Auf einen Blick
Wegovy von Novo Nordisk soll beim Abnehmen unterstützen.
Reuters

Einmal stechen, und das Abnehmen kann beginnen: Diese Verheißung steckt hinter dem Erfolg des Medikaments Wegovy, das international als Abnehmspritze bekannt geworden ist. Die Injektionslösung wird mit dem Pen unter die Haut in Bauch, Oberschenkel oder Oberarm injiziert. Der in der Spritze enthaltene Wirkstoff Semaglutid ahmt ein im Zwölffingerdarm produziertes Hormon nach und erzeugt ein Sättigungsgefühl.

Das soll stark übergewichtigen Menschen, die zusätzlich unter Gesundheitsproblemen wie Diabetes oder Bluthochdruck leiden, helfen abzunehmen. Laut der Europäischer Arzneimittelbehörde hat Wegovy in drei Studien seine Wirksamkeit bewiesen. Bei Personen, die das Medikament nahmen, kam es zu einer stärkeren und länger anhaltenden Körpergewichtsreduktion als bei Personen, die ein Placebo erhielten.

Spannend für Ärzte und Ökonomen

Das Medikament ist inzwischen nicht nur für Mediziner und Betroffene, sondern auch für Ökonominnen und Ökonomen von Interesse. Das hat mit dem Hersteller, dem Unternehmen Novo Nordisk, zu tun und damit, wie der Konzern die Wirtschaft in seinem Heimatland Dänemark transformiert. Wegovy hat von den USA ausgehend einen Boom ausgelöst. Novo Nordisk verkauft das Medikament ebenso in Massen wie ein zweites Produkt mit dem gleichen Wirkstoff namens Ozempic, das für die Diabetiker-Behandlung geeignet ist. Novo Nordisks Unternehmenswert an der Börse hat sich dank des Erfolgs in weniger als drei Jahren mehr als verdreifacht.

Der Konzern hat heute einen Marktwert von mehr als 2,87 Billionen Kronen, das sind umgerechnet 403 Milliarden Euro. Damit ist der Unternehmenswert höher als die jährliche Wirtschaftsleistung Dänemarks. Und: Der Börsenboom hat Novo zum wertvollsten Konzern Europas gemacht, der französische Luxusgüterhersteller LVMH (Moët Hennessy Louis Vuitton) ist damit auf Platz zwei verdrängt.

Ohne den Beitrag aus den Verkäufen der Abnehmspritze Wegovy wäre Dänemark in einer Rezession. So stieg die Wirtschaftsleistung zuletzt noch im Vergleich zum ersten Halbjahr 2022.

Noch interessanter macht die Geschichte, wie der Aufstieg des Konzerns die dänische Wirtschaft beflügelt. Novos Umsatz entspricht fünf Prozent der dänischen Wirtschaftsleistung, Anteil steigend. Mit Ende des zweiten Halbjahrs 2023 lag die Wirtschaftsleistung Dänemarks 0,6 Prozent über dem Wert im selben Vorjahreszeitraum. Wie das Statistikamt in Kopenhagen ausgerechnet hat, wäre die Wirtschaft des Landes im gleichen Zeitraum ohne den Beitrag des Pharmariesen um 1,5 Prozent kontrahiert. Dänemark nimmt inzwischen in wirtschaftspolitischen Debatten in Europa die Rolle eines Musterschülers ein: Auch die dänische Wirtschaft schwächelt zwar unter der Last gestiegener Zinsen und einer Konsumzurückhaltung in vielen Ländern. Die Wirtschaft wächst aber im EU-Vergleich dank Novo immer noch überdurchschnittlich.

In der vergangenen Woche rückte in Österreich die Industriellenvereinigung aus, um für das Land als Vorbild zu werben und zu warnen, dass Österreich abgehängt werden könnte. Noch vor der Schweiz hat Dänemark 2023 Rang eins im World Competitiveness Ranking der privaten Wirtschaftshochschule IMD in Lausanne belegt. Im Ranking, in dem Österreich nur auf Platz 24 landete, werden Volkswirtschaften verglichen. Bewertet wird etwa, wie erdrückend die Bürokratie ist, wie gut es um die Infrastruktur bestellt ist und ob genügend Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.

Dänemark schnitt in allen Kategorien besser ab als Österreich, wozu die gute Wirtschaftsentwicklung dort einen Beitrag leistete.

Schreckensszenario Nokia

Auch das Forschungsinstitut Wifo hat sich des dänischen Modells angenommen. Der Ökonom Marcus Scheiblecker zeigt in einem aktuellen Paper, dass sich Dänemarks Produktion in der pharmazeutischen Industrie zwischen 2020 und 2022 von einem schon hohen Niveau verdoppelt hat. Wie im Falle der Schweiz ist die gesamte Industrie in Dänemark durch den Beitrag der Pharmabranche deutlich schneller gewachsen als Österreichs Industrie in den vergangenen Jahren. Allerdings: Korrigiert man um diesen Aspekt, rechnet also Pharma heraus, gibt es keinen Unterschied mehr. Dann stieg der Output der österreichischen Industrie gleich schnell wie in jener in Dänemark.

Ein Fünftel des Industrieoutputs entfällt heute in Dänemark auf die Pharmabranche, in Österreich hat kein Industriezweig allein eine solche Bedeutung. Im nordischen Land wird daher bereits darüber diskutiert, welche negativen Folgen diese Abhängigkeit haben kann. Gern angeführt wird dabei das Beispiel Nokias in Finnland: Um die Jahrtausendwende herum war Nokia Europas wertvollster Konzern, seine Marktkapitalisierung war sogar doppelt so hoch wie das BIP Finnlands. Dann begann der Aufstieg Apples am Smartphonemarkt. Nokias Umsatz hat sich in den vergangenen 15 Jahren mehr als halbiert. Der Einbruch Nokias in den 2010er-Jahren hat dafür gesorgt, dass die finnische Wirtschaft in dieser Zeit insgesamt kaum vom Fleck kam.

Ein Ende des Wegovy-Booms ist noch nicht absehbar. Allerdings haben inzwischen andere Anbieter wie Eli Lilly eigene Abnehmspritzen auf den Markt gebracht. (András Szigètvari, 4.10.2023)