In der Hitze des Gefechts kann schon einmal etwas durcheinanderkommen. In einem soeben publikgewordenen Video spricht Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) vor Funktionären bei einer Veranstaltung in Hallein. Ein Teil seiner Rede konzentriert sich darauf, warum die Teilzeitquote in Österreich nicht steigt, wenn doch angeblich so viele Menschen in Österreich so arm sind. Gemeint ist natürlich, warum die Teilzeitquote nicht sinkt.

Das Video hat in sozialen Netzwerken für heftige Debatten gesorgt: Während Kritiker "bürgerliche Verrohung" ausmachen, verteidigen andere die Worte des Kanzler, das Motto: Er sage nichts anderes als das, was sich viele am Stammtisch denken würden.

Video: So reagieren Menschen, wenn sie das Video von Bundeskanzler Karl Nehammer über arme Menschen sehen. Darin rät er Eltern indirekt, einen billigen Hamburger zu kaufen, wenn sie ihren Kindern eine warme Mahlzeit servieren wollen
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Die aufgeworfene Frage, warum nicht mehr Menschen Vollzeit arbeiten, ist aber auch abseits aller moralischen Bewertungen eine Analyse wert. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass es sich in vielen Fällen ökonomisch wohl gar nicht bis kaum auszahlt, mehr zu arbeiten.

Die wichtigen Zahlen sind schnell referiert: Die Teilzeitquote in Österreich liegt bei knapp über 30 Prozent, wobei vor allem Frauen Teilzeit arbeiten. Jede zweite Frau in Österreich arbeitet nicht Vollzeit.

40 Prozent der teilzeitbeschäftigten Frauen sagen, sie können wegen Betreuungspflichten nicht mehr arbeiten.
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Nun bekommt jemand, der mehr arbeitet, immer mehr Geld heraus – aber das große Problem ist, dass in vielen Fällen dieses Plus so klein ist, dass es sich unterm Strich kaum rechnet.

Wo viele Frauen arbeiten

Das hat einerseits viel damit zu tun, wo Frauen konzentriert arbeiten und wo damit auch viel Teilzeit gearbeitet wird. Es sind oft Berufe, in denen vergleichsweise niedrige Löhne bezahlt werden. Das ist der Tourismus, das sind Sozialberufe, das ist die Erbringung sonstiger Dienstleistungen, eine Berufsgruppe, zu denen etwa Sekretärinnen gehören. "Beispielsweise trat der höchste Frauenanteil im Gesundheits- und Sozialwesen mit 77 Prozent gemeinsam mit dem niedrigsten Vollzeitanteil von 36 Prozent auf", heißt es in der Analyse des Rechnungshofs zu den Einkommen in Österreich. Von insgesamt 18 Berufsgruppen, in die sich die Arbeitswelt laut Statistikern einteilen lässt, gehören Gesundheits- und Sozialwesen zu jenem Drittel, wo die niedrigsten Löhne bezahlt werden. Auch Tourismus und die erwähnten sonstigen Dienstleistungen fallen in diese Gruppe.

Selbst Vollzeit garantiert nicht immer, dass Frauen finanziell ein existenzsicherndes Einkommen haben, sagt eine Expertin.

Beschäftigung nach Geschlechtern, Branchen und Einkommen
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Wichtig ist aber auch zu wissen, wer Teilzeit arbeitet. Laut Befragungen der Statistik Austria sagen 40 Prozent der Frauen, Teilzeit zu arbeiten, weil sie Kinder oder pflegebedürftigen Angehörige betreuen, im Regelfall ist es der Nachwuchs. Dazu kommen Menschen, die Teilzeit arbeiten, weil sie eine Ausbildung machen, sei es schulisch oder beruflich. Ein Teil der Teilzeitbeschäftigten sucht einen Job, findet aber nichts, andere geben an, aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zu schaffen. Übrig bleiben tatsächlich nur 24 Prozent der Teilzeitbeschäftigten, die sagen, sie möchten nicht mehr arbeiten, unter anderem weil sie genug verdienen.

Kurzum: Vor allem dort, wo Frauen viel Teilzeit arbeiten und aufstocken könnten, sind die bezahlten Löhne schlecht. In den meisten Fällen treffen diese Frauen auch Kinderbetreuungspflichten. Und auch das kostet.

Ein Beispiel: Eine Kassiererin im Handel, die schon mehrere Jahre Erfahrung hat und nicht geringfügig arbeitet, also Sozialversicherung zahlen muss, verdient aktuell pro Stunde um die zwölf Euro netto. Das dreizehnte und vierzehnte Monatsgehalt sind hier eingerechnet. Würde sie um zehn Stunden in der Woche aufstocken, von ihren aktuell 25 Stunden, blieben ihr 120 Euro in der Woche mehr.

Kinderbetreuung kostet extra

Bloß: Wer Kinder zu betreuen hat, wird sich Hilfe nehmen müssen, außer Arbeitszeiten sind immer von neun bis 17 Uhr, was aber gerade im Handel oft nicht der Fall ist. Selbst Wiener Kindergärten sind im Regelfall nur bis 17.30 geöffnet, und auf dem Land ist es sowieso noch einmal anders. Dazu kommt, dass bei zwei Personen im Haushalt, die Vollzeit arbeiten, auch die Chancen hoch sind, dass jemand für die Reinigung gesucht werden muss. 120 zusätzlich verdiente Euro sind da schnell weg.

Nun gibt es auch den Einwand, dass auch der Staat gefräßig ist: Tatsächlich knabbert er sich von jedem zusätzlich verdienten Euro etwas ab, in Form höherer Sozialversicherungsbeiträge und Steuern. In Österreich ist die Belastung von Arbeit im internationalen Vergleich besonders hoch. Allerdings gibt es hier eine Staffelung, wer viel verdient, zahlt viel mehr Steuern. Gerade bei jemandem, der etwas unterdurchschnittlich verdient und Kinder hat, ist der Betrag, der an den Staat abzuführen ist, gar nicht so hoch. Laut Industriestaatenorganisation OECD müssen etwa 20 Prozent von den gesamten zusätzlichen Arbeitskosten an den Staat abgeführt werden. Selbst wenn man diesen Prozentsatz halbiert, bliebe für die erwähnte Kassiererin netto kaum mehr als ein Euro für jede zusätzlich gearbeitet Stunde übrig. Jede Beschäftigte wird zweimal durchrechnen, ob sich das auszahlt. (András Szigetvari, 28.9.2023)