Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni beschwerte sich per Brief direkt beim deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz: "Mit Erstaunen habe ich erfahren, dass Deine Regierung – ohne Abstimmung mit der italienischen Regierung – angeblich beschlossen hat, NGOs mit erheblichen Mitteln zu unterstützen, die sich mit der Aufnahme von irregulären Migranten auf italienischem Gebiet und mit Rettungsaktionen im Mittelmeer beschäftigen." Der Eingang des Briefs ist von einem Sprecher der Bundesregierung bestätigt worden. Schon zuvor hatte Verteidigungsminister Guido Crosetto, wie Meloni ebenfalls Mitglied der ultrarechten Partei Fratelli d'Italia, scharfe Töne angeschlagen und von einem "sehr schwerwiegenden Vorgehen" gesprochen. Vizepremier und Lega-Chef Matteo Salvini nannte die deutschen Pläne gar einen "feindseligen Akt".

Dutzende Migrantinnen und Migranten an Bord von Booten der italienischen Küstenwache bei Lampedusa.
Dutzende Migrantinnen und Migranten an Bord von Booten der italienischen Küstenwache bei Lampedusa.
AP/Cecilia Fabiano

Wenn es um Migration geht, liegen die Nerven zwischen Rom und Berlin inzwischen blank: Die deutsche Regierung wirft Italien vor, dort angelandete Menschen, die nach Deutschland weitergewandert sind, nicht zurückzunehmen und damit das Dublin-Abkommen zu verletzen. Im Gegenzug hat Berlin die freiwillige Übernahme von Migrantinnen und Migranten aus Italien ausgesetzt.

Die Bundesregierung in Berlin lieferte den Rechtspopulisten in Rom damit einen Vorwand, Deutschland vorzuwerfen, Italien in der "epochalen Migrationskrise einmal mehr alleinzulassen". Die geplante Unterstützung von privaten deutschen Seenotrettern ist da nur noch der berühmte Tropfen, der das Fass in Rom zum Überlaufen brachte.

Italien fühlt sich provoziert

Die ausländischen NGO-Schiffe sind in Italien seit Jahren ein hochsensibles Thema: Nicht nur rechte Scharfmacher wie Salvini stören sich daran, dass sich die Flaggenstaaten dieser Schiffe – allen voran Deutschland, Frankreich, Spanien und die Niederlande – weigern, die von ihren Landsleuten geretteten Flüchtlinge anschließend bei sich aufzunehmen. Stattdessen werden die in der Regel in internationalen Gewässern Geretteten immer nach Italien gebracht.

Es könne nicht angehen, dass private ausländische Vereine entscheiden, wer in Italien Aufnahme finde und wer nicht, lautet die vorherrschende Meinung in Italien. Verteidigungsminister Crosetto erklärte, dass die italienische Küstenwache und die Guardia di Finanza (Zollwache) in diesem Jahr schon zehntausende Flüchtlinge gerettet habe: "Wir machen das selber, wir brauchen dafür keine von Berlin finanzierten NGOs."

Das Auswärtige Amt in Berlin und die deutsche Botschaft in Rom haben darauf verwiesen, dass mit den Subventionen ein Beschluss des Bundestags umgesetzt werde, den das Parlament bereits im vergangenen November getroffen habe. Die italienische Regierung sei darüber informiert gewesen. Die ersten Beträge – jeweils zwischen 400.000 und 800.000 Euro – solle "in Kürze" ausgezahlt werden.

Gezielte "Invasion" Lampedusas?

Eine der Organisationen, die Geld vom Bund erhalten, ist die Rettungsorganisation SOS Humanity. Die Bundesregierung unterstütze die Bemühungen, dem Sterben im Mittelmeer ein Ende zu setzen, auch seitens der privaten Seenotretter, hieß es aus dem Auswärtigen Amt. Im übrigen seien nur gerade vier Prozent der Migrantinnen und Migranten, die in diesem Jahr in Italien gelandet sind, von NGO-Schiffen gerettet worden.

Letztlich handelt es sich bei den italienischen Protesten gegen die "Provokation" Berlins um eine künstliche Aufregung. Denn ein schöneres Geschenk als die Subventionierung der privaten Seenotretter durch Deutschland hätte sich die Regierung von Meloni gar nicht wünschen können: Die Rechtsregierung steht angesichts der Verdoppelung der Migrantenzahlen – in Italien sind allein in diesem Jahr bereits 135.000 Menschen angelandet, im Vorjahreszeitraum waren es 70.000 gewesen – unter enormem Druck.

Nun haben die Rechts-außen-Vertreter in der Regierung den perfekten Sündenbock gefunden: Salvini und die ihm nahestehenden rechtslastigen Medien nehmen die deutschen Subventionen als "Beweis" dafür, dass die "Invasion in Lampedusa" durch eine geheime Regie orchestriert werde, deren Ziel es sei, die demokratisch gewählte Regierung in Rom zu destabilisieren. Und jetzt weiß man in Italien auch, wo diese imaginäre Regie ihren Sitz haben soll: in Berlin. (Dominik Straub aus Rom, 26.9.2023)