Die Ausstattung von Schulen mit "digitalen Geräten" hat spät begonnen, zählt jetzt aber zu einem Fokus des zuständigen Ministeriums.
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In Österreich sitzen laut Schätzungen der Schulpsychologie in jeder Klasse ein bis zwei Kinder mit Lese- oder Rechtschreibschwierigkeiten. Inklusive Dyskalkulie, Autismus oder ADHS hat laut Katharina Zaloudek, Expertin für digitale Barrierefreiheit, sogar ein Viertel der Schüler Lernbesonderheiten in verschiedenen Ausprägungen. Mit digitaler Unterstützung könnten diese Kinder und Jugendlichen ihr Potenzial deutlich besser ausschöpfen, derzeit werde das aber zu wenig genutzt.

Österreich sei prinzipiell in einer luxuriösen Situation, immerhin werden seit dem Schuljahr 2021/22 alle Schülerinnen und Schüler der 5. Schulstufe (1. Klasse Mittelschule/AHS-Unterstufe) mit digitalen Endgeräten ausgestattet. Damit gäbe es eigentlich die Möglichkeit, im Unterricht individuell darauf einzugehen, mit welchen Wahrnehmungskanälen Schüler mit Lernbesonderheiten am besten zurechtkommen - etwa indem sie sich Texte visualisieren bzw. vorlesen oder durch Bedienungshilfen (Silbentrennung, andere Textdarstellungen) oder multimediale Inhalte beim Lernen unterstützen lassen.

Vorteile noch kaum angekommen

Für Kinder mit Autismus oder ADHS, die Probleme beim Strukturieren und Organisieren ihrer Arbeitsmaterialien haben, könne es außerdem hilfreich sein, das Tablet - ob handschriftlich oder mit Tippen - für die gesamte Heftführung zu nutzen. Auch wenn Schüler Texte diktieren dürfen statt sie zu schreiben, könnten sie zeigen, was sie kognitiv leisten können und würden nicht auf ihre Lernstörung reduziert.

"Mir als Lehrer müsste es eigentlich egal sein, in welcher Form ein Kind seine Leistung zeigt", sagt Zaloudek. In der Praxis seien diese Vorteile digitaler Tools allerdings noch kaum angekommen, kritisiert sie im APA-Gespräch im Vorfeld des bundesweiten Aktionstags für Legasthenie und Dyskalkulie, der am Samstag begangen wird. Die Schulen müssten viel stärker auf Lernbesonderheiten eingehen und die Schüler durch digitale Hilfsmittel so entlasten, sodass sie sich besser auf das Lernen und die soziale Interaktion in der Schule konzentrieren und den bestmöglichen Schulabschluss erreichen können. iPads, die sie wegen barrierefreier vorinstallierter Gratis-Apps und übersichtlicher Bedienoberfläche für diese Gruppen besonders empfiehlt, sollten für Schüler mit Lernbesonderheiten als Hilfsmittel zur Kompensierung ihrer Schwächen anerkannt werden wie eine Brille oder ein Rollstuhl, fordert die Leiterin der ACP eduWERK Academy, einem Anbieter digitaler Bildungslösungen. Diese müssten ihnen außerdem dauerhaft zur Verfügung stehen und nicht nur in einzelnen Stunden.

Damit Schüler mit Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten, Legasthenie oder Dyskalkulie wirklich von digitalen Tools profitieren können, müssten sich die Lehrer wirklich auf die Technologie einlassen, betont Patrick Thalhammer, der früher in iPad-Klassen einer Wiener Mittel- und einer Polytechnischen Schule unterrichtet hat und mittlerweile ebenfalls in der ACP eduWERK Academy arbeitet. Man müsse den Schülern erlauben, ihre Leistung auf andere Arten zu erbringen als ihre Klassenkolleginnen und -kollegen. Das kann bedeuten, dass sie Aufgaben am Rechner erledigen, während die anderen mit der Hand schreiben, oder eine vorbereitete Präsentation vom iPad abspielen dürfen, wenn sie nicht dazu in der Lage sind, vor der Klasse ein Referat zu halten.

Geeignet sind solche digitalen Hilfsmittel nach Thalhammers Erfahrung schon ab der Volksschule. Es sei zwar für die Motorik wichtig, dass die Kinder mit der Hand schreiben lernen. In den späteren Klassen könne man aber auch dort die Technologie als "individuellen Lernbegleiter" nutzen. Mit der Weiterentwicklung Künstlicher Intelligenz würden sich hier immer mehr Möglichkeiten auftun.

Fortbildungen für Lehrer

Sollen die digitalen Tools möglichst sinnvoll im Unterricht eingesetzt werden, brauche es aber mehr spezielle Fortbildungen für Lehrer, betont Thalhammer. Hier ortet er noch Aufholbedarf. An den für die Lehrerfortbildung verantwortlichen Pädagogischen Hochschulen (PH) würden nämlich Expertinnen und Experten für dieses Feld fehlen. Diese müssten eigentlich zugekauft werden, dafür werde an den PHs aber zu schlecht bezahlt. Zaloudek ergänzt, dass es zusätzlich eine ständige, niederschwellige Begleitung für die Lehrer bräuchte, damit sie Sicherheit beim Einsatz digitaler Medien gewinnen. Außerdem müsse sichergestellt sein, dass jede Lehrperson mit demselben Tablet oder Laptop ausgestattet ist wie die Schüler. Das sei derzeit trotz Geräteinitiative nicht der Fall. (APA, 29.9.2023)