Frau von hinten, mit Schmerzen in der Schulter
Wenn es im Rücken schmerzt, sollte man besser gleich zum Spezialisten gehen. Sonst riskiert man, dass sich die Pein verselbstständigt.
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Alles beginnt damit, dass sich Lisa Obermayer unglücklich verreißt. Sie spürt einen starken Schmerz in der Halswirbelsäule, und der hält an. Die 32-Jährige, die eigentlich anders heißt, zieht in den folgenden Monaten von Arzt zu Arzt. In der Hoffnung, die Pein wieder loszuwerden, bekommt sie zahllose Spritzen bis hin zu Botox. Aber ihre Beschwerden werden immer schlimmer und gehen allmählich in einen chronischen Zustand über. Sie strahlen von der Halswirbelsäule in Kopf und Schultern aus. An Arbeit ist nicht zu denken, die junge Frau meldet sich krank.

Schließlich startet sie einen weiteren Versuch und geht in die Schmerzambulanz am Allgemeinen Krankenhaus (AKH) in Wien. Dort stellt der untersuchende Arzt fest, dass Obermayer bereits an einer Verkürzung der Muskulatur im oberen Bereich leidet. Daraus ist eine Schiefhaltung entstanden, die den Schmerz noch verstärkt.

"Sie hat keine adäquaten Medikamente bekommen", sagt Sabine Sator, Fachärztin für Intensivmedizin und Schmerztherapie und Leiterin der Schmerzambulanz am AKH Wien. Und auch physikalische Therapie, etwa eine Physiotherapie, hat die junge Frau nicht erhalten. Das Beispiel von Lisa Obermayer zeigt, wie wichtig bei der Behandlung von akuten Schmerzen die richtige Versorgung von Anfang an ist. Dann kann man dafür sorgen, dass die Schmerzen nicht zu einem Dauerbegleiter werden.

Genaue Ursachenforschung

"Bei akuten Schmerzen muss man sich auf die Suche nach der genauen Ursache machen", betont Schmerzmedizinerin Sator. Kommt er von den Zwischenwirbelgelenken? Von Fehlhaltungen oder von schiefem Sitzen? Er kann auch von einer Bandscheibe ausstrahlen, oder womöglich steckt ein Tumor dahinter. Ist das geklärt, gilt es, die Schmerzen rasch zu behandeln. Ein absolutes No-Go ist dabei, betont Sator, den Schmerz einfach nur wegzuspritzen oder wegzuschneiden, ohne das mit anderen Behandlungen, wie beispielsweise Bewegungstherapie, zu kombinieren.

Für Sator hat eine wirkungsvolle Therapie etwa von Rückenschmerzen mehrere Säulen: "Man kann zum Beispiel Medikamente mit der sogenannten transkutanen elektrischen Nervenstimulation kombinieren." Bei diesem Verfahren rückt man dem Schmerz mit Strom zu Leibe. Über den schmerzenden Arealen werden Elektroden auf der Haut angebracht. Ein Stimulationsgeräts gibt über diese elektrische Impulse, die selbst nicht schmerzhaft sind. "Das ist wie eine Akkupressurmassage", beschreibt Sator. "Das soll die Muskulatur lockern, die Durchblutung verbessern und den Schmerz verringern." Das Gute dabei: Man kann die Nervenstimulation bequem zu Hause anwenden, das dauert etwa eine halbe Stunde am Tag.

"Ein zusätzlicher wichtiger Baustein ist die aktive Bewegungstherapie. Also nicht passiv wie bei einer Massage", betont Sator. Lange Zeit lautete die Devise ja bei Schmerzen: bloß nicht zu viel bewegen, lieber schonen. "Das Gegenteil ist aber der Fall, man soll sich aktiv bewegen." Gemeinsam mit dem Physiotherapeuten oder der Physiotherapeutin entwickelt man deshalb auf die Muskulatur des Patienten oder der Patientin zugeschnittene gymnastische Übungen.

Schmerzspuren im Nervensystem

Passiert das alles nicht und setzen Ärzte oder Medizinerinnen bei der Behandlung von akuten Schmerzen nur auf Spritzen – wie das bei Lisa Obermayer der Fall war –, können die ursprünglich akuten Schmerzen zu chronischen werden. Dessen Ursache ist aber oft schwer zu eruieren, ein Bänderriss etwa oder ein Bandscheibenvorfall als womöglicher Auslöser kann ja bereits abgeheilt sein. Betroffene bekommen dann nicht selten zu hören: "Stell dich nicht so an" oder "Sei nicht so zimperlich."

Damit tut man ihnen aber unrecht. Der Schmerz ist keine Einbildung oder Übertreibung. Vielmehr ist gewissermaßen das Nervensystem die "Mimose". Denn nicht ausreichend behandelte Schmerzen können im Nervensystem für "Schmerzspuren" sorgen, die die Nervenzellen immer empfindlicher für Schmerzreize machen. Experten sprechen auch von einem Schmerzgedächtnis. Gut untersucht sind solche Veränderungen der Schmerzverarbeitung beispielsweise im Rückenmark. Dieses wird allmählich überempfindlich und leitet die Schmerzsignale verstärkt ins Gehirn weiter.

Wird der Schmerz auf diesem Weg zum Dauerbegleiter, sind gängige Schmerzmitteloft keine Hilfe mehr. Und selbst starke Präparate wie Opioide können machtlos sein. Eine moderne Schmerztherapie setzt daher noch stärker als bei akuten Schmerzen auf verschiedene Bausteine.

Die Psyche mitbehandeln

Eine wichtige Rolle bei chronischen Schmerzen spielt auch die Psyche. Leiden Betroffene etwa unter Ängsten und Stress, spannt sich ihre Muskulatur an, das verstärkt den Schmerz noch. Ein wichtiger Ansatz ist deshalb, Ängste, Stress und Anspannung zu lösen. Dabei kann etwa eine Psychotherapie helfen, in der man lernt, die eigenen Verhaltensmuster in Bezug auf Stress und Schmerz zu erkennen und positiv zu verändern.

Gegen die Anspannung kann auch die Biofeedback-Methode helfen. Dafür werden auf den Körper Elektroden appliziert. Auf dem Computerbildschirm sieht man dann anhand von elektrischen Kurven, was sich tut, wenn man an etwas Stressiges denkt, etwa den nächsten Arbeitstag voller Meetings. "Wenn sich die Betroffenen anspannen, schlägt die Kurve stark aus", erklärt Sator. Durch das Sichtbar machen lernen die Betroffenen allmählich, über die Rückmeldung des Computers ihren Körper zu beeinflussen und schaffen es, Anspannungen besser zu lösen

Aber auch ohne technische Tricks können Schmerzbetroffene einiges gegen Anspannung tun. Beliebt ist etwa die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson. Dabei spannt man bestimmte Muskelpartien zunächst für einige Sekunden an, dann entspannt man sie bewusst wieder. Das Gefühl in den wieder lockeren Muskeln soll man dabei bewusst wahrnehmen. Mit mehr Übung erkennt man dann auch im Alltag immer besser, wenn gerade Muskeln unnötig angespannt sind, und kann diese bewusst entspannen.

Auch bei der Therapie der chronischen Schmerzen von Lisa Obermayer setzt Schmerzspezialistin Sator auf verschiedene Bausteine. Das werde längere Zeit in Anspruch nehmen, das sei auch ihrer Patientin klar. "Aber ich habe schon viele junge Menschen erlebt, die nach so einer kombinierten Behandlung wieder ins normale Berufsleben zurückgekehrt sind." (Christian Wolf, 1.10.2023)