Menschen, die nicht so sind wie wir, nicht so aussehen und leben wie wir, machen uns manchmal Angst. Das kann vernünftig sein. Fremde Straßen, fremde Sitten, Menschen, die anders denken und möglicherweise ganz andere Hemmschwellen haben: Es ist ein Gebot der Vernunft, Unbekanntem mit Vorsicht zu begegnen.

Das Leben hat sich in den letzten Jahrhunderten beschleunigt und abwechslungsreicher gestaltet, als die Evolution uns prägte. Vieles, was das Leben lebenswert macht, ist erst einmal fremd: neue Medikamente, Gasthäuser oder Musik; neue Arbeitsmethoden und Maschinen; vor allem aber neue Kolleginnen, Freunde und Nachbarn.

Migranten auf Lampedusa Mitte September: Beim Thema Migration und Asyl riskieren wir Demokratieverlust, wenn wir nicht den Kurs ändern.
AP/Cecilia Fabiano

Um dem Fremden gegenüber offen zu sein, müssen wir den Instinkt der Vorsicht und Ablehnung übersteuern. Neugierde, Empathie und Offenheit sind zivilisatorische Errungenschaften.

Gefährdete Errungenschaften

Diese Errungenschaften sind gefährdet. Die jüngste Geschichte zeigt, dass Grausamkeit ein wesentlicher Bestandteil des Erfolgs im politischen Geschäft sein kann, als Strategie jener, denen alles egal ist, solange sie an die Macht kommen und diese behalten können. Empathie und die Fähigkeit zum Kompromiss sind für sie Zeichen der Schwäche.

Warum können diese Hemmungslosen in Umfragen und Wahlen bis zu 30 Prozent oder gar, wie Donald Trump, 45 Prozent erreichen?

Ein Grund ist, dass viele Politikerinnen und Politiker dem trügerischen Umkehrschluss erliegen, dass das Gegenteil von allem, was Trump sagt, richtig sein muss.

Ein aktuelles Beispiel: Der jüngste Vorschlag der hessischen SPD, dass Migranten schon nach sechs Monaten Aufenthalt das Wahlrecht bekommen sollen, befeuert Populisten (und nicht nur diese, worauf die SPD zurückruderte und von einem redaktionellen Fehler im Programm sprach).

An die Grenzen stoßen

Eine Gesellschaft kann sich nur einem gewissen Maß an Fremdem und Neuem relativ friktionsfrei stellen: Schulen, Wohnraum, Spitäler oder Verkehrsnetze, die bei raschem Bevölkerungswachstum an ihre Grenzen stoßen – noch dazu, wenn viele der neuen Nutzer die Sprache und Regeln dieser Systeme nicht verstehen. Es sollte klar sein, dass bei zu schneller Vergrößerung eines Kollektivs dessen Funktionieren in Gefahr gerät, Veränderungen notwendig wären, die ihrerseits viel langsamer vonstattengehen – vor allem bei einem so nachlässig regierten Land wie aktuell Österreich.

Dänemark hatte ähnlich früh wie Österreich eine große Rechts-außen-Partei, inzwischen sind sogar deren drei im Parlament, die zusammen aber nur 14 Prozent erreichen. Der Grund dafür ist, dass die anderen Parteien ihnen den Nährboden entziehen. Seit Jahren begrenzen Regierungen, auch die aktuelle der sozialdemokratischen Premierministerin Mette Frederiksen, die Einwanderung, um den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft nicht zu gefährden. Das Hauptziel der Flüchtlings- und Asylpolitik ist die Repatriierung, mehr als Integration.

Die Extremen Europas haben inhaltlich nicht viel zu bieten, außer dass sie sich nach dem Mief der 1960er zurücksehnen. Bei den meisten Themen fallen sie aus der Zeit. Aber beim Thema Migration und Asyl riskieren wir Demokratieverlust, wenn wir nicht den Kurs ändern. Gut gemeint kann in diesem Fall gefährlich werden. Dänemark zeigt einen anderen Weg. (Veit Dengler, 25.9.2023)