Auf den ersten Blick ist Matzen im Weinviertel wie jeder andere Ort in Niederösterreich: klein, beschaulich und unaufgeregt, auch tagsüber hält sich der Trubel in Grenzen. Eine Frau wäscht die Fassade ihrer Bäckerei, eine andere geht mit ihrem Hund spazieren, das Rasenmähen übernimmt der Roboter. In der Gemeinde selbst findet man alles, was man zum täglichen Leben braucht: einen Supermarkt, eine kleine Bankfiliale, Kindergarten, Schule und natürlich einen Dorfwirt. Am Ortsrand gibt es außerdem einen Fußballplatz, ein Waldbad und eine Tennishalle – und seit Oktober 2019 auch den "Klimaforschungswald".

Auf einem Testgebiet von rund fünfeinhalb Hektar wird hier bis 2030 untersucht, wie sich Wälder an den Klimawandel anpassen können und welche Baumarten mit den Gegebenheiten am besten zurechtkommen. Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt vom Bundesforschungszentrum für Wald (BFW), auch das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft, das Land Niederösterreich und die OMV sind unter anderem am Projekt beteiligt. Dass ausgerechnet der Erdölkonzern als Unterstützer auftritt, ist wohl kein Zufall: In Matzen befindet sich das ertragreichste Erdölfeld Österreichs, das größte in ganz Mitteleuropa. Nicht weit vom Klimaforschungswald entfernt fördern Tiefpumpen Erdöl zutage.

Ein Blick in die Zukunft

Matzen ist aber nicht nur eines der erdöl- und ergasreichsten Gebiete Österreichs, sondern ebenso eines der trockensten. Darunter leiden die fast verdorrten Sonnenblumen auf den Feldern ebenso wie die Wälder. Genau das ermöglicht aber einen Blick auf jene Bedingungen, die auch in vielen anderen Regionen hierzulande in einigen Jahren und Jahrzehnten Realität sein könnten. "Was wir dort lernen, können wir dann wieder in anderen Regionen anwenden. Da gibt es heute schon Klimabedingungen, die in 50 Jahren vielleicht auch im Mühl- oder Waldviertel herrschen könnten", erklärt Silvio Schüler, Leiter des Instituts für Waldwachstum, Waldbau und Genetik am BFW.

Vor allem im Osten Österreichs, wo es bereits jetzt sehr warm und trocken sei, könnte der Wald ernsthaft gefährdet sein, warnt Schüler: "Wenn sich die Geschwindigkeit des Klimawandels so fortsetzt, haben wir möglicherweise nur noch eine Steppenvegetation. Wir wollen schauen, welche Baumarten auch in Zukunft noch auf diesen Standorten wachsen." Denn fest steht: Mit den sich wandelnden klimatischen Bedingungen verändern sich auch die heimischen Wälder.

Schneller Wandel, langsame Anpassung

"Der Wald ist Betroffener und Gestalter des Klimawandels", bringt es Hubert Hasenauer auf den Punkt. Hasenauer ist Leiter des Instituts für Waldbau an der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien und beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit den heimischen Wäldern. Einerseits sind sie Österreichs wichtigste CO2-Speicher und schwächen dadurch die Folgen des Klimawandels ab. Allein hierzulande speichern die Wälder derzeit etwa 950 Millionen Tonnen Kohlenstoff im Holz und im Boden – die 40-fache Menge der jährlichen CO2-Emissionen. Aber auch global spielen Wälder eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Erderwärmung, sagt Hasenauer: "Ohne Wald wäre die CO2-Belastung auf der Erde wahrscheinlich um 30 Prozent höher."

Andererseits lässt die Erderhitzung auch die Bäume nicht kalt: Zwar sind Klimaschwankungen für die Ökosysteme nicht neu, derzeit ändern sich die Wachstumsbedingungen jedoch in rasantem Tempo. Für langlebige Pflanzen wie Bäume, die 100 bis 300 Jahre lang wachsen, werden die schnellen Änderungen zum Problem: Im Laufe ihres Wachstums finden sie zunehmend nicht mehr jene Bedingungen vor, die noch zu Beginn geherrscht haben. Eine plötzliche Anpassung ist schwierig, sagt Hasenauer: "Der Baum kann nicht einfach zusammenpacken und sagen: 'Ich gehe woanders hin'. Das können Menschen, das können Tiere, aber Bäume können das nicht."

Wald mit teilweise ausgerissenen Fichten und Buchen
Rund jeder zweite Baum in Österreich ist eine Fichte.
APA/DOKU-NOE.AT

Burnout der Bäume

Vor allem die veränderten Niederschlagsmuster werden für die Wälder Jahr für Jahr zur Belastungsprobe: Vielerorts verlagern sich die Regenfälle vom Frühling in den Herbst und fallen somit nicht mehr zu jener Zeit, in der die Bäume das Wasser am dringendsten brauchen. Hinzu kommt, dass nach milden Wintern mit wenig Schnee, dafür aber viel Regen auch die Schneeschmelze ausbleibt. "Wenn wir im Gebirge weniger Schnee haben, ist das nicht nur schlecht für die Skifahrer, sondern auch für die Bäume. Ihnen fehlt im Frühjahr die kontinuierliche Wasserversorgung", erklärt Hasenauer. Wenig Schnee im März und April und ein warmes Frühjahr sind daher ein erstes Warnsignal, dass auf die Bäume ein hartes Jahr zukommt.

