besser zu regeln. Das sorgt dafür, dass man weniger gestresst ist, Herz-Kreislauf-Probleme können sich bessern, das Immunsystem arbeitet effizienter, Ängste und depressive Phasen nehmen ab, und man kann die eigene Kreativität besser ausleben.

Achtsamkeit wird einem aber nicht in die Wiege gelegt. Manchen gelingt sie besser, anderen schlechter. Aber alle können sie lernen. Und üben, betont Ulrike Zika, Trainerin für mentale und soziale Gesundheit und Autorin zum Thema. Soeben ist ihr Buch "Logbuch Achtsamkeit und Mitgefühl", das sie gemeinsam mit Susanne Strobach geschrieben hat, im Beltz-Verlag erschienen. Darin erklärt sie neurowissenschaftliche Erkenntnisse aus der Achtsamkeits- und Mitgefühlsforschung und bietet eine Vielzahl an Übungen, Reflexionen und Meditationen, die man auch im Alltag leicht umsetzen kann.

Empathie und Mitgefühl

Zwei wesentliche Elemente, die aus Achtsamkeit entstehen, sind Empathie und Mitgefühl – die aber nicht miteinander gleichzusetzen sind: "Empathie bedeutet, ich kann die Gefühle meines Gegenübers spüren, auch den Schmerz wahrnehmen. Das ist in etwa so, wie wenn man jemandem dabei zusieht, wie er sich mit einem Hammer auf den Daumen schlägt. Den Schmerz spürt man regelrecht selbst", erklärt Zika. Empathie zu spüren heißt aber nicht, dass man auch etwas gegen das Leid anderer unternimmt. Das passiert erst durch Mitgefühl: "Das bedeutet nicht zwingend, dass man sofort etwas tut, das ist ja auch gar nicht in allen Situationen möglich, etwa bei einem schweren Verlust. Aber man nimmt zumindest eine tröstende Haltung ein, die den Schmerz, den Frust oder die Angst des Gegenübers nicht noch verstärkt."

Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Gefühlen ist deshalb so wichtig, weil zu viel Empathie in eine Art "Helfersyndrom" münden kann, das einen auch leicht ausbrennen lässt. Im Sozial- und Pflegebereich kommt das häufig vor. Zika erklärt: "Empathie hat eine emotionale und eine kognitive Komponente. Auf der emotionalen spüre ich wirklich den Schmerz meines Gegenübers, die kognitive lässt mich verstehen, wie der andere empfindet. Wenn ich also sehe, dass jemand leidet, empfinde auch ich Leid. Im Gehirn sind dann jene Areale aktiviert, die auch bei der Verarbeitung von eigenem Schmerz aktiv sind.

Mitgefühl ist hingegen eine Emotion, die sich gut anfühlt. Es motiviert uns zu einer fürsorglichen Haltung. Neurobiologisch unterscheidet es sich deutlich von Empathie und aktiviert jene Gehirnregionen, die mit Belohnung und Zugehörigkeitsgefühlen einhergehen.

Ulrike Zika
Ulrike Zika ist Trainerin für mentale und soziale Gesundheit. Soeben ist ihr "Logbuch Achtsamkeit und Mitgefühl", gemeinsam mit Susanne Strohbach, im Beltz-Verlag erschienen.
Saringer

Ist man ständig mit Leid und schwierigen Situationen konfrontiert, kann es passieren, dass der empathische Teil überwiegt, irgendwann wird einem das zu viel. Das kann sogar so weit führen, dass man sich überhaupt nicht mehr mit leidvollen Situationen konfrontieren will. Das wäre aber kontraproduktiv, denn Empathie ist die Voraussetzung dafür, Mitgefühl zu entwickeln. Gelingt der Wechsel zum Mitgefühl, entsteht Herzenswärme und der Wunsch zu helfen, wo einem das möglich ist. Und das ist ein positives Gefühl, betont Zika: "Stellen Sie sich eine Mutter vor, die ihr weinendes Kind tröstet. Das ist eine wohlwollende, tröstende Handlung."

Selbstmitgefühl statt Selbstmitleid

Diese mitfühlende, tröstende, auch altruistische Lebenseinstellung kann aber nur gelingen, wenn man auch mit sich selbst Mitgefühl hat. Damit tun sich allerdings viele Menschen schwer. Eine einfache Übung, erklärt Zika, zeigt das sehr gut: Man stelle sich vor, einer Person, die einem emotional nahesteht, passiert ein Missgeschick, es geht ihr schlecht, weil ihr beispielsweise im Job etwas misslungen ist und sie kommt völlig aufgelöst zu einem. Wie reagiert man darauf? Wie versucht man der Person Halt zu geben? Im nächsten Schritt stellt man sich vor, man selbst ist in genau der gleichen Situation. Wie geht man dann mit sich selbst um?

Die meisten Menschen, berichtet Zika, sind mit sich selbst um ein Vielfaches strenger und kritischer als mit den Personen, die ihnen am Herzen liegen. "Das zeigt sich schon in Kleinigkeiten. Etwa wenn jemand den Haustürschlüssel fallen lässt, sagen nicht wenige zu sich selbst: 'Ich bin ein Depp.' Würde man das Gleiche zu einer anderen Person sagen?" Selbstmitgefühl bedeutet, sich selbst genauso liebevoll zu behandeln wie jemand anderen.

