Baby Lockdown Mikrobiom Allergien
Kleinkind mit Mutter in Schanghai während des Lockdowns 2022. Babys, die in Lockdown-Zeiten geboren wurden, weisen eine geringere Bakterienvielfalt im Darm auf.
EPA

Was schon zu Beginn der Pandemie und der ersten Lockdowns vermutet wurde, hat sich mittlerweile in mehreren Studien erhärtet: Babys, die in den ersten Monaten der Covid-19-Pandemie geboren wurden, haben eine andere Zusammensetzung der Darmmikroben als jene, die vor dem März 2020 geboren wurden.

Das kam nicht ganz überraschend, denn Säuglinge und Kleinkinder erwerben viele dieser Mikroben aus ihrer Umgebung. Beschränkt sich diese Umgebung vor allen auf die elterliche Wohnung und achten die Eltern noch mehr auf Hygiene als sonst, kann das die Diversität des Mikrobioms reduzieren. Das bestätigte auch eine jüngst veröffentlichte Untersuchung unter der Leitung von Natalie Brito, einer Entwicklungspsychologin an der New York University.

Geringere Vielfalt des Mikrobioms

Brito und ihr Team forschten schon lange vor der Pandemie darüber, wie sich frühkindlicher Stress auf das Mikrobiom von Säuglingen auswirkt. Während der ersten neun Monate der Pandemie sammelten und analysierten sie Proben von 20 Neugeborenen in New York. Hauptergebnis der im Fachblatt "Scientific Reports" veröffentlichten Studie: Sämtliche untersuchten Babys hatten eine geringere Vielfalt von Mikroben, und ihre jeweiligen Mikrobiome unterschieden sich stärker voneinander als jene von Babys, die vor der Pandemie geboren worden waren.

Was bedeutet das nun aber für die aktuelle und spätere Gesundheit? Grundsätzlich wird ein weniger diverses Mikrobiom mit späteren gesundheitlichen Problemen in Verbindung gebracht: eine höhere Anfälligkeit für Allergien, Hauterkrankungen, psychischen Störungen und Magen-Darm-Probleme. Bedeutet das nun, dass wir mit einer weiteren Zunahme solcher Erkrankungen rechnen müssen?

Nicht unbedingt: Als ausschlaggebender Zeitraum für den Aufbau eines gesunden Mikrobioms gelten die ersten 1.000 Tage unseres Lebens, wie die Expertin Jun Sun (University of Illinois in Chicago) in einem Bericht im Fachblatt "Nature" ausführt. Was bedeutet, dass die Pandemiebabys von 2020 als Kleinkinder noch einiges nachholen konnten und können. Zudem stellt eine ganz neue Studie auch noch den Zusammenhang zwischen Mikrobiom und Allergien infrage – oder schwächt ihn zumindest ab.

Mirkobenvielfalt als Schutz

Diese sogenannte Hygiene-Hypothese "beruht auf der Beobachtung, dass Kinder, die keine Geschwister haben und deshalb in den ersten Lebensmonaten weniger mit Keimen und Infektionserregern in Kontakt kommen, vermehrt an Allergien leiden", wie der Mediziner Harald Renz (Philipps-Universität Marburg) erklärt: Kinder würden seltener Asthma ausbilden, wenn sie in einem "ursprünglichen" Milieu wie auf einem Bauernhof aufwachsen.

Allergie Bauernhof Kind
Immunologischer Idealfall? Ein Mädchen in einer Umgebung, die mutmaßlich das Immunsystem stärkt.
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Deshalb werde vermutet, dass etwa der Kontakt mit Rohmilch, Probiotika in Lebensmitteln, Keimen in der Luft oder Stallstaub das Immunsystem toleranter macht und somit auch weniger anfällig für allergische Reaktionen. An diesem Prozess ist auch das Mikrobiom beteiligt, welches durch diese mikrobiellen Milieus geformt wird.

Experimenteller Test mit "Wildlingen"

Für einen kritischen Test dieser Hypothese im Tierexperiment verwendete ein internationales Forscherteam um den Mikrobiologen Jonathan Coquet (Karolinska-Institut in Stockholm) sogenannte Wildling-Mäuse. Dabei handelt es sich um Labormäuse, die als Embryonen in wilde Mäusemütter transplantiert und von diesen ausgetragen und geboren wurden. Die Mäuse sind genetisch identisch mit den herkömmlichen, spezifisch keimfreien Labormäusen, werden jedoch unter halbnatürlichen Bedingungen gehalten und sind von Geburt an einer Vielzahl an Mikroben ausgesetzt.

Für die Allergie-Experimente verglichen die Forschenden die immunologische Reaktion der Wildling- und der Labormäuse auf drei verschiedene Allergieauslöser. Wie die Forschenden im Fachblatt "Science Immunology" schreiben, reagierten die halbwilden Mäuse bei diesen Tests ähnlich stark allergisch wie ihre genetisch identischen, aber mikrobiell unterschiedlichen Artgenossen aus dem Labor. Sie waren trotz der Besiedelung mit Mikroorganismen nicht vor der allergischen Reaktion geschützt.

Umstrittene Schlussfolgerungen

Das wirft für die Autorinnen und Autoren der Studie die Frage auf, welche Faktoren tatsächlich hauptsächlich für den Anstieg von Allergien verantwortlich sind. Sie vermuten, dass eventuell andere Umweltfaktoren oder Verhaltensweisen des modernen täglichen Lebens ausschlaggebend sein könnten. Inwiefern die Studienergebnisse tatsächlich die Hygiene-Hypothese entkräften, ist aber in ersten Stellungnahmen von Expertinnen und Experten, die an der Studie nicht beteiligt waren, einigermaßen umstritten.

Allergie
Schützt ein diverses Mikrobiom vor Allergien oder nicht? Die neue Studie an Mäusen liefert (noch) keine endgültigen Antworten.
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So meint die Immunologin Eva Untersmayr-Elsenhuber (Medizinische Universität Wien), dass die Untersuchung zwar neue Erkenntnisse birgt zum Zusammenhang zwischen dem Mikrobiom der Körperhautoberflächen und der Entwicklung von Allergien – in diesem Fall einer Hausstaubmilbenallergie. Sie gibt aber zu bedenken, dass "die Immunantwort bei Mäusen und Menschen unterschiedlich ist. Mausmodelle sind relevant, um Mechanismen zu untersuchen, aber die Bestätigung der generierten Daten muss immer bei Patienten erfolgen."

Für die Expertin ist die Entwicklung einer Allergie ein multifaktorielles Geschehen, bei dem weitere Faktoren eine wichtige Rolle spielen "wie die Barrierefunktionen der Schleimhäute oder die Menge der von Pflanzen gebildeten Allergene – Stichwort Klimawandel und der damit verbundene Stress der Pflanzen." (tasch, 30.9.2023)