Hubert Aiwanger.
Im bayerischen Bierzelt kommt der Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, gut an.
AFP/TOBIAS SCHWARZ

Farbenfrohe Lüftlmalerei, prächtige Holzbalkone inklusive Geranien oder Gipfelkreuze auf hohen Bergen – all die herrlichen Bayernklischees findet man in Rottenburg an der Laaber nicht.

Der Heimatort von Hubert Aiwanger (Freie Wähler, FW) im niederbayerischen Landkreis Landshut – rund 90 Kilometer nordöstlich von München – besticht durch schnöde Sachlichkeit: eine Hauptstraße, Bäckerei, Bank, Apotheke, Reisebüro. In einer Seitengasse befindet sich das Waffengeschäft von Helmut Aiwanger, dem Bruder des Politikers. Drinnen an den Wänden hängen Jagdtrophäen, in der Auslage sieht man viele Messer.

Als die Affäre um ein antisemitisches Flugblatt hochkochte, behauptete Helmut Aiwanger, er habe dieses vor 35 Jahren verfasst. Gefunden wurde es aber in der Schultasche des heutigen FW-Chefs, der von einer "Kampagne" sprach, die die Süddeutsche Zeitung gegen ihn gestartet habe.

Inoffizielle Hauptstadt

Eine Zeit lang lag im Schaufenster eine Leseempfehlung: Die verlorene Ehre der Katharina Blum von Heinrich Böll aus dem Jahr 1974, in der die Protagonistin wegen verunglimpfender Berichterstattung einen Journalisten erschießt. Doch Helmut Aiwanger hat sie wieder entfernt, die Causa soll kein Thema mehr sein. Nur noch ein Wahlplakat seines Bruders weist nun auf den Wahlkampf hin.

Rottenburg an der Laaber ist ohnehin die inoffizielle Hauptstadt der Freien Wähler. 11,6 Prozent erreichten sie bei der Landtagswahl 2018 landesweit. In Aiwangers Region waren es 23 Prozent.

"Klar kenn ich den Hubert, der war da ja früher bei uns in der Kommunalpolitik aktiv", sagt ein Mann in der Bäckerei und erklärt, warum der Chef der Freien Wähler und Vize-Ministerpräsident bei vielen so gut ankommt: "Der ist wie der Franz Josef Strauß. Bodenständig und gerissen."

Kampf um Platz zwei

Die Flugblatt-Affäre hat Aiwanger nicht geschadet, sondern sogar Aufwind für die Wahl am Sonntag gebracht. In Umfragen liegen seine Freien Wähler vor der Wahl am Sonntag fast gleichauf mit den Grünen bei 16 bzw. 15 Prozent. Dahinter folgt die AfD mit 14 Prozent. Vorne liegt mit 36 Prozent die CSU.

Der Standard

An Franz Josef Strauß, den legendären Ministerpräsidenten und CSU-Chef, erinnert man sich dieser Tage auch in der CSU. Am 3. Oktober war sein 35. Todestag. Von ihm wird immer dieser Satz in Erinnerung bleiben: "Rechts von uns ist nur die Wand."

Er stimmt nur schon lange nicht mehr: Rechts von der CSU ist nicht nur die AfD, sondern auch Aiwanger mit seinen Freien Wählern. Es gibt diese auch in anderen deutschen Bundesländern, aber dort liegen sie – außer in Rheinland-Pfalz – unter der Wahrnehmungsschwelle. Wirklich stark sind sie nur in Bayern, wo sie vom Nimbus leben, die bessere, weil konservativere und volksnähere CSU zu sein.

Doch der 52-jährige Aiwanger kann sich vorstellen, im Falle eines guten Wahlergebnisses am Sonntag seinen Wirkungskreis auszudehnen. "Die Welle geht jetzt über Bayern hinaus. Wenn ich in Berlin mehr für Bayern bewegen kann als von München aus, würde ich auch nach Berlin gehen", sagt er. Dort soll es dann nach der Bundestagswahl 2025 zu einer bürgerlichen Koalition aus Union, Freien Wählern und FDP kommen.

Gefahr auch für die FDP

Denn, so Aiwanger: "Der gesunde Menschenverstand fehlt dort." Der besagt, laut Freien Wählern, dass man die Dinge am besten den Kommunen überlässt; die wüssten schon, was nötig ist.

Aber wer würde die FW bundesweit wählen? "Momentan vor allem konservative Menschen aus dem ländlichen Raum, die mit den anderen Parteien unzufrieden sind und denen die AfD zu radikal ist", sagt der deutsche Politologe Constantin Wurthmann. Sie könnten auf der rechten Seite, nebst der Union und der AfD, auch der FDP Stimmen wegnehmen. "Im politischen Spektrum sind sie zwischen CSU und AfD einzuordnen", so Wurthmann.

Auf den Flyern, die die FW im Bierzelt auslegen, fordert man den "Erhalt von Tradition und Heimat", die Abschaffung der Erbschaftssteuer, eine konsequentere Bekämpfung der Kriminalität und spricht sich gegen eine Verschärfung des Waffenrechts für Jäger und Schützen aus.

Ambivalentes 

Kein Wort zu internationalen Themen, was laut Wurthmann aber auch nicht stört. Denn: "Die Freien Wähler sind hochgradig kommunal verankert, sie brauchen keine Position zu Russland oder anderen globalen Themen. Das erwartet ihre Wählerschaft auch nicht." Vielmehr soll die Partei dafür sorgen, dass "alles so bleibt, wie es ist". Dass man also weiterhin Fleisch essen kann, Verbrennerauto fahren und mit Holz heizen darf.

Allerdings müssten sich die FW bei einem bundesweiten Antreten noch ziemlich anstrengen. In einer Insa-Umfrage für die Bild-Zeitung liegen sie derzeit bundesweit nur bei 2,5 Prozent. (Birgit Baumann aus Rottenburg an der Laaber, 4.10.2023)