Robert Fico und Michal Šimečka bei einer TV-Debatte.
Robert Fico (links) liegt mit seiner Partei Smer knapp vorne. Aber auch Michal Šimečka (rechts), der Chef von Progresívne Slovensko, macht sich Hoffnungen.
EPA/JAKUB GAVLAK

In den Augen jener, die sich von der Politik ohnehin nichts mehr erwarten, sind Szenen wie diese wohl die ultimative Bestätigung: Vor zwei Wochen wurde ein Streit zwischen dem ehemaligen konservativ-populistischen Regierungschef Igor Matovič von der Partei Oľano ("Gewöhnliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten") und Robert Kaliňák, dem ehemaligen Innenminister der linkspopulistischen Partei Smer ("Richtung") von Ex-Premier Robert Fico, handgreiflich. Das Video, das die Rangelei dokumentierte, wurde zum Quotenhit – und zum Sinnbild für die aufgeheizte Atmosphäre im Land.

Vor der Parlamentswahl am Samstag ist die Parteienlandschaft unübersichtlich, die Gräben sind tief. Laut Umfragen liegt Ficos Smer mit gut 20 Prozent in Führung. Allerdings konnte die linksliberale Partei Progresívne Slovensko (PS) des 39-jährigen Newcomers Michal Šimečka in den vergangenen Monaten kontinuierlich zulegen. Ihr Rückstand zur Smer schwankt aber je nach Umfrageinstitut erheblich. Dass die PS am Ende das Rennen machen kann, galt zuletzt als möglich, aber eher unwahrscheinlich.

Königsmacher Pellegrini

Auf eine absolute Mehrheit darf aber ohnehin niemand hoffen. Deshalb wird es vor allem darum gehen, wer im 150 Abgeordnete zählenden Nationalrat eine tragfähige Koalition zimmern kann. Hier kommt als möglicher Königsmacher ein weiterer Ex-Premier ins Spiel: Ficos ehemaliger Parteikollege Peter Pellegrini, der mit seiner Linkspartei Hlas ("Stimme") nun eigene Wege geht. Hlas liegt mit etwa 13 Prozent auf Platz drei und könnte sowohl mit der Smer als auch mit PS koalieren.

Dass es gleich drei linke Gruppierungen sind, die in der Slowakei den Ton anzugeben scheinen, hat mehrere Gründe. Zum einen sprechen die Parteien unterschiedliche Wählerinnen und Wähler an. Während Fico mit seiner Smer auch um den rechten Rand des politischen Spektrums buhlt und prorussische Ressentiments bedient, gibt sich die PS jung, modern, sozial und grün.

Pellegrinis Hlas wiederum gilt als liberaler als die Smer, aber gleichzeitig auch als deren Schwesterpartei. Viele Hlas-Leute würden allein schon deshalb zu einer Koalition mit der Smer tendieren, weil sie diese gut kennen, erklärt der Politologe Grigorij Mesežnikov, Chef des Instituts für öffentliche Fragen (IVO) in Bratislava: "Aber dann stellt sich die Frage, warum sie überhaupt aus der Partei ausgetreten sind."

Chaos rechts der Mitte

Das rechtsliberale und konservative Lager hingegen ist so heillos zersplittert, dass es dort für viele ums politische Überleben geht. Ob die genannte Oľano, die rechtskonservative Sme rodina ("Wir sind Familie") oder die neoliberale Freiheit und Solidarität (SaS): Die Parteien der im Mai nach ewigen Querelen zerbrochenen Regierungskoalition – und noch einige mehr – müssen allesamt um den Wiedereinzug ins Parlament bangen. Nur die Rechts-außen-Partei Republika darf mit Prognosen von etwa sieben Prozent entspannt in die Wahl gehen.

Derzeit regiert das Expertenkabinett von Premier Ľudovít Ódor nur interimistisch. Viele trauen am ehesten dem dreimaligen Premier Fico zu, den Scherbenhaufen, den die Vorgängerregierung hinterlassen hat, aufzukehren. Die große Frage ist nun, wie er das Land in einer eventuellen vierten Amtszeit gegenüber Moskau positionieren würde.

"Keine einzige Patrone"

Bei einer Wahlkampfkundgebung versprach Fico kürzlich, "keine einzige Patrone" in die von Russland angegriffene Ukraine zu schicken. Der Krieg habe "2014 begonnen, als ukrainische Nazis und Faschisten begannen, russische Bürger im Donbass zu ermorden", was dem Narrativ des Kreml entspricht.

Dass das in der Slowakei auf fruchtbaren Boden fällt, hat auch historische Gründe. So weisen Fachleute darauf hin, dass das kommunistische Regime in der früheren Tschechoslowakei für Slowakinnen und Slowaken eine ökonomische Angleichung an den besser industrialisierten tschechischen Landesteil brachte. Der damalige sowjetische Einfluss werde von vielen mit einem sozialen Modernisierungsschub assoziiert, der bis heute positiv auf das Image Russlands abfärbe.

Auf Orbáns Spuren?

Der Politologe Grigorij Mesežnikov erwartet, dass Fico mit seinen Ankündigungen ernst machen und sich – nicht nur in der Russlandpolitik – auf die Seite von Ungarns Premier Viktor Orbán schlagen würde: "Ich glaube, auch Brüssel könnte mit ihm ein Problem bekommen, etwa in Sachen Rechtsstaatlichkeit."

Andere halten Fico schlichtweg für einen Opportunisten, der mit Brüssel nicht allzu sehr auf Konfrontationskurs gehen würde. Immerhin fiel etwa die Einführung des Euro 2009 in Ficos Regierungszeit.

Wie und wie rasch sich die Verhältnisse sortieren werden, hängt nicht nur vom Wahlergebnis am Samstag ab. Die liberale Präsidentin Zuzana Čaputová will bei der Präsidentschaftswahl im März nicht mehr antreten. Davor aber wird sie bei der Regierungsbildung noch eine wichtige Rolle spielen. Und diese wiederum dürfte in weiterer Folge auch auf die Wahl des nächsten Staatsoberhaupts abfärben. Die politischen Karten in der Slowakei, sie werden erst danach ganz neu gemischt sein. (Gerald Schubert aus Bratislava, 27.9.2023)