Eine Frau sieht in den Sucher eines großen Mikroskops
Google verspricht durch den Einsatz von KI große Sprünge in der medizinischen Diagnostik. Das ARM ist nur eines von vielen Projekten.
Screenshot Youtube.com/Google

Es sieht auf den ersten Blick aus wie ein reguläres Mikroskop, verfügt über ein großes Suchfenster und ein Fach für die Untersuchung herkömmlicher Objektträger. Wird der Computer angeschlossen, tun die Algorithmen aber ihren Dienst: Sie blenden Wärmekarten, Objektgrenzen oder Pfeile in Echtzeit ein.

Das von Google entwickelte "Augmented Reality Microscope", kurz: ARM, soll mithilfe künstlicher Intelligenz und maschinellen Lernens in Mikroskopen visuelle Indikatoren einblenden. So will man Fachpersonal bei der Klassifizierung von medizinischen Proben sowie der Erkennung von Krebszellen oder Krankheitserregern unterstützen. Die KI kann umreißen, wo sich die Krebszellen befinden. Der Umriss erscheint als hellgrüne Linie, die Pathologen durch ein Okular und einen separaten Monitor sehen können. Die KI zeigt auch an, wie aggressiv der Krebs ist, und erzeugt eine schwarz-weiße Wärmekarte auf dem Monitor.

Mehrere Mikroskopansichten zeigen, wie grüne Linien eingeblendet werden.
Beispielansicht durch das Objektiv des ARM. Diese Bilder zeigen ein Lymphknotenmetastasenmodell mit 4x-, 10x-, 20x- und 40x-Mikroskopobjektiven. Die grünen Linien sind Projektionen des AR-Mikroskops.
Google Research

Unterstützung für die Diagnose

2018 wurde ARM erstmals öffentlich von Google angekündigt. Die mittlerweile 13 Prototypen des ARM wurden bisher noch nicht zur Diagnose von Patienten eingesetzt, werden aber rigoros getestet. Wird das System in bestehende Lichtmikroskope in Krankenhäusern und Kliniken eingebaut, soll es die Arbeit der Medizinerinnen und Mediziner erleichtern. Google selbst äußerte sich dazu in einer Pressemitteilung: "Wichtig ist, dass das ARM in bestehende Lichtmikroskope in Krankenhäusern und Kliniken auf der ganzen Welt nachgerüstet werden kann, wobei kostengünstige, sofort verfügbare Komponenten zum Einsatz kommen und keine digitalen Versionen des zu analysierenden Gewebes als Ganzes benötigt werden."

Das Tool wurde mit dem US-Verteidigungsministerium entwickelt, wie bei vielen technologischen Errungenschaften in den USA üblich. Die sogenannte Defense Innovation Unit (DIU) des Ministeriums hat Berichten zufolge mit Google ausgehandelt, dass der Vertrieb der Mikroskope durch das Militär erfolgen sollte. So würde es zuerst für staatliche Stellen verfügbar sein. Sobald es auf den Markt kommt, soll es pro Gerät zwischen 90.000 und 100.000 US-Dollar kosten. Ein Kostenrahmen jenseits der Möglichkeiten öffentlicher Gesundheitsdienstleister in den Vereinigten Staaten.

In einem großen Raum stehen an einem Arbeitstisch zwei Männer vor dem Mikroskop. Im Hintergrund sind auf großen Regalen kleine Behältnisse zu sehen.
Wann genau das AR-Mikroskop großflächig eingesetzt werden kann, ist noch unklar.
Screenshot Youtube.com/Google

Datensicherheit als oberstes Gebot

Aashima Gupta, Global Director für Gesundheitsstrategien bei Google Cloud, erklärt, das Unternehmen habe inzwischen vier Algorithmen für den ARM auf den Markt gebracht. Brustkrebs, Gebärmutterhalskrebs und Prostatakrebs könne das Tool bereits erkennen. Die KI-Modelle werden mit Daten der DIU trainiert, und weder Google-Mitarbeiter noch die Google-Infrastruktur hätten Zugang zu diesen Daten. "Die Daten sind durchgängig verschlüsselt", sagte Gupta in einem Interview mit CNBC. "Von der Art und Weise, wie die Daten gesammelt werden, wie sie gespeichert werden und wie sie analysiert werden, und alles dazwischen."

Bevor ARM zum Einsatz kommt, wird es noch etwas dauern. Im Gespräch mit CNBC ist der Mediziner Niels Olson, Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums, zwar von der Idee überzeugt: "Ich hätte gerne ein Augmented-Reality-Mikroskop als Ergänzung und Hilfe bei der Diagnose", sagt er. Gleichzeitig räumt Olson aber ein, dass für manche der KI-Modelle noch unabhängige Bewertungen ausständig seien. Die Forschung mit dem ARM laufe noch, und das DIU hole weiterhin Feedback ein. Es gebe noch einiges zu tun. Das DIU ist aber vom Konzept überzeugt und überlegt bereits, wie die Technologie in Zukunft optimal großflächig eingesetzt werden könnte.

200 Milliarden Dollar für KI-Forschung

Google Health investiert unter anderem in Start-ups, die mittels KI die Gesundheitsversorgung in Angriff nehmen. Dabei soll die Genauigkeit von Diagnosen verbessert werden, zudem sollen Versorgungslücken in der Medizin durch Effizienzsteigerung geschlossen werden. In den vergangenen zehn Jahren investierte der Suchmaschinenriese mehr als 200 Milliarden US-Dollar in KI. Diese Zahlen sind besonders bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die öffentliche Gesundheitsversorgung mit einem Fachkräftemangel kämpft. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sagt bis 2030 einen weltweiten Mangel an 15 Millionen medizinischen Fachkräften voraus. Ob KI-Lösungen diese Schieflage verbessern können, wird sich zeigen. (Sebastian Lang, 23.9.2023)