Ein Problem dahinter: "Gerade in unserem Kulturkreis wird Selbstkritik oft als Motivation gesehen. Viele denken, sie machen es dann beim nächsten Mal besser. Die Forschung zeigt aber das genaue Gegenteil. Je kritischer man mit sich selbst ist, desto mehr demotiviert man sich", weiß Zika. Ein liebevoller Umgang mit sich selbst wirkt sich dabei auch auf das Umfeld aus – denn man kann auch den Menschen um sich herum mehr Mitgefühl entgegenbringen. Und beim Üben dieser Haltung hilft die Achtsamkeit. Denn ein achtsames Wahrnehmen der eigenen Emotionen und Bedürfnisse ist die Grundvoraussetzung für alles weitere.

Doch besteht bei einer großzügigen Haltung sich selbst gegenüber nicht die Gefahr, dass man sich irgendwann alles durchgehen lässt? Das befürchtet Zika nicht. Denn Selbstmitgefühl ist keineswegs gleichzusetzen mit Selbstmitleid: "Mitgefühl mit sich selbst bringt einen langfristig dazu, sich besser um sich selbst zu kümmern. Liebevolle, verantwortungsbewusste Eltern werden etwa ihr Kind nicht ständig unendlich viele Süßigkeiten und Eis essen lassen, weil sie wissen, dass es ihm nicht guttut. Und das Gleiche gilt für einen selbst. Man weiß, dass es auf Dauer nicht zielführend ist, sich immer zu erlauben, erst am nächsten Tag Sport zu machen oder eine Aufgabe anzufangen, auch wenn es im Moment schwerfällt, sich aufzuraffen."

Üben, üben, üben

Trägt man diese Art von Mitgefühl für sich selbst einmal in sich, fällt es einem auch viel leichter, anderen gegenüber Mitgefühl zu empfinden. Doch nicht immer begegnet man ausschließlich wohlwollenden Menschen. Fast alle haben den einen Arbeitskollegen oder die eine Tante, die ständig schlechte Stimmung verbreiten oder Kritik an einem üben. Gerade dann kann eine achtsame, mitfühlende Haltung helfen, betont Zika: "Wenn ich die negativen Gefühle, die ein Mensch in mir auslöst, kultiviere und mich richtig hineinsteigere, wie unangenehm das ist, dann schadet mir das am Ende selbst am meisten."

Mit Empathie und Mitgefühl kann man dagegen sehen, dass das Gegenüber im Grunde genau das braucht. Zika meint: "Wenn man grantig und genervt ist, geht es einem im Normalfall aus irgendeinem Grund nicht gut. Man kann dann schon aus hirnbiologischen Gründen nicht mehr die Areale aktivieren, in denen gute Entscheidungen getroffen werden. Ruht man dagegen in sich beziehungsweise kann sich selbst aus einer emotionalen Situation herausholen, kann man auch mit negativen Eindrücken besser und resilienter umgehen."

Und weil vielen so eine Haltung nicht automatisch gegeben ist – oder sie im Laufe der Erziehung überdeckt wurde –, kann man sie üben (mehr dazu im Infokasten). Am besten nimmt man sich jeden Tag ein paar Minuten Zeit und setzt sich bewusst mit den eigenen Bedürfnissen auseinander. Anfangen sollte man dabei ganz klein: "Fangen Sie nicht mit großen Problemen an, denken Sie lieber eine kleine, fast schon unbedeutende Situation durch. Schwimmen lerne ich ja auch nicht, indem ich vom Zehnmeterbrett springe. Nehmen Sie wahr, was überhaupt los ist, dass es Ihnen nicht gut geht, und überlegen Sie, warum das so ist. Wichtig ist, nicht zu bewerten, Schuldzuweisungen zu machen oder Aktionen zu planen. Es geht nur darum, den Status quo festzustellen."

Gelingt das, kann man die eigenen Bedürfnisse besser erkennen und ruhig und bedacht, nicht im Affekt, entscheiden, was einem in weiterer Folge guttut. Schafft man das bei sich selbst, kann man in einem nächsten Schritt auch Menschen, die einem nahestehen, bewusst dieses Mitgefühl entgegenbringen. Und irgendwann, in der Königsklasse sozusagen, gelingt das auch mit Menschen, die einem auf die Nerven gehen oder womöglich so gar nicht gut gesinnt sind. Zika empfiehlt als gutes Übungsobjekt Politiker oder Politikerinnen: "Die triggern oft Gefühle in einem, auch wenn sie persönlich für einen gar nicht greifbar sind. Schafft man es, in solchen Situationen dennoch innerlich in einer wertschätzenden Haltung zu bleiben, gelingt das womöglich auch gegenüber jenen Menschen besser, mit denen wir Konflikte haben. Die Botschaft, die unbewusst beim Gegenüber ankommt, ist dann auf gut Wienerisch ein 'Entspann dich'." (Pia Kruckenhauser, 24.9.2023)