Strittig ist unter anderem, ob das Klimaschutzgesetz bereits Korrekturmechanismen vorsehen soll –etwa automatische Tempolimits, wenn die Emissionen im Verkehrsbereich nicht sinken.
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Es ist Montagmorgen, halb neun. Auf dem Minoritenplatz haben sich prominente Forschende getroffen, um einen Jahrestag zu begehen: An diesem Tag im Jahr 2019 erklärte der Nationalrat mit großer Mehrheit den Klimanotstand. Der Eindämmung der Klima- und Umweltkrise müsse höchste Priorität zuerkannt werden, so die Abgeordneten. Mit Ausnahme der FPÖ sprachen sich alle Fraktionen für den Antrag aus – von der damaligen Deutlichkeit ist allerdings wenig geblieben, kritisieren die Wissenschafterinnen und Wissenschafter von Scientists for Future heute.

"Auch die ÖVP stimmte mit, heute will sie nichts mehr von diesem Notstand wissen", sagt Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur Wien. Dann bindet er dem Denkmal des ersten Bundeskanzler der Zweiten Republik, Leopold Figl, eine Augenbinde um und verpasst ihm Ohrstöpsel. "Figl hat Probleme durch Zusammenhalt gelöst. Sie üben sich in Klima-Realitätsverweigerung und spalten die Bevölkerung in normal und nicht normal", meint Steurer in Richtung des Bundeskanzlers. Jetzt müsse sich Figl das nicht mehr ansehen und anhören.

Die Kritik gilt unter anderem den Verhandlungen rund um das Klimaschutzgesetz, das jetzt bereits seit 1.000 Tagen ausständig ist. Das alte lief Ende 2020 aus, seither ringt die Koalition um die Neuauflage. Im Regierungsprogramm ist diese fest verankert – nur scheinen die Vorstellungen, was in diesem Gesetz konkret stehen soll, bislang weit auseinanderzugehen.

Streitpunkt Sektorziele

Die Grundlage für die Verhandlungen sind die gemeinsamen Ziele der EU. Diesen schreiben unter anderem fest, welcher Mitgliedstaat wie viel CO2 einsparen muss. Im Fall von Österreich sind es bis 2030 minus 48 Prozent im Vergleich zu 2005. Diese Vorgabe steht fest, auch ohne Klimaschutzgesetz.

Offen ist hingegen unter anderem, wie der Reduktionspfad konkret aussehen soll – und genau das soll im Klimaschutzgesetz verankert werden. Dazu zählt etwa die Frage, welcher Sektor wie viele Emissionen einsparen muss – also wie viel je in den Bereichen Verkehr, Landwirtschaft, Gebäude oder Abfall passieren muss.

Für Diskussion sorgen solche Sektorziele auch in Deutschland, das ein Klimaschutzgesetz hat. Bislang funktionierte der Mechanismus im Nachbarland so: Wird in einem Sektor zu viel CO2 ausgestoßen, müssen die zuständigen Ressorts in der Bundesregierung Sofortmaßnahmen nachschießen. Diese Regelung wurde allerdings kürzlich im Zuge einer Reform gestrichen, und als Aufweichung des Gesetzes kritisiert. Sie gilt als ein Zugeständnis der Grünen an die FDP.

Mechanismus zur Kurskorrektur

Eng mit der Frage der Sektorziele verknüpft ist die Kurskorrektur. Wenn etwa die Emissionen des Verkehrsbereichs nicht ausreichend sinken: Würden dann Sofortmaßnahmen wie autofreie Tage oder niedrigere Tempolimits greifen?

Im alten Klimaschutzgesetz war nur festgehalten, dass bei einer Überschreitung der Emissionsgrenze die bestehenden Maßnahmen evaluiert und überarbeitet werden müssen. Der Rechnungshof bemängelte in einem Bericht 2020: Zwar waren Maßnahmen für jeden Sektor formuliert und Verantwortliche definiert – doch die Formulierungen seien "unpräzise", und ihre Umsetzung und Finanzierung sei "nicht näher ausgeführt" gewesen. Außerdem seien für die Maßnahmen häufig keine klaren Zielvorgaben formuliert worden.

"Ein Klimaschutzgesetz wie unser altes, ohne Sektorziele und Korrekturmechanismus, hätten wir wahrscheinlich bereits haben können. Aber ein so schwaches Gesetz war mit den Grünen in der Regierung nicht möglich", meint dazu Steurer. Umgekehrt sperre sich die ÖVP aber gegen Verbindlichkeiten – und damit gibt es bis heute keine Einigung.

Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) hält unterdessen weiter daran fest, dass das Gesetz noch vor den Nationalratswahlen im Herbst 2024 beschlossen werden soll. Ob das gelingt und in welcher Form, ist offen. Für diesen Mittwoch sind zahlreiche Aktionen geplant, die das Gesetz einmal mehr einfordern wollen. (Alicia Prager, 27.9.2023)