Einmal mehr drehte sich alles um Wolodymyr Selenskyj. Dabei war bis wenige Minuten vor seiner Ankunft im südspanischen Granada nicht einmal klar, ob der ukrainische Präsident am Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) überhaupt teilnehmen würde. Selenskyj nutzte das Forum, um Unterstützung im Krieg gegen die russischen Invasoren einzufordern. Insgesamt waren 47 Staats- und Regierungschefs angereist, darunter jene der EU, der restlichen europäischen Länder – mit Ausnahme Russlands und Belarus’ – sowie die Vertreter einiger angrenzender asiatischer Länder.

Wolodymyr Selenskyj in Granada
Aus Sicherheitsgründen blieb der Zeit- und Reiseplan von Wolodymyr Selenskyj geheim – und plötzlich war er in Granada.
IMAGO/Europa Press/ABACA

"Die wichtigste Herausforderung ist der Schutz der Einheit in Europa, und ich spreche nicht nur von den EU-Ländern, sondern von ganz Europa", sagte Selenskyj. Die Priorität der Ukraine: "Die Luftverteidigung stärken." Sein Land habe "substanzielle Vorschläge", um "die europäische Sicherheitsarchitektur, insbesondere die regionale Sicherheit, zu stärken". Europa müsse besonderes Augenmerk auf die Schwarzmeerregion legen, und "gemeinsam Anstrengungen zur Stärkung der globalen Ernährungssicherheit und der Freiheit der Schifffahrt unternehmen", forderte er.

Russland, so warnte er, könne versuchen, den Krieg in der Ukraine "einzufrieren, um so bis 2028 das von uns zerstörte militärische Potenzial wiederherzustellen". Moskau "wäre dann stark genug, um weitere Länder anzugreifen, die im Fokus seiner Expansion stehen", erklärte Selenskyj und erinnerte an die Baltischen Staaten. Die Ukraine weiter zu unterstützen, schaffe die "Möglichkeit, Russland eine Niederlage beizubringen".

"Alle Europäer unterstützen die Ukraine bis zu einem gerechten Frieden", versicherte der spanische Gastgeber Pedro Sánchez. Doch Selenskyj weiß, dass es trotz dieser Beteuerungen mit kriegswichtiger Hilfe bei weitem nicht so gut bestellt ist wie noch vor wenigen Monaten.

So wurde am Vorabend seines Auftritts in Granada bekannt, dass Berlin keine Marschflugkörper des Typs Taurus an die Ukraine liefern wird. Und in der EU bröckelt der Anti-Putin-Konsens. Der Wahlsieg von Robert Fico in der Slowakei, eines eher Russland zugewandten Politikers, die Putin-freundliche Haltung von Viktor Orbán in Ungarn und die Ankündigung Polens, die Waffenhilfe für die Ukraine herunterzufahren, zeugen davon.

Außerdem besteht die Gefahr, dass die USA weniger Geld für die Unterstützung der Ukraine zur Verfügung haben werden.

EU kann USA nicht ersetzen

Angesichts dieser Situation werde Europa die Unterstützung der Ukraine verstärken, versicherten sowohl EU-Ratspräsident Charles Michel als auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. "Die EU kann die USA nicht ersetzten", relativierte Borrell die in Aussicht gestellte EU-Hilfe in vielfacher Milliardenhöhe. Er hoffe, dass die USA weiterhin die Ukraine unterstützen wie bisher.

Selenskyj nutzte den Tag in Granada für bilaterale Gespräche. Wie viel Militärhilfe er dabei aushandeln konnte, das wurde nicht bekannt.

Nicht nur die Anwesenden bestimmten das Treffen, sondern auch die, die nicht gekommen waren. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan blieb der EPG ebenso fern wie Aserbaidschans Staatschef Ilham Alijew. Letzterer erteilte damit dem Ansinnen Deutschlands, Frankreichs sowie des EU-Ratspräsidenten Charles Michel eine Absage, am Rande des Treffens im Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um die Region Bergkarabach zu vermitteln. Es wäre die erste konkrete Initiative der erst seit einem Jahr bestehenden EPG gewesen.

Erdoğan fehlte wegen "einer Erkältung", so die türkische Presse. Der türkische Staatschef verzichtete bereits beim EPG-Treffen im vergangenen Juni in Moldau auf die Teilnahme und versucht seit Beginn des Ukrainekrieges, einen gewissen Abstand sowohl zu Russland als auch zur EU- und zur Nato-Politik zu halten, um sich in eine Vermittlerrolle zu bringen, wie etwa bei der Frage des Getreideexports über die Schwarzmeerhäfen der Ukraine. (Reiner Wandler aus Granada, 5.10.2023)