Auch im Sommer brauchen heimische Baumarten eine durchgängige Wasserversorgung und regelmäßigen Niederschlag, bestenfalls jede Woche. Ist das nicht der Fall, leiden sie an Trockenstress: Dann können sie nicht nur kein CO2 mehr binden, sondern werden besonders anfällig für Schädlinge. Vor allem einer hat es in den letzten Jahren zunehmend auf die heimischen Wälder abgesehen: der Borkenkäfer. Er nutzt die Schwäche der Bäume aus und nistet sich in der Rinde ein. Die Larven fressen sich dann weiter in den Baum, sodass dieser am Ende abstirbt. Hat die Population einmal eine gewisse Größe erreicht, sind ihr auch gesunde Bäume schutzlos ausgeliefert. Im schlimmsten Fall kann der Schädling so ganze Wälder zunichtemachen.

Wenn das System kippt

Genau das ist vor einigen Jahren im Waldviertel passiert. Im Sommer 2017 und 2018 herrschten dort hohe Temperaturen und wenig Niederschlag – optimale Bedingungen für den Borkenkäfer. Um die rasante Ausbreitung zu stoppen, mussten Wälder großflächig kahlgeschlagen werden. Insgesamt 3,5 Millionen Festmeter Holz fielen dem Borkenkäfer zum Opfer. Der Trockenstress sorgte im vergangenen Jahr auch in Osttirol und Kärnten dafür, dass dutzende Hektar Wald entfernt werden mussten. Allein in Osttirol entstand ein Schaden von 30 Millionen Euro.

Zusätzlich treiben Windwürfe die Ausbreitung des Borkenkäfers voran. So etwa diesen Sommer in Tirol, wo die Stürme im Juli ganze Berghänge voller Bäume im Zillertal oder Ötztal entwurzelt haben. Dort nimmt nun die Angst vor dem Borkenkäfer zu. Wie schlimm die Situation werden wird, hängt vom Wetter in den kommenden Monaten ab. "Wenn wir im nächsten Jahr ein kühles, nasses Frühjahr haben, dann kann sich der Borkenkäfer weniger gut ausbreiten – und die Wälder sind mit einem blauen Auge davongekommen", sagt Waldexperte Hasenauer.

Fichte auf dem absteigenden Ast

Der Borkenkäferbefall der vergangenen Jahre hat besonders Fichtenwälder stark getroffen. Die Fichte ist hierzulande mit Abstand die dominanteste Baumart. In den höheren Lagen in Westösterreich kommt sie natürlich vor, in den Voralpengebieten in der Steiermark und in Ober- und Niederösterreich wurde sie aus wirtschaftlichen Gründen angepflanzt: Rund 350.000 Hektar Fichte wachsen dort auf klassischen Buchenstandorten, auf weiteren 280.000 Hektar Fichten-Tannen-Buchenwald ist der Fichtenanteil zu hoch.

Rund jeder zweite Baum in Österreich ist deshalb eine Fichte – oder besser gesagt: war. Denn durch ihre kurzen Wurzeln ist sie weniger resistent gegenüber Trockenheit. In niedrigen Lagen mit hohem Klimastress hat die Fichte langfristig nur geringe Überlebenschancen. "Die Tendenz geht dahin, dass die Fichte in den tiefen Lagen durch Baumarten ersetzt wird, die längere Trockenperioden aushalten", erklärt Hasenauer.

Und trotz aller Herausforderungen: Der Wald in Österreich wächst kontinuierlich – und bedeckt mittlerweile knapp die Hälfte der Staatsfläche. Pro Jahr kommen rund 4.000 Hektar Wald, eine Fläche etwa in der Größe von Eisenstadt, dazu. Der Fokus liegt nun darauf, die Baumartenvielfalt in den Wäldern zu erhöhen. So soll die Stabilität der Wälder auf lange Sicht gesichert werden: Wenn eine Baumart ausfällt, springen andere für sie ein.

Neulinge aus dem Süden

Auch im Klimaforschungswald in Matzen wird auf Vielfalt gesetzt: Mehr als 40 verschiedene Baum- und Straucharten werden dem Test unterzogen und beobachtet, wie sie in Österreich gedeihen. Darunter sind nicht nur heimische Pflanzen, sondern auch die Douglasie, die Atlaszeder aus Marokko, die Weißtanne aus Kalabrien, die Schwarzkiefer aus Korsika oder die ungarische Eiche, die aktuell etwa in Rumänien, Bulgarien oder der Türkei wächst. Viele dieser Baumarten kommen bisher gar nicht oder nur vereinzelt in den österreichischen Wäldern vor – noch. Der Vorteil: Sie können besser mit heißen Temperaturen umgehen und kommen auch Wochen ohne Niederschlag aus.

Die nicht heimischen Baumarten sind unter Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer jedoch umstritten und werden stark debattiert. Man befürchtet, dass so die heimischen Arten, die ohnehin unter Druck stehen, weiter gefährdet und verdrängt werden. Im Klimaforschungswald werden deshalb nicht nur die Chancen, sondern auch die Risiken neuer Baumarten untersucht. "Wir versuchen, es ganzheitlich zu betrachten: Was leisten die verschiedenen Baumarten? Was ist positiv? Was ist negativ? Langfristig soll es eine Art Spielwiese sein, um besser zu verstehen, wie die Zusammensetzung der Baumarten die Waldleistung beeinflusst", sagt Schüler. Welche Bäume in Zukunft tatsächlich in den österreichischen Wäldern zu finden sein werden, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Aber ob mit oder ohne neue Arten: Dass sich die Wälder verändern werden, steht außer Frage. (Theresa Scharmer, 30.9.2023)