Zwei Männer sitzen auf der Couch und reden
Männer haben viele Freunde – aber über emotionale Themen und darüber, wie sie einen persönlich berühren, wird trotzdem oft wenig gesprochen. Beim Zeigen von Gefühlen gibt es noch viele alte Rollenbilder, sagt ein Experte.
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Wann ist ein Mann ein Mann, das wollte Herbert Grönemeyer schon 1984 wissen. Sein Versuch einer Antwort war eine Aneinanderreihung von Klischees, die man mit dem Mannsein verbindet. Mittlerweile sind fast 40 Jahre ins Land gezogen – und es ist nicht klar, wie sehr sich das Männerbild seither verändert hat. Im Wandel ist es eindeutig. Trotzdem sind viele Klischees nach wie vor stark in den Köpfen verankert, auch heute noch ist "typisch männliches" Verhalten à la Grönemeyer weit verbreitet – im positiven wie im negativen. Und gerade für die negativ konnotierten Klischees ist der Ausdruck "toxische Männlichkeit" zum weitverbreiteten Schlagwort geworden.

Dieses Schlagwort, das ein Männlichkeitsideal beschreibt, das von Dominanz geprägt ist, in dem Aggression und Unterdrückung legitim sind, hat sich auf eine bestimmte Art verselbstständigt. Bei weitem nicht immer wird es zu Recht ins Treffen geführt. Aber tatsächlich bezeichnet es ein alteingelerntes Verhalten von Männern, das nach wie vor – und oft auch ganz unbewusst – in der Gesellschaft verbreitet ist. Da tut sich gerade sehr viel. Das bedeutet nicht, dass sich das etablierte Bild von Männlichkeit komplett verändert. Aber die Vorstellung, was eigentlich männlich ist, erweitert sich, so wird beispielsweise der offen gezeigten Emotionalität langsam aber sicher mehr Platz eingeräumt.

Wie jede Veränderung ist auch das kein ganz einfacher Weg. Denn viele wissen einfach nicht, wohin ihre Reise geht. "Ich bemerke bei vielen Männern eine Art Orientierungslosigkeit, wenn es um ihre Identität geht", sagt Peter Hofmann. Er ist Pädagoge, Achtsamkeitstrainer und Mitinitiator der Initiative Men Return. Dabei handelt es sich um eine Art Online-Begegnungsraum, also Treffen, die im Netz stattfinden, bei denen sich Männer austauschen über Themen, die sie beschäftigen und bewegen.

Wie äußert sich diese "Orientierungslosigkeit"? Hofmann beschreibt sie als eine Zerrissenheit oder auch Getrenntheit der verschiedenen Lebensrealitäten, in denen wir alle uns wiederfinden. Man lebt in der Partnerschaft etwa ein anderes Bild von Männlichkeit als im Berufsleben oder auch im Freundeskreis beziehungsweise in männlichen Peer-Gruppen: "Gerade in der Partnerschaft leben viele Männer eine sehr offene, gleichberechtigte, verbundene Form. Die unterscheidet sich auch ganz klar von traditionellen Rollenbildern, die etwa die eigenen Eltern vorgelebt haben. Im Arbeitsumfeld oder auch im Freundeskreis sieht das aber bei vielen noch ganz anders aus." Diese unterschiedlichen Lebensrealitäten könnten die Frage aufkommen lassen, welche der verschiedenen Rollen eigentlich wirklich die eigene, echte ist.

Wenig männliche Vorbilder

Schwierig sei diese Suche nach der eigenen Essenz auch deshalb, weil oft die Vorbilder fehlten. "Der eigene Vater ist es für viele nicht, da grenzen sie sich eher ab. Und dadurch entsteht in erster Linie ein sehr deutliches Bild, was man selbst nicht will", berichtet Hofmann. "Aber es gibt viel weniger Klarheit darüber, wer man selbst eigentlich ist und wo man im eigenen Leben hinwill." Daraus entstehe dann ein Spannungsfeld, man fragt sich, wie verletzlich, wie liebevoll man sich zeigen kann und ob man dann immer noch ein starker, beschützender, initiativfreudiger Mann ist.

Ob und vor allem wie diese Identitätssuche gelingen kann, dafür gebe es kein klares, einfaches Muster: "Es gibt wenig Rolemodels, an denen man sich orientieren kann. In der Politik etwa findet man sie praktisch gar nicht. Auch in Filmen sind die allermeisten Helden immer noch sehr klassisch gezeichnet und an traditionellen Rollenbildern orientiert." Die Lösung für dieses Problem sieht Hofmann darin, dass sich Männer gegenseitig zu Vorbildern werden. "Es geht dabei gar nicht darum, bereits perfekt zu sein oder eine klare Vorstellung zu haben. Vielmehr geht es darum, Fragen, die man auf diesem Weg hat, zu stellen und sich dazu austauschen zu können. Das ist total banal und gleichzeitig wirklich bedeutsam."

