Ein kosovarischer Polizist vor dem serbisch-orthodoxen Kloster in Banjska im Norden des Kosovo.
Ein kosovarischer Polizist vor dem serbisch-orthodoxen Kloster in Banjska im Norden des Kosovo. Forensiker sind derzeit darum bemüht, Beweismittel für den Angriff sicherzustellen.
REUTERS/OGNEN TEOFILOVSKI

Eine Gruppe von etwa 30 serbischen Männern, in Uniformen, maskiert und schwer bewaffnet, blockierte am Sonntag mit zwei Lastwagen eine Brücke im Norden des Kosovo, unweit des Ortes Banjska. Als die kosovarische Polizei die Blockade entdeckte, kam es zu Feuergefechten zwischen der militanten Truppe und der Polizei. Die Schusswechsel dauerten Stunden. Die Angreifer verschanzten sich in einem serbisch-orthodoxen Kloster und töteten einen kosovarischen Polizisten. Drei der Angreifer wurden getötet, sechs festgenommen, die anderen konnten fliehen. Die Polizei konfiszierte Granaten, Kanonen, Maschinengewehre und Kalaschnikows, aber auch Schilder mit der Aufschrift "Kfor". Was hatten sie vor? Ein Erklärungsversuch.

Video: Gegenseitige Schuldzuweisungen nach Angriff auf Polizisten im Kosovo
AFP

Frage: Wer steckt hinter dem Anschlag?

Antwort: Die kosovarische Regierung unter Albin Kurti machte Gruppen der organisierten Kriminalität unter der Kontrolle von Belgrad verantwortlich. Der Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien an der Universität Graz, Florian Bieber, denkt, dass es sich um einen gut geplanten, professionellen terroristischen Anschlag gehandelt habe. "Das waren keine besorgten Bürger, die demonstriert haben, und es war auch keine spontane Gewalt", so Bieber zum STANDARD. Es sei schwer vorstellbar, dass die serbischen Behörden nichts davon gewusst hätten. Bieber geht davon aus, dass es um eine gezielte Provokation gegen die kosovarischen Behörden ging, um Unsicherheit im Norden des Kosovo zu schüren und die Normalisierung zwischen Serbien und Kosovo auszuhebeln. "Und davon profitiert Belgrad", so Bieber.

Frage: Welche Eskalationsstufen gab es bisher?

Antwort: 2013 gab es eine Einigung zwischen Kosovo und Serbien, den Norden des Kosovo, wo mehrheitlich Serbinnen und Serben leben, in die kosovarischen Strukturen zu integrieren. Gleichzeitig wurde jedoch diese Integration verhindert. So wurden Serbinnen und Serben, die mit den kosovarischen Behörden kooperierten, in den letzten Jahren massiv unter Druck gesetzt. Im November vorigen Jahres, als die kosovarische Regierung eine Regelung einführen wollte, wonach nur mehr kosovarische Nummerntafeln verwendet werden dürfen, traten auf Anweisung von Belgrad alle Bürgermeister im Norden des Kosovo zurück, alle Serben verließen auch die kosovarische Polizei. Im April fanden deshalb Kommunalwahlen im Norden statt. Doch die Mehrheit der Serben boykottierte die Wahlen auf Geheiß von Belgrad – und so wurden Albaner gewählt. Als sie ihre Arbeit beginnen wollten, kam es zum Aufstand. Militante Serben verletzten 30 Kfor-Soldaten, die die kosovarische Polizei beschützten. Im Juni wurden drei kosovarische Grenzbeamte von serbischen Sicherheitskräften entführt.

Frage: Was sind die Hintergründe für den Konflikt?

Antwort: Der Kosovo erklärte sich im Jahr 2008 für unabhängig, mit der Argumentation, dass Serbien zwischen 1989 und 1998 umfassende Menschenrechtsverletzungen gegenüber der Zivilbevölkerung beging. Serbien hat die Unabhängigkeit des Kosovo nie anerkannt. Der Kosovo war ab 1974 eine autonome Provinz, die den sechs Republiken – die später alle eigene Staaten wurden – fast gleichgestellt war. Unter Slobodan Milošević wurde die Autonomie 1989 aufgehoben, und die Albaner wurden massiv unterdrückt.

Frage: Welche Strategie verfolgt der Westen?

Antwort: Der Westen versucht aus Angst vor noch mehr russischem Einfluss auf dem Balkan, Serbien auf die eigene Seite zu ziehen. Die Unterstützung für Präsident Vučić wird jedoch von Experten kritisiert. Denn sie führt dazu, dass die Kritik an Kurti viel dramatischer ausfällt als jene an Vučić, wie dies auch Bieber einschätzt. Kurti sei aber auch ungeschickt, meint er – und habe zu wenig für die Serbinnen und Serben im Norden Kosovos getan. "Dadurch hat er sie zurück in Vučićs Arme getrieben. Auch die Einsetzung der Bürgermeister war unnötig", so der Experte.

Frage: Welche diplomatischen Bemühungen gibt es zurzeit?

Antwort: Im März wurde im mazedonischen Ohrid ein deutsch-französischer Vorschlag für ein Abkommen vereinbart. Allerdings fehlte es an einem genauen Plan, wann welche Schritte umzusetzen seien. Vučić betonte zudem, dass er das Abkommen nicht unterschreiben werde. Kurti zeigte sich mehrmals bereit zu unterschreiben.

Frage: Wie könnte man nun positive Entwicklungen fördern?

Antwort: Bieber plädiert für eine Untersuchung der Vorgänge vom Sonntag, möglicherweise mithilfe der Kfor, die Gewalttäter müssten zur Verantwortung gezogen werden. Der Historiker empfiehlt zudem, die westliche Politik grundsätzlich neu aufzusetzen. Es gehe nicht nur um einzelne Diplomaten wie den EU-Vermittler Miroslav Lajčák, der seine Glaubwürdigkeit verloren habe. Bieber sieht aber zurzeit keine Anzeichen dafür, dass der Westen dies tun würde. (Adelheid Wölfl, 25.9.2023)