Wien – Es ist effizient und unschlagbar günstig. Kein Pestizid ist in der Landwirtschaft stärker im Einsatz als Glyphosat. Keines ist umstrittener. Gegen das Totalherbizid ist kein Kraut gewachsen – es sei denn, dieses wurde gentechnisch verändert. Glyphosat ebnete weltweit Landwirten den Weg für die Industrialisierung ihrer Produktion und wurde zum Sprungbrett für Gentechnik. Die Kollateralschäden seines Siegeszuges für Umwelt und Mensch infolge möglicher krebserregender und neurotoxischer Effekte beschäftigen die Gerichte bis heute.

Mitte Oktober lässt die EU ihre Mitgliedsstaaten über die weitere Zulassung von Glyphosat abstimmen.
IMAGO/Martin Wagner

Dieser Wochen ist das Pflanzengift mehr denn je Reizwort. Die EU-Kommission empfahl in Brüssel seine Zulassung um weitere zehn Jahre, was Umweltorganisationen quer durch Europa in Alarmbereitschaft versetzt. Seit Jahren tobt ein Kampf der wissenschaftlichen Studien, die das gesundheitliche Risiko, das mit Glyphosat einhergeht, als mehr oder minder hoch einstufen.

Österreich wird in Brüssel gegen die Neuzulassung stimmen, was Norbert Totschnig zu einem Spagat nötigt. Es war ein Beschluss der SPÖ, Grünen und FPÖ aus dem Jahr 2017, der den VP-Landwirtschaftsminister dazu zwingt, rotes Licht zu signalisieren, während das Gros der Bauern auch künftig nicht auf den Unkrautvernichter verzichten will.

"Freie Entscheidung"

Jedem Betrieb müsse es möglich sein, frei zu entscheiden, wie er produziere, ließ erst jüngst ein hoher Funktionär der Landwirtschaftskammer wissen und hob die Vorzüge des Glyphosats hervor. Vertreter der chemischen Industrie beklagten bereits in der Vergangenheit Populismus und Panikmache: Der Bevölkerung, die sich in Österreich mit breiter Mehrheit gegen den Einsatz des Pflanzengiftes ausspricht, fehle das Vertrauen in die Wissenschaft.

Wenig vertrauensfördernd sind aus Sicht zahlreicher NGOs wie Global 2000, Pan Europe und Génération Futures freilich die Prozesse der Zulassung. Sie brachten am Mittwoch bei der Staatsanwaltschaft Wien eine Nachtragsanzeige ein. Demnach bestehe der Verdacht, dass der Chemieriese Bayer "unvorteilhafte Daten und Ergebnisse aus Herstellerstudien unzulässig zurückgehalten oder inkorrekt dargestellt" habe. Um eine Wiederzulassung zu erhalten, seien die Behörden und die Bevölkerung über die wahre Wirkweise und die wahre Gefährlichkeit getäuscht worden.

"Sprengkraft"

Sprengkraft habe vor allem eine vom Agrarkonzern Syngenta beauftragte Studie, ist Helmut Burtscher, Umweltchemiker bei Global 2000 in Österreich, überzeugt. Rattenbabys, deren Mütter während der Schwangerschaft Glyphosat erhielten, zeigten darin stark eingeschränkte Motorik. Die US-Umweltbehörde habe die Studie als "akzeptabel für regulatorische Zwecke" befunden. Für Burtscher haben die Analysen das Potenzial, Risikobewertungen von Glyphosat "auf den Kopf zu stellen": Sie zeigten schädliche Effekte bei einer Dosis, die die EU-Behörden bisher für sicher hielten.

Bayer weist alle Vorwürfe zurück. Man habe Studien weder verschwiegen noch vorenthalten, sondern habe alles für die Risikobewertung Relevante eingereicht, das für die Zulassung wichtig sei – die zitierte Studie sei es nicht. Glyphosat sei weder krebserregend noch genotoxisch. Auch Syngenta wies die Kritik am Mittwochabend zurück. "Syngenta hat den EU-Aufsichtsbehörden keine Studien vorenthalten. Alle Studien zur Entwicklungsneurotoxizität, die für Syngenta-spezifische Wirkstoffe durchgeführt wurden, die sich im Hinblick auf das Sicherheitsprofil für den Menschen deutlich von Glyphosat unterscheiden, wurden von den US-Regulierungsbehörden angefordert und ihre Existenz wurde öffentlich gemacht. Auch wenn die Studie von Syngenta einen anderen Wirkstoff als Glyphosat betrifft, wurde sie in der aktuellen Neubewertung der EFSA aufgenommen", hieß es in einer Stellungnahme.

Für die Industrie geht es um viel. Setzt die EU Glyphosat auf die rote Liste, sieht es auch für Futtermittel aus Übersee, das mit dem Pestizid behandelt wurde und vor allem der konventionellen Massentierhaltung in Europa dient, düster aus. An Wert verlieren gentechnisch veränderte Pflanzen, die gegen Glyphosat resistent sind. Gut ohne das Herbizid leben gelernt hat der biologische Landbau. (Verena Kainrath, 28.9.2023)