Hofmann ortet auch eine gewisse Identitätssuche. Auf der einen Seite sind all die Rollen, die Mann im eigenen Leben erfüllt, als Partner, als Vater, als Arbeitskollege oder als Chef, im privaten Kreis mit anderen Männern, und auf der anderen Seite steht die Frage, wie man all diese Rollen in sich vereinen kann. Diese innere Suche kann durch ganz alltägliche Ereignisse getriggert werden, etwa wenn im Kollegenkreis beim Mittagessen jemand einen sexistischen Witz macht. "Viele Männer finden das absolut nicht in Ordnung. Aber sagt man dann auch etwas? Oder verliert man dann sein Gesicht, wird als Weichei dargestellt oder etwas in der Art?"

Masken im Alltag

Solche Fragen machen deutlich, dass man Masken aufhat im Alltag, sagt der Achtsamkeitstrainer, und sehr oft sind diese patriarchal geprägt. Deshalb bieten er und seine Kollegen Begegnungsräume an, wo man diese Masken ablegen kann, unter lauter Gleichgesinnten. "Das sind oft sogar mehrere Masken, und erst wenn man sie abgelegt hat, merkt man, wie gut das eigentlich tut, wie viel Offenheit auch unter Männern möglich ist."

Denn tatsächlich gebe es viele Männer, die keine Freunde haben in der Form, wie das etwa Frauen für sich definieren. Das heißt keinesfalls, dass kein Sozialleben da ist, im Gegenteil. Aber das spielt sich oft in Sportvereinen ab, in Weinrunden, oder man spricht über das politische Weltgeschehen. Die eigene Befindlichkeit, was einen wirklich beschäftigt oder auch ängstigt, ist bei ganz vielen selten bis nie ein Thema.

Dahinter stecke die ganz starke Prägung, meint Hofmann, "dass es ein Kontrollverlust ist, wenn man Emotionalität offen lebt". Vielen sei dabei gar nicht bewusst, dass sie diese Prägung haben, sie suchen sich unbewusst "ungefährliche" Kanäle, um ihre Emotionen auszuleben. So sei es etwa ein typisch männliches Verhalten, Emotionen im Sport auszuleben, statt diese zu verbalisieren.

Frauen seien da schon viel weiter, durch die Frauenbewegungen der vergangenen Jahrzehnte sind Räume entstanden, wo man sich genau auf dieser emotionalen Ebene mit psychohygienischer Wirkung austauschen kann. Als Achtsamkeitsexperte macht Hofmann viele Trainings in Unternehmen: "In diese Kurse kommen dann 80 Prozent Frauen und ein paar wenige Männer. Das hat mir klargemacht, dass da andere Angebote gebraucht werden."

Aggression als Schutz

Dass sich Männer mit Emotionalität schwerer tun als Frauen, zeige sich auch daran, dass manche diese abwehren – und zwar sehr oft mit Aggression, berichtet Hofmann. Man versuche dann, das Gegenüber, das ein emotionales Thema anspricht, das einem selbst unangenehm ist oder zu nahe geht, zum Verstummen zu bringen, indem man drüberfährt, das Argument als blödsinnig oder falsch abtut. Ein gutes Beispiel dafür seien in Social Media geführte Diskussionen zu brisanten Themen, die oft wirklich eskalieren. Aber auch im selbst organisierten Online-Begegnungsraum ist das vorgekommen, berichtet der Experte. Und er betont, dass das in männlich dominierten Foren viel eher der Fall ist: "Ich habe auch schon viele Begegnungsräume geleitet, in denen vorwiegend Frauen waren. Da ist so etwas noch nie passiert."

Hofmann glaubt, dass das ein tiefverwurzelter Abwehr- und Schutzmechanismus ist, damit man über ein Thema, das einen emotional berühren könnte, auf keinen Fall sprechen muss. Wobei er die Wut prinzipiell in Ordnung findet: "Wut ist eine starke Emotion, die kann man auch ansprechen. Aber man könnte auch sagen, dass einen ein Thema gerade wütend macht, anstatt das Gegenüber sozusagen mundtot zu machen. Das zu lernen ist aber nicht einfach, weil gerade in männlich geprägten Umfeldern dieses Verhalten noch sehr stark verbreitet ist."

Und gerade, weil das Thema so emotional behaftet ist, haben Hofmann und seine Kollegen bewusst einen sehr entspannten Zugang gewählt, als Onlineforum, bei dem man auch einfach ausprobieren kann, ob einem das überhaupt zusagt. "Bei Wochenendseminaren beispielsweise stellt sich natürlich die Frage, was kommt da auf mich zu? Muss ich mich da womöglich nackt in einer Wiese wälzen? Diese Fragen sind auch nachvollziehbar, es gibt diese Bilder von Selbstfindungserfahrungen, und die sind einfach nicht jedermanns Sache."

Als Therapie sieht Hofmann diese Begegnungsräume dabei ganz klar nicht: "Es ist einfach das Angebot, eine neue Seite an sich selbst zu entdecken. Und damit womöglich ein paar Antworten darauf zu finden, wo man mit seinem eigenen Mannsein eigentlich hinwill." (Pia Kruckenhauser, 14.10.2023)