Es ist die Zahl 15, die diese Woche zu einem Déjà-vu-Erlebnis im Tauziehen um einen neuen Kollektivvertrag in der Sozialwirtschaft geführt hat – eine Branche, die schon lange unter Personalmangel leidet und wegen zu niedriger Bezahlung klagt. Es geht um die Gehälter jener Menschen, die vor allem anderen helfen: als Pflegekräfte, Sozialarbeiter, Berater oder Pädagogen.

Für den neuen KV fordern die Gewerkschaften eine Lohn- und Gehaltserhöhung von 15 Prozent, mindestens aber 400 Euro. Die Zahl ist nicht neu, bereits vergangenes Jahr wollte man auf Arbeitnehmerseite ein Plus in Höhe von 15 Prozent. Ein Abschluss in dieser Höhe ist freilich unwahrscheinlich, doch einmal mehr blickt man auf sehr spannende Rahmenbedingungen.

Eine Frau hilft einem Mann im Pflegeheim. Der Mann geht am Stock
Im privaten Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich sind die Kollektivvertragsverhandlungen am Dienstag mit Übergabe der Forderungen der Gewerkschaften GPA und Vida gestartet. Verlangt wird darin eine Lohn- und Gehaltserhöhung von 15 Prozent, mindestens aber 400 Euro.
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Diese 15 Prozent liegen – ebenfalls wie im letzten Jahr – deutlich über der Forderung der Metaller (plus 11,6 Prozent), die stets wichtige Signalwirkung für alle anderen Branchen haben.

Doch einen wichtigen Unterschied gibt es heuer. Der Industrie steht eine Eintrübung des Wirtschaftsumfelds ins Haus, in der Sozialwirtschaft wird das Gros der Löhne von der öffentlichen Hand bezahlt – und der Staat hat zuletzt sehr gut verdient. Gründe dafür waren der Wirtschaftsaufschwung vergangenes Jahr und die bereits sehr hohe Inflation.

Gehalt vom Staat

Zu den größten Arbeitgebern zählen Hilfswerk, Volkshilfe und Caritas Socialis, die den größten Teil der Personalausgaben von den Ländern bekommen. Auch von den Gemeinden kommt ein wesentlicher Anteil. Sollte es demnach in der Sozialwirtschaft nicht ein bisschen einfacher sein, höhere Löhne zu zahlen? Bei der Gewerkschaft sieht man es naturgemäß so. Man fordert zudem, dass die Leistungen der vergangenen sehr schwierigen Jahre in der Sozialbranche honoriert werden. Das Geld sei da, es gebe keine Ausreden. Zudem habe besonders die Pflegebranche während der Pandemie öffentlichen Rückenwind bekommen.

Dass finanzielle Mittel zur Genüge vorhanden seien, sieht der Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ), Walter Marschitz, naturgemäß anders: "Wir können nicht aus der eigenen Substanz der Firmen schöpfen, es gibt keine Rücklagen wie bei Industriebetrieben." Die Industrie sei dem Markt und Wettbewerb unterlegen, das könne ein Vor-, aber manchmal eben auch ein Nachteil sein.

Ein Pfleger steht vor einem großen Zeichen, 15 Prozent anzeigt. 
In der Pflegebranche stöhnt man schon lange wegen der schwierigen Arbeitsbedingungen und des Fachkräftemangels.

Wenig Spielraum

Werden in der Sozialwirtschaft Förderungen nicht bewilligt, können Löhne nicht ausbezahlt werden. "Unsere Wette bei den Lohnverhandlungen ist, ob sich die Vorstellungen in öffentlichen Budgets abbilden lassen", meint Marschitz. Auf SWÖ-Seite bezeichnete man den Verhandlungsauftakt als "durchaus konstruktiv", viel Spielraum über die Inflationsabgeltung hinaus werde es aber nicht geben.

Für die Arbeitsmarktökonomin Ulrike Famira-Mühlberger vom Wifo ist es keine Überraschung, dass die Forderung über jener der Metaller liegt: "Die Industrie blickt auf völlig andere wirtschaftliche Bedingungen. Zudem wird in der Sozialwirtschaft die Nachfrage wegen der demografischen Entwicklung steigen. Mehr Nachfrage bei wenig Angebot führt zu höheren Löhnen, das ist ökonomische Logik."

70 Prozent Frauen

Vom Kollektivvertrag sind rund 130.000 Beschäftigte erfasst, darunter mehr als 70 Prozent Frauen, die Mehrheit in Teilzeit. Der SWÖ-Mindestlohn beträgt derzeit 1893,20 Euro, Marschitz stellte im Vorfeld eine Erhöhung auf über 2000 Euro in Aussicht. Es handelt sich also um keinen Niedriglohnsektor, aber verglichen zur Industrie fallen die Löhne geringer aus. Bezahlt wird nach Kollektivvertrag, und zu Überzahlungen kommt es selten. Dazu kommt, dass viele Arbeitskräfte Teilzeit beschäftigt sind.

"Die Sozialwirtschaft ist ein besonderer Arbeitsmarkt, da die Löhne in erster Linie von staatlichen Förderungen abhängen", sagt Famira-Mühlberger. Um speziell den Pflegebereich attraktiver zu machen, habe es den Pflegebonus gegeben. Den würde es vielleicht nicht brauchen, wenn die Löhne kräftiger steigen würden – das sei aber noch Thema der Finanzausgleichsverhandlungen.

Neben der Gehaltsforderung seien von der Gewerkschaft viele Vorschläge vorgelegt worden, die die Arbeitsbedingungen verbessern und die Branche attraktivieren sollten. Die nächste Verhandlungsrunde ist für 17. Oktober angesetzt. (Andreas Danzer, 5.10.2023)