Lange war es je nach Sichtweise nur ein Versprechen oder eine Drohung: Die chinesischen E-Autos kommen. Doch inzwischen sind sie da. Der chinesische Autobauer BYD bewirbt aktuell seine Fahrzeuge eifrig in heimischen Medien. In Österreich wird der Dolphin, ein Kompaktklassewagen, für 26.000 Euro inklusive staatlicher Förderung angeboten. Das am ehesten vergleichbare VW-Fahrzeug, ein ID-3, kommt mit der Förderung auf einen Angebotspreis von 38.000 Euro.

Angesichts solcher Zahlen ist es wenig verwunderlich, dass E-Fahrzeuge aus China in Europa zu hitzigen Debatten über die Zukunft der eigenen Automobilindustrie führen. Inzwischen ist hektische Betriebsamkeit ausgebrochen. Die EU-Kommission hat eine Wettbewerbsuntersuchung eingeleitet und prüft, ob Chinas Subventionen für seine E-Autoindustrie den Markt verzerren. Sollte die Kommission das feststellen, kann sie chinesische Importe mit Zöllen über die bestehenden zehn Prozent belegen.

Der Vorgang ist aus zwei Gründen beachtlich, wie der Brüsseler Thinktank Bruegel in einer Analyse schreibt. Zunächst, weil hier nicht wie meist üblich ein Mini-Wirtschaftssektor ins Visier genommen wird, etwa Glasfaserkabelproduktion. Hier geht es um einen Mega-Wirtschaftszweig. Außergewöhnlich ist der Vorgang auch, weil die Kommission von sich aus tätig wird, und nicht erst auf eine Beschwerde der Industrie hin.

Aber um was geht es der Kommission eigentlich? Bei genauerer Betrachtung ist das gar nicht so klar.

Lesart eins: Europas Autobauer sollen vor starken Mitwerbern geschützt werden

Die offensichtlichste Lesart des Konflikts ist, dass die EU die europäische Automobilindustrie beschützen will. Die Zahlen sind schnell referiert: 13 Millionen Menschen beschäftigt Europas Automobilindustrie direkt und indirekt. Bis zu neun Prozent der Wirtschaftsleistung hängen vom Sektor ab. Doch die marktbeherrschende Stellung der europäischen Autobauer ist in Gefahr. Binnen weniger Jahren hat China seine Fahrzeuge zu Exportschlagern entwickelt. Aktuell verschifft das Land 10.000 Fahrzeuge am Tag in alle Welt. Hier werden auch in China produzierte Tesla hinzugezählt. Und viele der Autos landen in Entwicklungsländern. Weniger als drei Prozent der heuer neu zugelassenen Fahrzeuge in der EU stammen aus China. Aber angesichts eines Preisvorteils von 25 bis 40 Prozent dürfte sich das bald ändern.

Der Aufstieg Chinas als Land der Autobauer
China ist der neue Autoexportriese
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Aktuell kommen weltweit 80 Prozent der verkauften Pkws aus Europa, den USA oder Japan. Bis 2030 sollen es laut einer Analyse der Experten der UBS-Bank nur noch knapp über 50 Prozent sein. Was soll da näher liegen, als wenn die Politik versucht, mittels Zöllen chinesische Hersteller wie BYD und Geely zurückzuhalten? Welche exakte Rolle Subventionen bei Chinas Aufstieg zum E-Auto-Giganten gespielt haben, lässt sich nicht sagen. Laut erwähntem UBS-Paper ist der große Vorteil chinesischer Produzenten schlichtweg, dass sie drei Viertel aller Fahrzeugkomponenten selbst erzeugen. Sie müssen weniger teuer zukaufen. Der Chef des Forschungsinstituts Wifo, Gabriel Felbermayr, relativiert das allerdings: "Da wurde eine ganze Lieferkette mit massiver staatlicher Unterstützung ausgebaut und in Teilen auch monopolisiert. Jetzt werden die Kostennachteile für die heimische Industrie sichtbar, und der Ruf nach staatlicher Unterstützung wird lauter."

Lesart zwei: Die Kommission will Druck für mehr Marktöffnung ausüben

Eine andere Lesart ist, dass es der Brüsseler Behörde nicht um E-Autos geht, jedenfalls nicht primär. "Die Handelsbeziehungen zwischen China und der EU sind sehr unausgewogen", formuliert es der EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis. "Der Grad der Offenheit auf chinesischer Seite entspricht nicht dem Grad der Offenheit auf EU-Seite."

Im vergangenen Jahr exportierte die EU Waren im Wert von 230 Milliarden Euro nach China – ein im Vergleich zu den Vorjahren recht konstanter Wert. Umgekehrt kamen aus der Volksrepublik Güter im Wert von fast 630 Milliarden Euro. Chinas Exporte stiegen stark an. Wobei China längst nicht nur Textilien und Spielzeug nach Europa verkauft: Hauptexportgüter sind Maschinen, Fahrzeuge, verarbeitete Industriegüter und Chemikalien.

Angesichts des großen EU-Handelsdefizits gegenüber China drängt die EU darauf, dass sich China für Europas Produzenten öffnet. Ein angedrohter Zoll auf E-Autos könnte diesen Prozess beschleunigen. Die EU kritisiert konkret, dass medizinische Geräte aus Europa kaum auf dem chinesischen Markt landen. Ebenso werden Beschränkungen für Agrarexporte oder Kosmetika angeprangert. Dazu kommen weitere Konflikte, bei denen Europa Druckmittel gebrauchen kann.

China versucht die EU zu spalten: Seit Dezember 2021 importiert das Land keine Produkte mehr aus Litauen – eine Antwort darauf, dass in Vilnius eine De-facto-Botschaft Taiwans eingerichtet wurde. EU-Produkte, in denen Komponenten aus dem baltischen Staat stammen, dürfen nicht eingeführt werden. Für einen Block mit gemeinsamer Handelspolitik eine schwierige Situation. China hat außerdem im Juli Exportbeschränkungen für Gallium und Germanium eingeführt, zwei Metalle, die in der Halbleiterproduktion und für Chips in der Autoproduktion benötigt werden. Die EU kritisiert den Schritt scharf. China und die EU streiten aber auch über ein nach siebenjährigen Verhandlungen im Jahr 2020 geschlossenes Investitionsabkommen. DasComprehensive Agreement on Investment(CAI) räumt Unternehmen aus der EU einen stärkeren Zugang zum chinesischen Markt ein.

Das Abkommen liegt auf Eis, das EU-Parlament hat es gestoppt. Die EU hatte zunächst Sanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen gegen die Minderheit der Uiguren in China ergriffen. Im Gegenzug setzte China unter anderem mehrere EU-Parlamentarier auf eine Sanktionsliste – seither die Blockade beim Abkommen.

Nur weil die EU ein Verfahren einleitet, heißt es jedenfalls nicht, dass es tatsächlich dazu kommt, dass Strafzölle eingehoben werden. Laut dem Thinktank Bruegel hat die Kommission seit 2008 342 Untersuchungen gegen Importe aus China eingeleitet, in 101 Fällen wurden keine Gegenmaßnahmen ergriffen. Auch Ökonom Felbermayr sagt, dass weder die EU noch China Interesse an einer eskalierenden Zollpolitik hätten. Aber mit ein paar Zugeständnissen von chinesischer Seite werde man aus dem Streit auch nicht rauskommen, dafür sei die Situation in der europäischen E-Auto-Industrie zu ernst. "China müsste echte Zugeständnisse machen und der EU Garantien geben", so Felbermayr.

Lesart drei: Die Strategie ist Teil einer Rückabwicklung der Globalisierung

Unbestritten ist, dass China seine E-Auto-Industrie stark gefördert hat. Schätzungen zufolge wurden dafür allein zwischen 2009 und 2019 680 Milliarden Yuan (etwa 90 Milliarden Euro) bereitgestellt. Allerdings ist die Industrie inzwischen kompetitiv, die entscheidenden Geldflüsse sind schon getätigt. "Fragt sich: Warum werden Zölle jetzt geprüft und nicht schon vor Jahren?", sagt der Ökonom Harald Oberhofer von der WU Wien und dem Wifo. Eine mögliche Antwort aus seiner Sicht: Wir befinden uns in einer Phase der Zurückdrängung der Globalisierung. Die EU, die USA, China, aber auch Japan und Südkorea forcieren eigene industriepolitische Maßnahmen. Dabei soll Produktion in das eigene Land zurückgeholt werden.

Im staatskapitalistischen China ist das in den Fünfjahresplänen festgeschrieben. Neu ist, dass die USA in den Subventionierungswettlauf eingestiegen sind. 370 Milliarden Dollar investieren die USA in die Stärkung der eigenen E-Auto-Produktion. Die USA haben außerdem ein Halbleiterfördergesetz erlassen, das unter anderem ein Verbot von Technologietransfers nach China vorsieht. Die EU hat darauf reagiert und selbst ein Gesetz zur Förderung grüner Industrien und der Chiptechnologie auf den Weg gebracht.

Viele der Maßnahmen zielen darauf ab, die Rolle Chinas als Zulieferer zurückzudrängen. Aber auch der Westen hat unterschiedliche Interessen. Für ein in Nordamerika zusammengebautes E-Auto gibt es nunmehr Förderungen von bis zu 7500 Dollar. Eine Bedingung dafür ist, dass die Komponenten und Einzelteile in einem jährlich zunehmenden Ausmaß aus Nordamerika stammen. Europas Autobauer fürchten diese Regelung, weil damit Ford, GM und Tesla Vorteile bekommen – die EU verhandelt aktuell mit Washington über Ausnahmen für europäische Hersteller. Dass sich Europas Chancen hier verbessern, wenn man gegenüber dem US-Rivalen China auch mal etwas Härte zeigt, darf vermutet werden. (András Szigetvari, 27.9.2023)

Chinesische Fabrik für E-Autos. Chinas Anteil am Markt für E-Autos wächst
Reuters